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Anschwellende Einfalt

Adeline, Marie, Carlos: die immergleichen Themen, die ewigselben Zugänge auf allen Kanälen, in allen Titeln, in allen Köpfen – im «Blick», im «Tagi», in der «NZZ». Ueli Maurer hat recht, wenn er einen zunehmenden «Einheitsbrei» diagnostiziert. Aber: woher kommt dieser Brei wirklich?

Bemerkenswert an der anhaltenden Debatte um die Medienqualität in der Schweiz ist der Konsens, der sich quer durch das politische Spektrum abzeichnet: Wir haben immer mehr Einfalt und immer weniger Vielfalt. Stimmt diese Mainstreamdia-gnose, die Bundesrat Maurer an der Tagung der Schweizer Verleger resonanzreich bekräftigte? Ja, leider.

Vergleicht man zwischen 1980 und 2013 die zehn wichtigsten Themen, über die innerhalb eines Jahres am meisten im «Blick», im «Tages-Anzeiger» und in der «NZZ» berichtet wurde – also in der grössten Boulevardzeitung, in der grössten regionalen Forumszeitung und in einer immer noch weltanschaulich orientierten überregionalen Zeitung –, so zeigt sich, dass das Beitragsvolumen zu denselben Themen in diesem Zeitraum um rund 23 Prozent zugenommen hat. Die Themenvielfalt nimmt also selbst in maximal verschiedenen Formaten ab, es wird zunehmend über dasselbe berichtet.

Weil nun die Welt seit dem Ende das Kalten Krieges kaum um knapp ein Viertel simpler geworden ist, muss die Ursache für die geschwundene Vielfalt bei den Medien selbst gesucht werden, die uns täglich diese Welt vermitteln. Und weil dieser Effekt seit den 1980er Jahren zu beobachten ist, kann der Grund wachsender Einfalt nicht ausschliesslich in der jüngsten Entwicklung liegen.

Der Wurm ist drin

Der «Wurm» steckt also drin, in der schweizerischen Medienlandschaft. Primär diagnostiziert Maurer diesen Wurm in einer «thematischen und ideologischen Konzentration», die zu nichts weniger als zu einer «selbstverfügten Gleichschaltung» geführt habe. Das ist eine bemerkenswerte medienpolitische Position, immerhin leben wir in einer pluralistischen Demokratie.

Zusätzlich greift Maurer eine Position auf, die sonst vom sozialdemokratischen Lager vertreten wird, die «ökonomische Konzentration». Während konservative Kräfte wie Tito Tettamanti, Markus Somm, Filippo Leutenegger und andere in erster Linie einen wohligen Sozialdemokratismus bei den Journalisten dingfest machen und nur am Rande von «Monopolen» sprechen, bezieht sich das medienpolitische Grundsatzpapier der SP Schweiz auf Strukturprobleme im Mediensystem und verweist dabei prominent auch auf den ökonomischen Konzentrationsprozess.

Schauen wir uns zuerst einmal die erste Position näher an. Sind die Journalisten also tatsächlich «denkfaul»?1 Legen sie sich wirklich in ein bequemes weltanschauliches Bett, reproduzieren sie bloss seichte Staatsapologetik und feiern sozialdemokratische Kuschelpolitik? Nein. Staatliche Akteure wurden in unseren Datenreihen, die 1910 beginnen, noch nie so stark skandalisiert wie seit den 1990er Jahren, und auch für eine gewachsene Zustimmung für sozialdemokratische Vorlagen gibt es im historischen Vergleich keinerlei Anzeichen.

Mit ihrer Konzentration auf moralische Defekte in der Me-dienbranche verpasst die rechtskonservative Medienkritik die wesentlichen strukturellen Gründe wachsender Einfalt. Hinsichtlich des Konzentrationsprozesses weisen Ueli Maurer und die SP in die richtige Richtung – damit sind wir bei der zweiten Position angelangt: Vielfaltsverlust durch Medienkonzentration.

Tatsächlich sind Geschwindigkeit wie Ausmass dieses Konzentrationsprozesses seit der Jahrtausendwende ohne Beispiel in der Schweizer Geschichte, nachdem bereits die 1980er und 1990er Jahre durch den Aufkauf vieler Verlage und ein intensives Zeitungssterben gekennzeichnet waren. Die drei grossen Verlage Tamedia, Ringier und die NZZ-Gruppe, die 2001 in der deutschen Schweiz bereits einen Marktanteil von 47 Prozent unter den weitverbreiteten Printangeboten aggregierten, beherrschen nun diesen Lesermarkt mit 82 Prozent. Der damit verbundene Vielfaltsverlust an eigenständigen Verlagen, Redaktionen und Zeitungen ging und geht einher mit der Ausdehnung von Mantel- und Kopfblattsystemen, also der Publikation gleicher Inhalte, und einer säuberlichen Aufteilung von Absatz- und Werbeterritorien, die das verflossene Bierkartell locker in den Schatten stellt.

Nur noch wenige Kantone verfügen über zwei unabhängige Zeitungen, die das politische, wirtschaftliche und kulturelle Geschehen vermitteln. Leider wurde dieser Vielfaltsverlust in der Weltbeobachtung durch die Online-Newssites nicht wettgemacht. Im Onlinemarkt ist die Konzentration vielmehr noch wesentlich höher als im Print. Nur die grossen Player im Print können sich online durchsetzen und stossen hier auf branchenfremde Anbieter wie bluewin.ch (Swisscom) und msn.ch (Microsoft Advertising Schweiz), die im Netz die immergleichen letzten News gratis vertickern.

Darüber hinaus haben wir es seit der Jahrtausendwende auf Kosten vorab der Abonnementszeitungen mit einem Quantensprung in der Verbreitung qualitätsniedriger Medienangebote zu tun (Gratisangebote on- und offline); deren Softnewsanteil erreicht bis zu 70 Prozent, wobei sie ebenfalls stark vom Agenturticker abhängen. Der Strom gleichförmiger Inhalte des Human Interest on- und offline steht also den gleichartigen Agenturnachrichten zur Seite. Nur schon im Print hat sich der Schweizer Boulevardjournalismus – durch die Verbreitung der Gratiszeitungen – seit 2000 verdoppelt; kein Wunder, nimmt man überall dasselbe zur Kenntnis.

Boulevard ist Mainstream

Mainstreamjournalismus ist heute in der Schweiz Boulevardjournalismus, während dieser noch in den 1990er Jahren eine Nische bildete. Dadurch verändert sich die öffentliche Kommunikation grundlegend: Neben der Dominanz von Human Interest und Sport führt dies zu einer ausgeprägten moralisch-emotionalen Bewirtschaftung singulärer Fälle, die auf die Agenda des Informationsjournalismus insgesamt durchschlagen. Um nur aktuelle Beispiele anzuführen: Die Berichterstattung über die getötete Betreuerin «Adeline» ist 2013 in den Wochen 38 und 39 das Thema mit den meisten Frontseitenbeiträgen in den grössten Medientiteln der Presse, des Radios, von TV und der Newssites in der ganzen Schweiz. Der Fall «Marie», der ermordeten Ex-Freundin eines Straftäters, erzielte in den Wochen 20 bis 23 hinter der Steueraffäre Schweiz–USA die zweitgrösste Zahl der Beiträge, und zum Fall «Carlos» wurden in den Wochen 35 bis 38 am drittmeisten Beiträge publiziert. Bei «Carlos» las man in nicht weniger als 88 Prozent der Beiträge dieselben Fallspezifika, d.h. Deo, Unterbringung, Kosten etc.; nur der kleine Rest der Berichterstattung bettete diesen Fall in die Umsetzungsprobleme des schweizerischen Jugendstrafrechts ein.

Die Dominanz solcher Hypes in der Medienarena wird durch die beständigen Einordnungsverluste des Informationsjournalismus unterstützt. Auf Kosten von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen werden die News als News isoliert; dies erschwert uns allen die
Debatte darüber, ob wir es über Betroffenheit und Empörung im Einzelfall hinaus tatsächlich mit Problemen sozialer Ordnung zu tun haben, die politische und rechtliche Massnahmen erfordern.

Wie ist es so weit gekommen? Die erste Ursache anschwellender Einfalt ist ein grundsätzlicher Strukturwandel des Medienwesens, der mit der Entbettung der Medien von ihren Herkunftskontexten bei Verbänden, Parteien, Kirchen sowie bei Verlegerdynastien begann. Sie mündete in eine Kommerzialisierung des Informationsjournalismus, die uns vor allem seit den 1980er Jahren sukzessive mehr vom Gleichen beschert. Schwindende Vielfalt verdanken wir also bereits der Ablösung des weltanschaulichen Angebotsmarktes im Medienwesen, in dem ökonomische Ertragserwartungen zweitrangig waren, durch einen Informationsmarkt mit primären Ertragserwartungen. Durch Skaleneffekte befeuert dieser Newsmarkt den Konzentrationsprozess weiter.

Während dieses Geschäftsmodell in den 1990er Jahren ertragreich funktionierte, zeigten die dot.com-Krise und die Weltwirtschaftskrise dessen Fragilität; und die Zerstörung der alten Ehe von Publizistik und Werbung durch die Digitalisierung markiert nicht nur in der Schweiz die grundsätzliche Krise des Modells. Dies ist die zweite Ursache für die anschwellende Einfalt: Der Abfluss von Werbeeinnahmen zu neuen Akteuren, der Preiszerfall für Werbung im Netz und das Abschmelzen der Kauferträge bei Abonnements und am Kiosk führten und führen – verschärft unter der Prämisse hoher Ertragsziele – zu Sparrunden, Entlassungen, zur Industrialisierung der Newsproduktion, zur Zusammenlegung von Redaktionen und zum Abbau von Ressorts und Korrespondentennetzen.

Dies wiederum hat eine verstärkte Agenturenabhängigkeit sowie einen werbeorientierten Klickratenjournalismus mitsamt seinem gesteigerten Aktualitätsdruck zur Folge. All dies bedeutet mehr Einfalt, eine Einfalt, die sich auch in der Selbstkannibalisierung der Branche zeigte, die durch Gratisangebote auch noch das Preisbewusstsein für Journalismus bei den Konsumenten zerstörte.

Dabei benötigen wir das genaue Gegenteil. Die Rechnung ist einfach: Wenn wir wieder mehr Vielfalt wollen, werden wir alle deutlich mehr für Journalismus zahlen müssen. Mit Blick auf diesen Strukturwandel, den niemand ernsthaft leugnen kann, zeigt sich ein weiterer, versteckter Konsens zwischen rechtskonservativen und sozialdemokratischen Positionen. Freilich, die einen handeln, während die anderen nur postulieren können. Weil ein Informationsmarkt mit primären Ertragserwartungen mehr vom Gleichen produziert und dies vor allem bei schrumpfenden Einnahmen auch noch möglichst billig, kaufen rechtsbürgerliche Akteure wieder Medientitel und kehren damit zu einem weltanschaulich orientierten Angebotsmarkt mit sekundären Ertragserwartungen zurück; die anderen hingegen wollen die Qualität des Journalismus durch politische Massnahmen sichern. Beides wird die notwendige medienpolitische Debatte beleben. Denn: Wer will schon noch mehr Einfalt?

 


1 «Medien zwischen Denkfreiheit und Denkfaulheit» war der Titel einer Tagung der Medienvielfalt Holding im Jahre 2013.

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