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An Verantwortung zerbricht man nicht – eher an deren Fehlen
Illustration von Illustrateuse (Christina Baeriswyl), illustrateuse.ch.

An Verantwortung zerbricht man nicht – eher an deren Fehlen

Ein Debakel beim Schulfest lehrte mich, dass Anpacken Freude macht.

Mein Gymnasium plante ein grosses Schulfest. Unser Lehrer fragte, was wir als Klasse beisteuern könnten. Als sich niemand meldete, schlug ich vor, dass wir Glace verkaufen könnten. Die Idee kam lauwarm an, aber das bemerkte ich gar nicht, denn ich war hellbegeistert. Der Lehrer fragte, ob ich das organisieren würde. Ich sagte Ja, ohne gross nachzudenken. Als der Tag des Schulfests näherrückte und ich nach dem Stand der Vorbereitungen gefragt wurde, begann ich zum ersten Mal, ernsthaft ­darüber nachzudenken.

Jetzt wurde mir klar, dass ich Glace organisieren musste, dass ich Eiswaffeln, eine Kühlgelegenheit und einen kleinen Verkaufsstand brauchte. Ich war komplett überfordert. Ich hatte niemanden organisiert, niemanden um Hilfe gefragt, kein Team um mich gesammelt, und ich musste natürlich auch das Geld vorstrecken, um die Glace und die Waffeln zu kaufen. In meiner Verzweiflung bat ich meinen Vater um Hilfe. Er half mir, trotzdem lief es nicht wie erhofft. Die Glace schmolz schneller, als ich sie verkaufen konnte, denn alle waren beim Feiern. So endete diese Idee in einer matschigen Sauce.

Ich habe mich noch lange Zeit gegrämt, dass mir das so misslungen ist. Die Idee war gut, aber ich hatte Fehler gemacht. Das wurde mir beim Reflektieren klar. Ich hatte allein die Verantwortung übernommen, folglich hätte ich das Projekt organisieren müssen. Zum Beispiel hätte ich die Klassenkameradinnen fragen und frühzeitig planen sollen. Ich hatte die Idee geäussert, euphorisch zugesagt und naiv geglaubt, damit sei es getan.

An Verantwortung wachsen

Aus diesem Erlebnis habe ich zwei Lektionen gelernt. Erstens: Mache nichts alleine, sondern suche dir ein Team. Verantwortung und Erfolg lassen sich gut teilen. Zweitens: Lass dich nicht beirren, aber plane besser, hab Freude an deinen Ideen, verwirkliche sie und übernimm die Verantwortung, unabhängig vom Ergebnis.

Diese Freude an Verantwortung wollte ich auch meinen Buben vermitteln. Es war mir wichtig, dass sie lernen, Verantwortung zu übernehmen – und zwar mit Freude. Ich wollte meinen Jungs zeigen, dass Verantwortung ein grosses, ein sehr befriedigendes Gefühl ist. Sie ist keine erdrückende Last, sondern sie lässt einen wachsen und aktiv das Leben gestalten. Sie ist eine schöne Tugend. Wobei ich das Wort Tugend nie verwendet habe. Ich habe auch das Wort Verantwortung nicht verwendet, sondern es ihnen ermutigend vorgelebt. So wurden sie unter anderem begeisterte Pfadfinder und haben Führungsaufgaben übernommen. Sie haben sich samstags kreativ ausgetobt, Herausforderungen gemeistert und Lager geleitet.

Verantwortung für sich, für andere und für die eigene ­Umwelt zu übernehmen, ist für mich keine akademische oder philosophische Frage, sondern Alltag. Dadurch festigen wir unsere Freiheit und die demokratischen Strukturen. Ich habe kein Problem damit, wenn Mitmenschen Verantwortung abschieben, ob aus Sorge oder Überforderung. Aber ich habe Mühe, wenn die gleichen Personen dann reklamieren, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sich das vorgestellt haben. Oder sich zu Opfern stilisieren. Das ist zu bequem.

Die Resilienzforschung beweist: An einer herausfordernden Verantwortung zerbricht man nicht, eher an deren Fehlen. Denn Verantwortung und das damit zunehmende Selbst­bewusstsein brauchen Raum und Erfahrung, um zu wachsen. Deshalb muss man seinen Kindern auch beibringen, wie sie sich vor den verantwortungslosen Motzern schützen und die Zuversicht behalten.

Denn wenn man die Verantwortung übernimmt, kann es auch ein frustrierender Misserfolg sein, siehe das Glace­verkaufsdebakel. Übrigens: Niemand hatte damals negative Bemerkungen gemacht. Auch das hat mir geholfen, die Freude an der Verantwortung beizubehalten.

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