Die Ménage à trois des Geldes
Wie sich unser Geldsystem selbst ad absurdum führt
Es war einmal ein fernes Land, in dem es zu einer Hypothekenkrise kam. Das war 2007 und hiess Subprimekrise. Der finanzielle Schaden war begrenzt. Daraus ergab sich im Herbst 2008 eine globale Bankenkrise. Weltweit wurden für Tausende von Milliarden Franken grosse Banken von den Staaten und Zentralbanken über Wasser gehalten. Der nächste Schritt waren Staatsfinanzkrisen, die seit Frühling 2010 zu einer Währungssystemkrise geführt haben. Und heute? Heute haben wir alle vier Krisen gleichzeitig.
Was geht hier vor? Wie konnte es so weit kommen? Klar ist: die zentralen Eckwerte der Krise sind zu viel Geld, zu viele Schulden und Staatsgarantien: Ausgelöst wurde die Krise durch die Versorgung der amerikanischen Wirtschaft (über Geschäftsbanken) mit zu viel Geld durch die amerikanische Notenbank. Dadurch ergaben sich an den Finanzmärkten zu tiefe Zinssätze. Der Markt wurde getäuscht.
Diese Krise ist eine Schuldenkrise. Es geht immer um eine Kreditbeziehung zwischen einem Schuldner und einem Gläubiger. Kompliziert wird die Krise durch die Tatsache, dass Schuldner und Gläubiger mit Staatsgarantien rechnen, die Staaten gar nicht erfüllen können.
Heute von einer Finanzkrise zu sprechen, ist eine Untertreibung. Die Wirtschaft steckt in einer Geldkrise, was viel schlimmer ist, denn Geld ist das zentrale Medium einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft. Ohne Geld als universelles Tauschmittel, als Recheneinheit und als Mittel der Wertaufbewahrung gibt es keine moderne Marktwirtschaft.
Staaten, Banken, Notenbanken
Die drei Hauptakteure der Krise sind die Staaten, die Geschäftsbanken und die Notenbanken. Alle drei verfügen heute in den entwickelten Ländern über zu hohe Schulden und wacklige Bilanzen. Sie finanzieren, garantieren und unterstützen sich gegenseitig auf mannigfach verschlungene Weise. In der finanziellen Ménage à trois wäscht eine Hand die andere.
Die Industriestaaten haben bereits vor der Bankenkrise ihre Verschuldung massiv erhöht. Betrug sie Anfang der 1980er Jahre durchschnittlich noch 40 Prozent, belief sie sich 2008 auf 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Mit den Schulden wurde das Wachstum finanziert. In der Rolle der Stimmbürger und Wähler erteilte die Bevölkerung demokratische Legitimation. In der Rolle als Anleger und Steuerzahler wollen die gleichen Leute die Konsequenzen heute jedoch nicht tragen.
Die Staatsschulden wachsen ungebremst weiter. Ende 2012 werden sie für die Industrieländer durchschnittlich über 100 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, also ein ganzes Jahr Arbeit. Grund sind einerseits die Rettungskosten für die Banken, andererseits und deutlich einschneidender sind es jedoch die einbrechenden Steuererträge, die sich aus dem Konjunktureinbruch im Gefolge der Bankenkrise ergeben haben. Diese Erfahrung ist nicht neu, das ist seit 200 Jahren der Fall. Heute kommen jedoch die in Krisenzeiten steigenden Kosten der Sozialsysteme dazu.
Die grossen internationalen Geschäftsbanken haben seit Ende der 1990er Jahre ihre Bilanzen massiv verlängert, ohne zusätzliches Eigenkapital aufzunehmen. Dank «grosszügiger» staatlicher Eigenkapitalvorschriften haben diese Banken den Schuldenhebel rücksichtslos eingesetzt. Mit ihren grossen Bilanzen waren sie nicht in der Lage, die Verluste aus der Subprimekrise und dem Konjunktur-einbruch zu verkraften. Zudem misstrauen sich die Banken seit dem Krisenausbruch gegenseitig, wodurch das internationale Finanzsystem und damit der Handel zu kollabieren drohen. Abgewendet wurde und wird der Kollaps des Bankensystems durch die Notenbanken, die den Geschäftsbanken Geld billig zur Verfügung stellen und staatliche Schrottpapiere als Sicherheit akzeptieren. Im Gegenzug verhindern oder verzögern die Banken mit dem Kauf maroder Staatsanleihen den Zusammenbruch der Staatsfinanzen. Damit ist es nicht verwunderlich, dass die Banken von schuldengeplagten Regierungen ausdrücklich zum Kauf von Staatsanleihen aufgefordert werden und dass neue Liquiditätsvorschriften diesen fast schon erzwingen.
Die Banken ihrerseits lassen sich nicht lange bitten – das Geschäft ist hochprofitabel. Beispielsweise können italienische Staatspapiere mit einer Rendite von 7 Prozent mit langfristigem Geld der Notenbanken fast gratis refinanziert werden. Sollte doch etwas schiefgehen, dürfen die Geschäftsbanken mit dem Wohlwollen der Politik rechnen, denn ein Staatsbankrott wäre beim Untergang der Banken nicht mehr abzuwenden. So wäscht eine Hand die andere.
Als Dritte im Bunde spielen die Notenbanken eine zentrale Rolle. Auch sie haben ihre Bilanzen und Schulden massiv ausgebaut. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die Bilanzsumme seit Ausbruch der Krise verdreifacht, das Eigenkapital hat sich zeitweise um 70 Prozent reduziert. Euphemistisch spricht man bei den Zen-tralbanken aber nicht von Schuldenmachen, sondern von «Geld schaffen». Das ist freilich ökonomisch das gleiche. Das Fremdkapital der SNB besteht hauptsächlich aus den in Verkehr gesetzten Banknoten und den Sichtguthaben der Banken. Weltweit haben die Notenbanken ihre Schulden in der Form von Geld dramatisch erhöht. Das Geld steht den Geschäftsbanken zur Verfügung. Mit dem Geld kaufen die Geschäftsbanken Staatspapiere. Diese Staatspapiere hinterlegen sie bei der Notenbank wiederum als Sicherheit für günstige Kredite. Die amerikanischen Notenbanker sind etwas salopper als ihre europäischen Kollegen. Statt via Geschäftsbanken kaufen sie direkt amerikanische Staatspapiere und weisen darauf hohe Gewinne aus. Die amerikanische Notenbank ist der grösste Gläubiger der USA, noch vor China. Hinter jeder Dollarnote stehen als Deckung 68 Cents amerikanischer Staatspapiere, für die restliche Deckung sorgen Hypothekarpapiere, die wiederum mit staatlicher Garantie versehen sind. Wenn wir Staat und Notenbank konsolidiert betrachten, entpuppen sich Dollarnoten als zinslose, ungedeckte Staatsschulden. Kreditgeber sind die Noteninhaber.
Das Rezept in der Ménage à trois lautet «Mehr Geld, mehr Schulden, mehr Garantien». Allein: das Rezept funktioniert auf Dauer nicht.
Der Schleier des Geldes
Die Rolle der Zentralbanken in der Ménage à trois bringt das Geld und damit das zentrale Medium einer marktwirtschaftlichen Ordnung ins Spiel. Die Notenbanken besitzen das staatliche Monopol zur Umwandlung von wertlosem Papier in wertvolles
gesetzliches Zahlungsmittel, in Geld. Geld steht als Kreditbeziehung auf der Passivseite der Bilanz der Notenbank und als Guthaben auf der Aktivseite der Bilanzen der Geldbesitzer. Die Notenbank, also letztlich der Staat, ist der Schuldner, der Geldbesitzer ist der Kreditgeber und trägt die entsprechenden Risiken.
Das war nicht immer so und muss nicht immer so bleiben. Seit dem Altertum existierte Geld in der Form von Münzen, deren Wert durch den Silber- und Goldgehalt bestimmt war. Geld war ein werthaltiges Tauschgut, es hatte keine Gegenpartei. Ab dem 16. Jahrhundert nahmen Geldwechsler und Juweliere Münzgeld gegen Quittung in Verwahrung. Diese Quittungen wurden als Zahlungsmittel verwendet und bildeten eine Frühform der Banknote. Ab dem 19. Jahrhundert fand die Banknote in Europa als Zahlungsmittel breite Verwendung. Sie blieb jedoch eine Quittung oder eine Depotbestätigung, die bei der Bank jederzeit wieder in das deponierte Gut umgetauscht werden konnte. Um die Zeit des ersten Weltkrieges waren nicht mehr alle Banknoten durch Edelmetalle und Münzen gedeckt, und die Golddeckung wurde aufgegeben. Eine unvorstellbare Hyperinflation in Deutschland war die Folge. Den definitiven Todesstoss erhielt die gedeckte Banknote 1971 mit der Aufkündigung der Verpflichtung zur Goldeinlösung der Dollarnoten durch den amerikanischen Präsidenten Richard Nixon. Seither ist Notengeld eine reine Kreditbeziehung. Die Konsequenzen werden jetzt nach 40 Jahren sichtbar.
In der Wirtschaftstheorie wurde Geld von Adam Smith und anderen Klassikern als neutraler Schleier betrachtet, der über der Realwirtschaft liegt. Die Zwischenschaltung des Geldes dient in dieser Sicht der Erleichterung des Tausches von Gütern und Leistungen und der Abbildung von Schuldverhältnissen. Geld hat keine eigenständige wirtschaftliche Gestaltungskraft. Der Geldschleier verbirgt den dahinter liegenden Kern der Sache, den man erkennen kann, wenn man den Schleier entfernt. Das war für diese Periode des Münzgeldes ein zutreffendes Bild. Geld war ein werthaltiges Tauschgut.
Heute sieht die Wissenschaft im Geld das Gestaltungsmittel schlechthin. Mehr Geld soll die Wirtschaft aus der Krise führen, einen nächsten Konjunktureinbruch verhindern, Banken stabilisieren, das Wachstum sicherstellen. So betrachten viele Experten den unbeschränkten Kauf von Obligationen der verschuldeten europäischen Länder durch die Europäische Zentralbank (EZB) als einzig mögliche Lösung der Eurokrise. Finanzieren soll die EZB die Käufe durch die Notenpresse. Geld ist aber eine Schuld der Notenbank und des Staates, Kreditgeber sind die Geldbesitzer, und sie tragen die Kredit- und anderen Risiken.
Wie weiter? Zwei Prognosen und eine Feststellung seien jedoch gewagt: (1) Längerfristig wird das Schuldenproblem durch Inflation gelöst, wie das die Staaten seit der Entstehung des Geldes immer getan haben. (2) Ein Schuldenabbau wird zwangsläufig mit einem stark reduzierten Wachstum, wahrscheinlicher mit einer Schrumpfung der Wirtschaft verbunden sein. Und als Feststellung gilt: der Geldschleier hat eine neue Bedeutung erhalten. Geld dient der Verschleierung der realen wirtschaftlichen Tatsachen durch den Staat.