Zehn Tage Haft für einen Satz
In Zürich berichteten vier Menschen, wie sie wegen ihrer Äusserungen ins Visier der Justiz gerieten. Ihre Geschichten zeigen: Der Meinungskorridor in der Schweiz wird immer enger.
Dienstagabend im Zürcher Niederdorf: Rund 70 Menschen sind in der Zunft zu Schneider eingetroffen. Sie sind gekommen, um jenen zuzuhören, die sich vom Staat verfolgt sehen – wegen Worten, die nach ihrem Verständnis von der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt sein sollten. Doch der Staat sieht das anders.
Eingeladen hat das «Bündnis Redefreiheit», vormalig «Free Speech Union Switzerland». Die Organisation versteht sich als Lobby für freie Rede und will Menschen eine Stimme geben, die – so ihre Sicht – juristisch zum Schweigen gebracht werden sollen. Auf dem Podium: Unternehmer und Alt-Vorstandsmitglied der «Verfassungsfreunde» Michael Bubendorf, SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann, Cartoonistin Pierre Moret alias «Barbouille» und Handwerker Emanuel Brünisholz. Durch den Abend führt Andrea Seaman, Geschäftsführer des Bündnisses.
Steinemann springt kurzfristig für den verhinderten Claudio Zanetti ein – und berichtet über das gegen ihn laufende Strafverfahren. Der Jurist und frühere Nationalrat wird nach Artikel 261bis StGB wegen «Aufrufs zu Hass» angeklagt, weil er ein Bild geteilt hatte, das den israelischen Wappenlöwen zeigt, wie er die Hamas-Flagge zerschlägt. Für Steinemann ist der Fall exemplarisch: Sie spricht von einer politisch motivierten, inkonsequent angewandten Gesetzesbestimmung – einem Paragrafen, der zunehmend zur Waffe der Gesinnungsjustiz werde.
Pierre Moret schildert ihre eigene Erfahrung. Sie wurde angeklagt, weil sie in einem Social-Media-Post die LGBTQ+-Ideologie als «degeneriert» bezeichnet hatte. Nach einem langen Verfahren wurde sie freigesprochen. Ihr Fall, sagt sie, zeige, wie schnell heute provokante Aussagen vor Gericht landen können – und wie entscheidend öffentlicher Druck für ein faires Verfahren geworden sei.
Michael Bubendorf wiederum erzählt, wie er wegen seiner libertären Ansichten als «staatsgefährdend» eingestuft und psychiatrisch begutachtet wurde. Der Staat, sagt er, begegne abweichenden Meinungen mit Repression, nicht mit Argumenten: «Jedes staatliche Handeln beruht letztlich auf der Androhung oder Anwendung von Gewalt.» Emanuel Brünisholz schliesslich berichtet von seinem eigenen Protest im Kleinen: Aus Prinzip habe er eine Busse von 500 Franken nicht bezahlt – verhängt, weil er den Satz «Skelette können nicht trans sein» öffentlich geäussert hatte. Die Folge: zehn Tage Haft.
Die Geschichten der vier sind verschieden, doch sie eint das Gefühl, für blosse Meinungsäusserungen kriminalisiert zu werden. Und sie werfen die Frage auf, wo in der Schweiz die Grenze zwischen strafbarer Hassrede und unliebsamer Meinung verläuft. (Alex Buxeda)