Shitstorm im alten Preussen

Mitte der 1830er Jahre erschütterte ein Skandal um zwei Priester die ostpreussische Stadt Königsberg (heute Kaliningrad). Johannes Ebel und Georg Diestel, deren inspirierten Predigten einfache Handwerker, aber auch Leute und insbesondere Frauen aus besten Häusern begeisterten, wurde die Gründung einer Sekte vorgeworfen. In die wüste Kampagne mischten sich auch Gerüchte über sexuelle Eskapaden in ihrem Kreis. Es sei zu einer ausserehelichen Schwangerschaft gekommen, hiess es. Zwei junge Frauen seien gar an übermässiger Erregung gestorben.

Der Historiker Christopher Clark, der zufällig auf die Geschichte gestossen ist, erzählt sie sachlich nüchtern – und doch liest sie sich streckenweise wie ein spannender Krimi. Er ordnet den (vermeintlichen) Skandal in den grösseren politischen und religiösen Kontext ein.

Das frühe 19. Jahrhundert war eine Zeit, in den viele neue religiöse Bewegungen wie Pilze aus dem Boden. In Zürich führte die Berufung des umstrittenen Theologen David Friedrich Strauss an die Universität 1839 zu einem Aufstand konservativer Landbewohner (dem «Züriputsch»). «Das Schwinden kirchlicher Autorität ging einher mit einer Verstärkung der religiösen Empfindung», schreibt Clark. Ebel und Diestel, welche die Lehren der Bibel mit der Vernunft zu verbinden suchten, lösten bei den preussischen Eliten offensichtlich Verunsicherung aus.

Die Vorwürfe standen von Beginn weg auf schwachem Fundament, und doch verloren die beiden Geistlichen ihre Posten, ihr Ruf war ruiniert und sie mussten ins Gefängnis. Der «Skandal» war aus Clarks Sicht keine im Volk entstandene Aufregung, sondern eine von den Eliten orchestrierte Kampagne. Parallelen zu manch einem Shitstorm in der heutigen Zeit sind nicht von der Hand zu weisen. (Lukas Leuzinger)

Christopher Clark: Skandal in Königsberg. Eine Geschichte von Moral, Medien und Politik aus dem alten Preussen. DVA, 2025.