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«Zur Hölle mit der  Armutslinderung – ich will Wohlstand!»
Picture provided by courtesy of Magatte Wade.

«Zur Hölle mit der
Armutslinderung – ich will Wohlstand!»

Bürokratie und Überregulierung seien die grössten Hürden auf Afrikas Weg zum Wohlstand, sagt die Unternehmerin Magatte Wade. Westliche Staaten sollten ihre Märkte öffnen, statt Entwicklungshilfe zu schicken.

Read the English version here.

Frau Wade, Sie haben in Afrika mehrere Unternehmen ­gegründet, die ihre Produkte weltweit verkaufen.
Was war das grösste Hindernis auf dem Weg zum Erfolg?

Es ist eine ganze Konstellation von Regulierungen. In jedem afrikanischen Land bedeutet die Gründung und Führung eines Unternehmens im Grunde genommen, dass man durch Sirup schwimmt, wenn man versucht, Geschäfte zu machen. Das Hauptproblem ist die Regulierung – oder genauer gesagt: die Überregulierung.

 

Welche Art von Regulierungen?

Wenn ich alle Vorschriften allein in meinem Heimatland Senegal erläutern würde, könnte ich die nächsten zehn Jahre lang reden. Nur ein Beispiel: Angenommen, ich möchte einen Labortechniker einstellen. Er hat einen Doktortitel in Germanistik, aber das ist mir egal, und ­aufgrund seiner Erfahrung bin ich davon überzeugt, dass er die notwendigen Fähigkeiten für den Job mitbringt. Wir einigen uns auf ein Gehalt und wollen einen Vertrag ­unterschreiben. Die Regierung verlangt jedoch, dass wir einen staatlich entworfenen Vertrag verwenden. Und da der Bewerber einen Doktortitel in Deutsch hat, muss ich ihm ein Gehalt zahlen, das fünfmal so hoch ist wie mein Budget für diese Stelle. Auch die Arbeitszeiten sind staatlich festgelegt, ­obwohl wir uns darauf geeinigt hatten, dass er 40 Stunden in vier Tagen arbeiten würde, um freitags frei zu haben.

 

Das klingt ziemlich kompliziert …

Das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Wenn wir einen Vertrag unterschrieben haben, der all diese Auflagen erfüllt, müssen wir ihn zum Arbeitsaufsichtsamt bringen, einer Regierungsbehörde. Dort entscheidet ein Beamter, der nichts über mein Unternehmen weiss, ob wir den Vertrag unterschreiben können. Das kann zwei Wochen, einen Monat oder sogar länger dauern, und dann wird vielleicht entschieden, dass der Bewerber auch ein ärztliches Attest oder ein anderes Dokument vorlegen muss. Natürlich müssen wir jedes Mal, wenn wir ein Dokument vorlegen oder erhalten sollen, in die Hauptstadt oder in die regionale Hauptstadt fahren – was in meinem Fall zwei oder drei Stunden dauert –, weil diese Behörden nicht auf E-Mails reagieren. Und natürlich ist ihre Haltung immer gegen ­Arbeitgeber gerichtet, obwohl Arbeitgeber und Arbeit­nehmer im selben Boot sitzen. Das ist das Problem mit ­Regierungen: Sie verstehen einfach nicht, wie Märkte funktionieren.

 

Wie gehen Sie mit dieser Art von Hindernissen um?
Was ist Ihr Rat für angehende Unternehmer?

Wie habe ich diese Hindernisse überwunden? Ganz einfach: Ich habe glücklicherweise sehr gute Beziehungen. Ich zahle keine Bestechungsgelder. Ich war in der Lage, zum Chef des Zolls zu gehen und mir auf diese Weise zu helfen. Was meinen Rat für angehende Unternehmer betrifft, so rate ich ihnen, kein Unternehmen im Senegal oder in anderen afrikanischen Ländern zu gründen, die auf der «Ease of Doing Business»-Rangliste der Weltbank ganz unten stehen.

 

Warum haben Sie es denn getan?

Weil ich möchte, dass Menschen die Hindernisse auf dem Weg zum Wohlstand verstehen. Ich möchte, dass sie wissen, warum arme Nationen arm bleiben. Wenn man sich in der Welt umschaut, sieht man, dass Wohlstand nur auf eine Weise geschaffen wurde: durch unternehmerische Wertschöpfung. Andere nennen das Kapitalismus. Und ­dafür braucht man freie Märkte. Ich bin eine geborene ­Unternehmerin: Wenn ich ein Problem sehe, will ich es ­beheben. Unternehmer üben Kritik, indem sie etwas ­schaffen. Wenn wir in Afrika Wohlstand schaffen wollen, ­müssen wir Arbeitsplätze schaffen, und diese Arbeitsplätze werden von Unternehmern kreiert. Letztlich ist man arm, weil man nicht genug Geld hat, um seine Grund­bedürfnisse zu befriedigen. Und woher kommt das Geld? Für die meisten von uns kommt es von einer Arbeitsstelle. Arbeitsplätze kommen aus der Privatwirtschaft, aus kleinen und mittleren Unternehmen. Daher sollten wir es den Unternehmern leicht machen, Geschäfte zu machen.

«Das ist das Problem mit Regierungen:
Sie ­verstehen einfach nicht, wie Märkte ­funktionieren.»

 

Wie schwierig war es, ein Unternehmen zu gründen?

Mit meinem ersten Unternehmen, Adina World Beat, habe ich zwei Jahre lang mehr oder weniger unter dem Radar gearbeitet. Wir taten, was wir tun mussten, zahlten unsere Steuern und dergleichen, liefen aber jederzeit Gefahr, dass man uns einen Strich durch die Rechnung machen würde. Dieses Risiko bin ich eingegangen, und ich hatte Erfolg. Manche Menschen im Senegal bewegen sich manchmal in Grauzonen, bis sie Stärke und Stabilität erlangt haben. Das ist übrigens nichts Neues, auch nicht im Westen. Viele Unternehmen haben auf diese Weise angefangen. Aber auch wenn es für mich funktioniert: Man kann auf diese Weise keine Wirtschaft aufbauen, denn die Wettbewerbsvoraussetzungen sollten für alle gleich sein.

 

Was ist die Lösung für solche ­entmutigende Umstände?

Das Problem liegt in der rechtlichen Infrastruktur. Wenn es uns ernst damit ist, dass Afrika jemals wohlhabend wird, müssen wir das offen ansprechen. Andernfalls kleben wir nur Pflaster auf das Problem. Solange wir nicht viele erfolgreiche Unternehmer haben, können wir nicht erwarten, dass Afrika jemals auf seinen eigenen zwei Beinen ­stehen wird. Was mich am meisten ärgert, ist, dass wir innerhalb einer minderwertigen rechtlichen Infrastruktur überleben müssen. Wenn wir nicht über diesen erdrückenden Rechtsrahmen sprechen, werden wir es in hundert Jahren bereuen.

 

Aber ist das Problem nicht ein grundsätzlicheres? In den 1960er-Jahren entsprach das reale Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt Senegals in etwa dem Südkoreas. Heute ist Südkorea 15mal reicher. Wie erklärt sich diese Diskrepanz?

Das ist genau das, wovon ich spreche. Der Aufstieg der asia­tischen Tigerstaaten, zu denen Südkorea zusammen mit Taiwan, Hongkong und Singapur gehört, ist eine Folge der Deregulierung und niedriger Steuern. Der erste Premier­minister Singapurs, Lee Kuan Yew, wurde zwar von vielen geschmäht, führte aber Reformen ein, die zu einem Wirtschaftsboom führten.

 

Brauchen wir also nur bessere ­Politiker?

Es geht eher um bessere Institutionen. Es sollte für jeden Unternehmer irgendwo in Subsahara-Afrika genauso einfach sein, ein Unternehmen zu gründen und zu führen, wie für Unternehmer in Skandinavien. Alle skandinavischen Länder sind kapitalistischer als fast alle afrikanischen Länder südlich der Sahara. Wir könnten uns an ihnen ein Beispiel nehmen. Von den Dutzenden afrikanischer Länder südlich der Sahara braucht nur eines eine Führungsrolle einzunehmen, um die Unternehmen zu befreien. Einzelne Gesetze reichen nicht aus, wir brauchen eine umfassende Reform.

 

Nichtregierungsorganisationen sagen uns, dass der Westen bloss mehr Entwicklungshilfe zu ­schicken brauche, damit ­Afrika sich entwickle. Einverstanden?

Das halte ich für grundfalsch. Machen wir uns nichts vor: Die Lösung für Armut ist nicht Wohltätigkeit. Die Lösung für Armut ist Wohlstand, Punkt. Ich spreche nicht von humanitärer Hilfe, wenn eine Krise eintritt – eine solche erfordert natürlich sofortige internationale Hilfe. Aber ich wehre mich dagegen, dass die Hilfe chronisch wird, dass sie zu einer Industrie wird, die davon profitiert, dass die Menschen arm sind. Entwicklungshilfe kann zudem in den Taschen von Staatschefs landen, die dann Schlösser in Südfrankreich kaufen, fünf Frauen heiraten und so weiter.

 

Was sagen Sie westlichen Politikern oder Menschen, die für wohltätige Zwecke spenden? Was sollten sie stattdessen tun?

Jedes Mal, wenn europäische Politiker für mehr Entwicklungshilfe werben, verdammen sie uns zu mehr Armut und Leid. Stattdessen sollten sie sich monomanisch für die Wohlstandsförderung einsetzen. Unser grösstes Problem ist, dass die Menschen der Idee der Armutslinderung verfallen sind. Sie besagt, dass wir Afrikaner glücklich sein sollten, wenn wir nicht mehr bettelarm, sondern einfach nur noch arm sind. Wer könnte daran Freude finden?! Aber das ist leider das, was die Welt für Afrika beschlossen hat. Ich sage: Zur Hölle mit der Armutslinderung – ich will Wohlstand!

 

Einige europäische Politiker befürworten Entwicklungshilfe und lehnen es zugleich ab, ihre Grenzen für Afrikaner weiter zu öffnen. Was halten Sie davon?

Unter den europäischen Politikern sind die extreme Rechte und die extreme Linke die einzigen, die über dieses Thema sprechen. Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni ­fordert die Afrikaner auf, zu Hause zu bleiben. Am anderen Ende des politischen Spektrums sagen die extremen Linken, dass alle Afrikaner willkommen seien, weil sie zeigen wollen, wie tugendhaft sie sind und wie gross ihr Herz ist. Aber Afrikaner wollen nicht – wenn ich ein Wort der europäischen Politiker verwenden darf – «Europa überschwemmen». Es braucht etwas Aussergewöhnliches, damit Menschen von einem Tag auf den anderen beschliessen, ihre Heimat zu verlassen, ihre Familien, ihr Land, eine Gemeinschaft und alles, was sie kennen, um an einen anderen Ort zu ziehen. Dazu bedarf es besonderer Umstände. Das zeigt, dass etwas grundfalsch läuft. Diejenigen, die für völlig ­offene Grenzen eintreten, setzen am falschen Punkt an, ebenso wie Meloni. Wir müssen darüber nachdenken, ­warum die Menschen ihre Heimatländer überhaupt ver­lassen wollen. Der Grund, warum es Menschen in ihrer ­Heimat nicht gut geht, liegt darin, dass Afrika eine der am stärksten überregulierten Regionen der Welt ist, was es Unternehmern fast unmöglich macht, dort Unternehmen aufzubauen, was wiederum die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert, die Menschen ein Einkommen verschaffen, das ihnen den Zugang zur Mittelschicht ermöglicht. Gegenwärtig nutzen beide Seiten Afrikaner für politische Zwecke aus.

 

«Wir müssen darüber nach­denken, warum die Menschen ihre
Heimatländer überhaupt ­ verlassen wollen.»

 

Wie kann der Freihandel zur Schaffung von Wohlstand ­beitragen?

Ich bin eine entschiedene Befürworterin der Freizügigkeit von Personen, Waren, Dienstleistungen und Ideen. Es ist eine schlechte Idee, all diese Handelsschranken für verschiedene Produkte aus vielen Ländern zu errichten. Daher war der African Growth Opportunity Act, der im Jahr 2000 vom US-Kongress verabschiedet wurde, ein richtiger Schritt. Er ermöglicht die zollfreie Einfuhr einer breiten Palette von Waren aus den afrikanischen Ländern in die USA. Heute profitieren wir davon. Wenn ich meine Produkte aus dem Senegal in die USA bringe, zahlen wir keine Zölle, was uns hilft, wettbewerbsfähig zu sein und alle Hindernisse auszugleichen, die mein Land mir in den Weg legt.

 

Sie sind in jungen Jahren nach Europa gezogen und haben in den USA gelebt. Welchen westlichen Ansichten über Afrika sind Sie im Westen begegnet, und wie haben diese Ihr eigenes Denken beeinflusst?

Wenn man eine Zeitung aufschlägt, liest man nichts über Afrika, es sei denn, es ist etwas Grosses wie Ebola, ein Krieg oder eine andere Katastrophe. Für die meisten Menschen im Westen existiert Afrika nicht, es ist auf der Landkarte nicht verzeichnet. Das können wir ändern, indem wir unsere rechtliche Infrastruktur verbessern, damit es einfacher wird, Unternehmen zu gründen und aufzubauen, die Arbeitsplätze schaffen, die Einkommen und Wohlstand generieren. Dann werden wir wichtig werden. Solange wir arm sind, wird sich niemand um uns scheren.

 

Sie haben gesagt, dass Sie als Unternehmerin Ihre Kultur ­beeinflussen und verändern wollen. Welche Art von Kultur ­wollen Sie schaffen?

So wie die Hierarchie kultureller oder sozialer Werte aussieht, gibt der Westen vor, was cool und akzeptabel ist. Die afroamerikanische Jugendkultur durchdringt die Jugendkultur auf der ganzen Welt. Was in Amerika vor sich geht, ist das, was der Rest der Welt nachahmt und anstrebt. ­Neben Amerika gibt es vielleicht einige westeuropäische Nationen und Kulturen, nach denen der Rest der Welt strebt. Und für was ist Afrika bekannt? Grösstenteils für Krieg und Krankheiten. Es hat sich ein wenig gebessert, aber nicht genug, um die Stereotypen zu ändern.

 

Wie wollen Sie das ändern?

Mit meinen Unternehmen versuche ich, wirtschaftliche Probleme anzugehen und Arbeitsplätze zu schaffen, damit unsere Bevölkerung in ihrem Heimatland bleiben und es zum Blühen bringen kann. Gleichzeitig konzentriere ich mich immer auf Produkte, die uns die Möglichkeit geben, uns der Welt anders zu präsentieren. Ich versuche, die ­afrikanische Kultur aufzuwerten, angefangen mit meiner eigenen. Mein Ziel ist es, dass der Senegal gedeiht und wir ein Modell werden, das die ganze Welt bewundert, so wie es Amerika heute ist.

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