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Die Atomkraft ist das neue Feuer
Blick in die Reaktorgrube im Kernkraftwerk Gösgen. Bild: Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG.

Die Atomkraft ist das neue Feuer

Mit ihrer enormen Energiedichte kann die Kernkraft einen grossen Teil des Energiebedarfs der Menschheit decken. Doch Fehlinformationen und irrationale Ängste bremsen die Technologie aus und verhindern den Ausweg aus der Armut.

Read the English version here.

Am Anfang war das Feuer. Feuer war wohl eine der frühesten technologischen Innovationen. Stellen Sie sich das einmal vor: der erste Homo erectus, der herausfand, wie man Feuer aus einer wilden Flamme einfängt und es dann zum Kochen verwendet. Einige Frühmenschen nahmen diese Entdeckung mit Ehrfurcht, ja sogar Verehrung auf, während andere sich daran verbrannten und sich der Erfindung verweigerten.

Zwei Millionen Jahre später neigen wir immer noch zur evolutionär bedingten Angst vor Neuem und Unbekanntem. Sie entsteht als Reaktion auf unser immenses Potenzial für Innovation und Erforschung. So kommt die Angst vor einem Impfstoff oder vor genetisch veränderten Organismen zustande. Frühmenschen gaben dem Feuer dennoch eine Chance und entdeckten, dass es sie wärmte, Licht spendete und Raubtiere und Fliegen abwehrte. Indem sie kalorienreiche Nahrung kochten, wuchsen auch unsere Gehirne. Kurz gesagt, das Feuer ermöglichte es der Menschheit, sich zu dem zu entwickeln, was sie heute ist.

Das Potenzial von Plutonium entfesseln

Das führt mich zu dem, was wir als die Entdeckung des Feuers 2.0 bezeichnen könnten: die Spaltung des Uranatoms. Die Kernenergie entsteht durch die Bindungsenergie, die in einem Atom gespeichert ist und es zusammenhält. Um diese Energie freizusetzen, muss das Atom in kleinere Atome gespalten werden. In Kernkraftwerken wird mit der dabei freigesetzten Wärmeenergie Wasser gekocht, das Turbinen zur Stromerzeugung antreibt.

Diese Energie birgt ein immenses Potenzial. Genau wie beim Feuer hat die Menschheit gelernt, diese unglaubliche Ressource zu zähmen, um einen energiereichen Brennstoff zu schaffen. Es war ein Prozess von Versuch und Irrtum. Auf dem Weg dorthin wurden Fehler gemacht. Aber die positiven Anwendungen der Entdeckung überwiegen bei Weitem die negativen. Sie sorgt dafür, dass unsere Häuser im Winter warm bleiben, dass lebenswichtige Geräte in unseren Krankenhäusern weiterlaufen und unsere Lichter brennen – ohne die lungen- und herzschädigende Luftverschmutzung, die durch das Feuer verursacht wird, das wir seit der Antike verwenden. Über eine Million Menschenleben wurden durch den Übergang von der Kohlekraft zur Kernenergie gerettet, da die Luft sauberer wurde und weniger Abfälle aus fossilen Brennstoffen in der Erdatmosphäre gespeichert wurden.1

Die Kernspaltung hat noch eine andere Eigenschaft, die das Feuer nicht hat. Wenn wir ein Minimum an Ressourcen für ein Maximum an produktiver Leistung verbrauchen wollen, müssen wir die Bedeutung der Energiedichte berücksichtigen. Kernreaktoren werden mit angereichertem Uran-235 betrieben, dessen Energiedichte um ein Vielfaches höher ist als die von fossilen Brennstoffen. Durch Kernspaltung erzeugt eine relativ winzige Menge Kernbrennstoff beträchtliche Mengen an Energie. Kernkraftwerke haben zudem einen relativ geringen Flächenbedarf pro Stromeinheit. Sie produzieren nur minimale Abfälle, und nur ein kleiner Teil davon ist hochradioaktiv. Abgebrannte Brennelemente können wiederverwertet werden.

Grosse Nachfrage nach Energie

Der Mensch ist ein energiehungriges Wesen. Wir werden immer mehr Energie brauchen. Da die Gesellschaft jetzt versucht, die Wirtschaft und die Infrastruktur zu elektrifizieren, indem sie von Dieselautos auf Elektrofahrzeuge umsteigt, von Gaskesseln auf Wärmepumpen und so weiter, wird mehr Strom erforderlich sein. In dem Masse, wie unsere Abhängigkeit von virtuellen Welten wächst und Anwendungen künstlicher Intelligenz alltäglicher ausfallen, werden wir auch immer mehr Energie verbrauchen. Auch die wissenschaftliche Forschung benötigt grosse Mengen an Energie, ebenso wie die Erforschung des Weltraums und andere Vorhaben, welche die Menschheit voranbringen. Die Frage ist also: Warum ist die Welt nicht schon längst auf Kernenergie umgestiegen?

Viele Menschen gehen davon aus, dass der Grund für die Ablehnung der Kernenergie durch die Gesellschaft darin liege, dass sie von Natur aus gefährlich und beängstigend sei. Dennoch nutzen sie weiterhin die Nuklearmedizin, ohne sie in Frage zu stellen, und zeigen keine solchen Skrupel bei der Wasserkraft, die viel tödlicher ausfällt.2

Kernschmelzen sind vorgekommen, aber diese Vorfälle wurden von böswilligen Kräften ausgenutzt. In der gesamten Geschichte der Kernenergie sind nur wenige Menschen bei Reaktorschmelzen ums Leben gekommen – und niemand ist an den Strahlungsfolgen von Three Mile Island oder Fukushima gestorben. In Tschernobyl starben zwar einige Tausend Menschen, doch war dies auf vorsätzliches Missmanagement des Reaktors nach sowjetischem Vorbild in Verbindung mit einer fehlerhaften Reaktorbauweise zurückzuführen, die eine Explosion des Reaktors ermöglichte. Der in Tschernobyl verwendete RBMK-Reaktor wird nirgendwo mehr hergestellt, und die noch in Betrieb befindlichen Reaktoren wurden so nachgerüstet, dass sie nicht explodieren können. Moderne Reaktoren können nicht explodieren.

Umweltschützer mit Angst vor Atomwaffen missverstehen die Technologie jedoch und verbreiten ihre Ängste mit eindrucksvollen Botschaften. In einigen Fällen spendeten Unternehmen für fossile Brennstoffe grosse Summen an Umweltgruppen, um gegen die Kernenergie zu protestieren, da ihnen bewusst war, dass Kernkraft fossile Brennstoffe verdrängen könnte.

«Umweltschützer mit Angst vor ­Atomwaffen miss­verstehen

die ­Technologie und ­verbreiten ihre Ängste mit

­eindrucksvollen Botschaften.»

In ihrer Abneigung gegen die moderne Zivilisation richteten sich Aktivisten bereitwillig gegen die Kernkraft. Lügen wurden über die Technologie erzählt und Mythen über ihre Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt verbreitet. Die Kernenergie wurde zum Schreckgespenst, da sie mit der Gefahr von Atomwaffen gleichgesetzt wurde. Einige wenige Länder konnten sich der Macht dieser Märchen entziehen und trieben ihre Kernenergieprogramme trotzdem voran, darunter Frankreich und Schweden sowie ein Grossteil des Ostens. Aber im Westen liessen sich viele Länder, wie Deutschland und Belgien, von der Panikmache überzeugen und schalteten ihre Kraftwerke ab.

Die Macht von Schreckensgeschichten

Erzählungen sind mächtig. Was über die Kernenergie in Umlauf gebracht wurde, hat über Jahrzehnte hinweg eine grosse Wirkung entfaltet. Die Schreckensgeschichten, die sich Hippie-Aktivisten in den 1960er-Jahren etwa über Abfälle ausdachten, waren so überzeugend, dass sie auch heute noch erzählt werden. Sie überzeugten die Öffentlichkeit, dass Kernschmelzen die Welt zerstören und ihre Familien auslöschen würden. Sie nutzten Angst, um Menschen gegen eine lebensrettende Technologie aufzubringen.

Widersprochen wurde diesen Erzählungen nur selten. Wissenschafter haben versucht, ein Gegengewicht zu schaffen, indem sie die physikalischen und technischen Zusammenhänge erläuterten. Doch Fakten überwinden selten Gefühle. Aktivisten zeichneten apokalyptische Zukunftsbilder, die durch eine jahrzehntelange Popkultur mit fantastischen Szenarien weiter angeheizt wurden, sodass Regisseure und Autoren ihre apokalyptischen Fantasien voll ausleben konnten, indem sie sich schreckliche nukleare Wüsten vorstellten. Mittlerweile lassen wir diese fantastischen Ödländer Wirklichkeit werden – dank unserer anhaltenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

Atomkraftgegner, darunter einige prominente Politiker wie die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, lügen weiterhin über Kosten und Bauzeiten von Kernkraftwerken, widersprechen der Tatsache, dass sie sauber und kohlenstoffarm sind, und erzählen, dass Wind- und Sonnenenergie die Welt mit Energie versorgen könnten. Einige Aktivisten behaupten sogar, die Technologie sei sexistisch.3

Die Daten zeigen jedoch, dass die Kernenergie, was die Zahl der Todesfälle angeht, sicherer ist als Wind- und Wasserkraft und weitaus sicherer als alle fossilen Energieträger, wenn man die Luftverschmutzung und die Todesfälle durch Unfälle berücksichtigt. Man denke nur an den Banqiao-Damm in China, der 1975 aufgrund des Taifuns Nina brach: 26 000 Menschen kamen in den Fluten ums Leben und schätzungsweise 145 000 starben später an Epidemien, die durch Wasserverschmutzung und Hungersnöte verursacht wurden. Schätzungen zufolge starben insgesamt mehr als 220 000 Menschen. Das sind mehr Todesopfer als durch alle atomaren Kernschmelzen und Unfälle zusammen.

Daher frage ich mich oft, was passiert wäre, wenn die ersten Menschen, die das Feuer verschmähten, ihren Willen durchgesetzt hätten. Gäbe es heute die moderne Zivilisation oder würden wir immer noch auf Bäumen leben? Auf jeden Fall steht die Menschheit wieder einmal an einem Scheideweg: Die Entscheidungen, die wir heute in Bezug auf die Art und Weise treffen, wie wir unsere Gesellschaft mit Energie versorgen, wie wir unsere Häuser heizen und unsere Mahlzeiten zubereiten, werden sich auf die kommenden Generationen auswirken.

«Ich frage mich oft, was passiert wäre, wenn die ersten Menschen, die das Feuer verschmähten, ihren Willen durch­gesetzt hätten.»

Armut ist gleich Energiearmut

Immer mehr Länder entkommen der Armut. Dadurch sind sie in der Lage, strenge Umweltstandards festzulegen, die zu einer besseren Luftqualität, sanitären Einrichtungen und anderen Vorteilen führen. Auf diese Weise gelingt vielen Ländern die Dekarbonisierung auf natürliche Weise, ohne dass sie ihre Wirtschaft schädigen. Seit dem 19. Jahrhundert ist die extreme Armut im globalen Süden und anderswo dank der industriellen Revolution und der gestiegenen Einkommen – letztlich dank des Wirtschaftswachstums – zurückgegangen. Daher ist die Behauptung, dass negatives Wachstum notwendig sei, um den Klimawandel zu bekämpfen, eine Lüge.

Nach den jüngsten Erfahrungen mit Energiekrisen wird vielen immer deutlicher, dass Energie gleichbedeutend mit Leben ist. Ich glaube, dass sich die Gesellschaft vorwärtsbewegt und bereit ist, die Vision einer energiereichen, kohlenstoffarmen Zukunft anzunehmen. Wenn mehr Menschen aus der Armut befreit werden, werden sie auch Zugang zu billigem Strom erhalten, der ein grosser Gleichmacher sein wird. Die Macht des Atoms liegt in unserer Reichweite. Wir müssen nur einen Schritt nach vorne tun und sie ergreifen.

Das Streben nach Wissen steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschung. Um die Grenzen unseres Wissens zu erweitern, ist eine enorme Menge an Energie erforderlich. Der Large Hadron Collider zum Beispiel ist der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. Mit ihm wird versucht, die grundlegende Struktur der Materie zu verstehen. Seine vorübergehende Abschaltung aufgrund der Energiekrise ist eine scharfe Mahnung dafür, dass die Welt saubere Energie im Überfluss benötigt.

Zion Lights, zvg.

Das Argument, dass wir den Energieverbrauch reduzieren sollten, steht im Widerspruch zur Realität des wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts. Wachstum, Entdeckung und Erforschung sind Bestandteil dessen, was uns als Spezies ausmacht. Was können wir noch entdecken, wenn wir in eine energiereiche, kohlenstoffarme Zukunft investieren? Welche Art von Zukunft können wir gestalten? Ich möchte es wissen.

  1. Pushker A. Kharecha und James E. Hansen: Prevented Mortality and Greenhouse Gas Emissions from Historical and Projected Nuclear Power. In: Environmental Science & Technology, 2013.

  2. Hannah Ritchie: What Are the Safest and Cleanest Sources of Energy? In: Our World in Data, 2020. https://ourworldindata.org/safest-sources-of-energy

  3. Femmes et nucléaire: et toujours le poing levé! In: Radio France, 30. März 2023. http://www.­radiofrance.fr/franceinter/podcasts/la-terre-au-carre/la-terre-au-carre-du-jeudi-30-mars-2023-7336670.

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Die Klimaseniorinnen aus der Schweiz im Gerichtssaal während der Urteilsverkündung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg, Frankreich, am 9. April 2024. Bild: Keystone/EPA/Ronald Wittek.
Der fabrizierte Konsens

Die Politisierung im Zusammenhang mit Klimawandel und Covid-19 erschüttert die Grundlagen der Wissenschaft. Es braucht mehr Offenheit gegenüber Abweichlern.

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