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Ich schaffte es nicht, mit
Algorithmen eine darbende Beiz wiederzubeleben –
wahrscheinlich ist es besser so

Künstliche Intelligenz kann Leben retten und Kriminelle bekämpfen. Manchmal geht es aber auch einfach nur um Spass.

Ich schaffte es nicht, mit  Algorithmen eine darbende Beiz wiederzubeleben –  wahrscheinlich ist es besser so
Die Männerversteigerung in Appenzell im Blick, 24. Juni 1995. Bild: Screenshot, Blick.

Rückblickend würde ich die Börsensoftware für Restaurants wohl nicht mehr machen. Aber es waren andere Zeiten. Wir waren jung und der Trend zur Erlebnisgastronomie kam ins Rollen: Weil ein Bekannter von mir in Appenzell ein Dancing übernahm, das wiederbelebt werden musste, machten auch wir uns Gedanken, wie wir Gäste in sein Lokal bringen könnten.

Inspiriert vom Film «Und täglich grüsst das Murmeltier», organisierten wir eine Männerversteigerung. Den Erlös wollten wir einer wohltätigen Institution zukommen lassen, die allerdings via Zeitung ablehnte, weil sie nicht mit einer «solchen Veranstaltung» in Verbindung gebracht werden wollte.

Die Versteigerung war ein voller Erfolg. Um 21 Uhr versammelten sich 200 Frauen im Dancing, um 20 Männer zu ersteigern. Die versammelte Schweizer Presse war vor Ort. Der «Blick» titelte gross: «200 Frauen trieben Oliver in die Höhe». Ein echter Knüller. Aber auch nur ein Spass für ein Wochenende. Zu wenig, um das Dancing auf Dauer rentabel zu halten.

Börsenpreise für Drinks

Um den Absatz im Lokal zu steigern, kamen wir auf die Idee eines Börsenspiels für Restaurants. Wir entwickelten eine Kassenlösung, die neben Fixpreisen auch Börsenpreise anbot, je nach Angebot und Nachfrage.

Wer ins Lokal kam, sah auf dem Bildschirm sofort den Preis für einen Gin Tonic. War der Preis tief, kauften Gäste gleich mehrere Optionen für den Abend, was wiederum den Preis in die Höhe trieb. Ein Preismodell, das auf Gästeverhalten und Preisoptimierung basierte.

Und wenn man die Kasse noch mehr klingeln lassen wollte, wurde ein Preissturz eingeleitet, was unter den Gästen oft einen Kaufrausch auslöste. Wo heute Facebook, TikTok & Co. mit Algorithmen die Bildschirmzeit erhöhen, versuchten wir damals, mit Algorithmen den Umsatz anzukurbeln.

«Wo heute Facebook, TikTok & Co. mit Algorithmen die Bildschirmzeit erhöhen, versuchten wir damals, mit Algorithmen den Umsatz anzukurbeln.»

Eine Geschäftsidee muss persönlich passen

Wir verkauften das Börsensystem in kurzer Zeit an mehrere darbende Betriebe, die sich davon einen Rettungsanker erhofften. Gerettet hat es keinen. Unser System konnte zwar kurzfristig den Umsatz steigern, aber nicht die grundlegenden Probleme der Betriebe lösen.

Da ich selbst keinen Alkohol mag, interessierten mich nur die Technik, das Marketing und die lehrreichen Erfahrungen. Beim Blick hinter die Kulissen eines Barbetriebes wurde mir schnell klar, dass eine Geschäftsidee auch persönlich passen muss. Für mich war es kein Fit.

Es macht auch keinen Spass, wenn die eigenen Algorithmen unangenehme Folgen haben. Natürlich bin ich nicht für das Konsumverhalten anderer verantwortlich, aber ich bin es mir gegenüber eben doch.

«Es macht keinen Spass, wenn die eigenen Algorithmen unangenehme Folgen haben. Natürlich bin ich nicht für das Konsumverhalten anderer verantwortlich, aber ich bin es mir gegenüber eben doch.»

Das Wunderbare an Algorithmen ist: Richtig eingesetzt, können sie unser aller Leben verbessern. Drei Beispiele:

Heisst das, dass Algorithmen nicht mehr für Spiel und Spass eingesetzt werden sollen? Ganz und gar nicht. Unser Unternehmen setzt heute Algorithmen ein, um Banken vor Betrügern zu schützen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich in Zukunft wieder eine Idee verfolge, bei der es um reinen Spass geht. Wichtig scheint mir nur, dass wir wissen, was wir tun, und dass wir dazu stehen.

Und falls es Sie interessiert, wie wir die Einnahmen der Männerversteigerung gespendet haben: Die 2500 Franken halfen einer bedürftigen Person, ihr Auto reparieren zu lassen, damit sie auch weiterhin zu ihrer Arbeit fahren konnte. Ganz ohne Algorithmus.

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