«Wir tanzen auf einem Vulkan»
Die Lust an der Apokalypse oder kluge Vorausschau? Matthias Weik und Marc Friedrich empfehlen, sich auf den nächsten grossen Finanzcrash vorzubereiten.
Dabei ist klar: Er kommt bestimmt. Früher oder später.
Sie sehen schwarz für die Weltwirtschaft und für das globale Finanz-system und propagieren den Crash als Lösung. Sie fordern tiefgreifende Reformen des Geldsystems und eine Rückkehr zu wirtschaftlichen Tugenden. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass ein Kollaps mit diesen Mitteln abgewendet werden kann?
Marc Friedrich (F): Die Chance dafür geht gegen null. Wir zeigen in unserem Buch, dass es leider im bestehenden System keine Lösung gibt – vor allem nicht mit den Protagonisten in Politik und Finanzwirtschaft. Deshalb sagen wir: es braucht ein reinigendes Gewitter und erst dadurch wird ein tiefgreifender Struktur- und Denkwandel initiiert. Leider ist es so, dass die Menschen zumeist erst durch ein katastrophales Ereignis dazu gezwungen werden müssen, etwas zu ändern.
Matthias Weik (W): Kürzlich sagte uns jemand aus dem Bundeswirtschaftsministerium, er sei rein argumentativ mit unserer Analyse einverstanden, doch er wolle den Niedergang persönlich nicht wahrhaben. Ich glaube, die Aussage sagt alles.
Damit vermiesen Sie vielen die Laune. Auf Ihre Crash-These kommen wir noch. Optimisten meinen, dass das Schlimmste überstanden sei, viele Länder neue Regierungen hätten und Banken dank neuen Eigenkapitalanforderungen sicherer seien als vor der Finanzkrise.
F: Die Fakten sprechen eine andere und sehr deutliche Sprache. Eher das Gegenteil ist eingetreten: Die Banken haben sich seit 2008 mit noch mehr Geld vollgesogen, sind dadurch noch grösser, noch mächtiger und vor allem noch systemrelevanter geworden. Sie haben damit lediglich ihr Erpressungspotential gegenüber den Staaten und Bürgern bei der nächsten Krise erhöht. Die Rettungspakete haben immense Dimensionen angenommen. Die Amerikaner haben anstelle einer Finanzspritze die Big Bazooka geladen und 16 Billionen Dollar in ihr Bankensystem geschossen, um es zu stabilisieren. Damit hätten sie fast ihre gesamten Staatsschulden bezahlen können. Dieses Geld ist weg. Viele Anstrengungen, das Finanzsystem zu reformieren, sind aufgrund der guten Lobbyarbeit der Finanzindustrie versandet. Basel III ist ein Witz. Das Abkommen wurde aufgeweicht, die Probleme wurden in die Zukunft verschoben. Dasselbe gilt für die Finanztransaktionssteuer und die Spekulationsfristen. Alles, was an Regeln im Raum stand, wurde entweder komplett aufgehoben, in die Zukunft verschoben oder völlig verwässert. Ich wünschte, es wäre anders. Aber unsere Recherchen deuten darauf hin, dass wir auf einen Abgrund zusteuern.
Griechische Tragödien, biblische Sintflut- und Plagengeschichten: Die reinigende Wirkung von Katastrophen elektrisierte die Menschen schon immer. Ist die Apokalypse ein gutes Geschäftsmodell, das mit der Lust am Untergang spielt?
W: Um Gottes willen, nein! Wir hoffen ja, dass die Katastrophe nicht eintritt. Wir wären dankbar, wenn irgendjemand die Lösung präsentieren würde. Wir sind keine Dogmatiker. Ganz im Gegenteil. Wir sind auch keine Pessimisten. Wie Sie sehen können, sind wir lebensbejahende Menschen. Das Leben ist schön. Vielleicht klingt es etwas utopisch, aber wir glauben, dass wir das marode Konstrukt, das momentan wankt, in etwas Positiveres umwandeln können. Noch nie war der Bildungsstand global so hoch. Es gibt enorm viele clevere Menschen und in jeder Krise steckt auch eine Chance, aber momentan haben wir eine riesengrosse Krise. Denn seit 2008 wurden die Probleme nur mit Geld in die Zukunft verschoben, und dort türmen sie sich weiter auf. Es wurde nur volkswirtschaftliche Schadensmaximierung betrieben auf Kosten von Bürgern. Gleichzeitig wurde der Kapitalismus abgeschafft, Gesetze von oberster Stelle gebrochen und die Demokratie mit Füssen getreten, um ein nachweislich gescheitertes System künstlich am Leben zu erhalten. Für uns als überzeugte Demokraten und Ökonomen ist dies alles unerträglich.
Viele clevere Menschen haben sich an Crash- und Blasenwarnungen gewöhnt und tanzen, solange die Musik spielt.
W: Klar, weil sie gut damit fahren und unvorstellbar viel Geld verdienen. Während des BWL-Studiums interessierten wir uns auch mehr für die Börsenkurse als für die Vorlesungen. Wir haben gehandelt, Papiere gekauft und verkauft und dabei unheimlich viel verdient. Wir dachten, das Geld läge auf der Strasse und wir müssten nie wieder arbeiten. In Kalifornien gab es IT-Unternehmen, die ein paar Rechner besassen und höher bewertet waren als die Lufthansa. Bis die Blase 2001 platzte und im Anschluss die Firma weniger wert war als die paar Rechner, die sie angeschafft hatte. Die ganze Welt hat mitgemacht. Wir sind auf die Nase gefallen und haben viel Geld verloren. Zu diesem Zeitpunkt habe ich angefangen, das Finanzsystem zu hinterfragen. Wir haben uns über Jahre damit auseinandergesetzt und müssen nun feststellen, dass allein der Crash die Lösung ist.
Nun werden Ihnen vor allem jene zuhören, die ohnehin an einen künftigen Crash glauben. Wie überzeugen Sie die Skeptiker?
W: Mit Fakten! Um es etwas plakativ darzustellen: Wir haben seit 2008 global mehr Geld verbrannt als im Ersten und Zweiten Weltkrieg zusammen. Seit 2008 ist die globale Verschuldung um 43 Prozent gestiegen. Man hat also Schulden mit Schulden beglichen – das kann und das wird nicht funktionieren.
F: Deutschland ist Exportweltmeister, verbucht seit Jahren Rekordsteuereinnahmen und muss sich doch jedes Jahr neu verschulden. Wenn es also nicht mal die Wirtschaftslokomotive schafft, in Rekordjahren ohne neue Schulden auszukommen oder sogar Schulden zu tilgen, wie sollen es dann jemals Japan, Griechenland, Italien oder Spanien schaffen? Nebst den Rekordverschuldungen der Länder machen uns auch die Unmengen an Papier- und Schuldgeld Sorgen. Noch nie war mehr ungedecktes Geld im Umlauf als heute. In Europa wurden von 2008 bis 2012 über fünf Billionen Euro ins Finanzsystem gepumpt, und weltweit haben die Notenbanken ihre Bilanzen immens aufgebläht, um die Märkte zu stabilisieren und nach oben zu hieven. Wenn die Besitzer dieses Papiergeldes das Vertrauen in ihre Währung verlieren, stossen die Leute dieses Geld ab und setzen damit eine Dynamik in Gang, deren Folgen unbekannt sind. Die Länder sind durch die Globalisierung stärker miteinander verbandelt denn je. Wenn ein grosses Land wie Japan, China, Italien oder Frankreich in Bankrott geht, eine Währung kollabiert oder eine grosse Bank Insolvenz anmeldet, dann lösen diese Ereignisse eine Kettenreaktion aus, die auch Menschen in anderen Regionen betreffen werden. Wir sagen ganz klar: Der Kernpunkt des Malaise ist das Geldsystem. Und daher muss die Gesundung kommen. Aber ein Wandel im heutigen Geldsystem wird mit immensen Kollateralschäden einhergehen.
Und die Angst vor diesen Kollateralschäden lähmt politische Entscheidungsträger, grosse, auch unpopuläre Hebel anzusetzen?
W: Entscheidungsträger aus Finanz und Wirtschaft halten beinahe fanatisch am Status quo fest. Ich empfinde es schon fast als Propaganda, wenn Politiker der breiten Masse erklären, dass Deutschland und andere EU-Länder vom Euro profitieren würden. Wir haben volkswirtschaftlich klar aufgezeigt, dass das nicht stimmt. Profiteure des Euros sind vor allem die Unternehmen und die sehr Vermögenden. Seit Einführung des Euros 2001 sind deren Einkommen um fast 50 Prozent gestiegen, während die realen Nettolöhne der Arbeitnehmer sogar um knapp 2 Prozent gesunken sind! Und wenn mit Lug und Betrug ein System am Leben erhalten wird, dann ist es langfristig zum Scheitern verurteilt. Wir alle tanzen wie im Lied von Udo Jürgens auf dem Vulkan und wissen, dass er irgendwann hochgehen wird.
Spielen wir das düstere Szenario durch: Welche Implikationen sehen Sie für die Schweiz?
W: Momentan geht es der Schweiz sehr gut. Aber wenn rundherum auch nur ein grosses Land pleitegeht, dann werden die teuren Waren «made in Switzerland» weniger Abnehmer finden. Zudem ist der Schweizer Franken an den Euro gekoppelt.
F: Die Schweizerische Nationalbank hat ihre Eurobestände enorm ausgeweitet, um den Wechselkurs auf einem Niveau zu halten, das die Schweizer Exportindustrie am Leben erhält. Im Moment hält die SNB etwa 430 Milliarden Euros. Wenn alle dopen, muss man selber auch dopen. Ganz ehrlich: wenn der Euro kippt, dann ist die Schweiz sofort pleite. Und da sind noch keine Bankenrisiken beinhaltet.
Kommen wir nochmals zurück auf die Idee, dass der nächste Crash des Finanzsystems eine reinigende Wirkung haben könne. Woher nehmen Sie diese Hoffnung?
F: Kurz gesagt: wir haben in die Vergangenheit geschaut. Jedem notwendigen Wandel ging eine Katastrophe voraus. Leider!
Nicht jeder Katastrophe indes folgt ein positiver Wandel. Der New Yorker Börsencrash von 1929 führte in die Grosse Depression, die zum Nährboden des Nationalsozialismus wurde.
F: Absolut, und dies gilt es unbedingt zu verhindern. Die Grosse Depression hatte auf das Finanzwesen auf die lange Sicht aber eine positive Wirkung. Nachdem die Märkte eingebrochen waren, beschlossen die Staaten, das Trennbankensystem einzuführen. Das hat während 60 Jahren hervorragend funktioniert. Und nach dem Zweiten Weltkrieg führten die Siegermächte das Bretton-Woods-System ein, bei dem die Währungen an den mit Gold unterlegten Dollar gekoppelt wurden und Wechselkursbandbreiten definiert wurden. Das hat die Wirtschaft stabilisiert und hat über lange Zeit ausgezeichnet funktioniert. Der Verschuldungswahn ging erst los, als der US-Präsident Nixon 1971 das Bretton-Woods-System aufhob.
W.: Natürlich hatte der Crash von 1929 verheerende Folgen. Deshalb müsste das heutige marode Finanzsystem kontrolliert heruntergefahren werden. Ein unkontrollierter Crash birgt die Gefahr, dass ähnliche Dynamiken zu wirken beginnen wie in den 1930er Jahren. Bereits jetzt hat die Zeit für Rattenfänger rechter und linker Couleur begonnen.
Was verstehen Sie unter «kontrolliert herunterfahren»?
F: Ich bin skeptischer als mein Kollege: Ein kontrolliertes Herunterfahren ist nicht möglich. Nicht mit der derzeitigen Elite. Ausserdem sind die Märkte stark miteinander verwoben, die Geldflüsse komplex und niemand hat einen Anreiz, es herunterzufahren, weil es noch zu lukrativ ist. Entscheidungsträger denken nicht einmal potenziell daran. Wir haben mit Leuten von der Europäischen Zentralbank gesprochen, mit der BaFin und anderen Instituten. Es besteht kein wirkungsvoller Plan B. Es wird knüppelhart werden. Das können wir uns gar nicht vorstellen.
Trotzdem hoffen Sie, dass nach dem reinigenden Gewitter nicht nur eine prosperierende Zeit anbricht, sondern auch, dass die Leute sich wieder auf Werte wie Demut und Dankbarkeit besinnen. Ist das realistisch?
F: Wir sind durch die verschiedenen Krisenländer gereist, und viele haben uns das bestätigt. Durch die Krise sind die Menschen wieder näher zusammengerückt, hat man sich wieder wahrgenommen, gegenseitig geholfen.
Erzählen Sie uns davon.
F: 2001 habe ich in Argentinien den Staatsbankrott vor Ort miterlebt. Die Leute verloren fast ihr gesamtes Vermögen. Die Banken waren geschlossen. Es gab Ausschreitungen, Chaos und Tote. Ich wurde zweimal überfallen. Doch ich habe auch gesehen, wie eine stark segregierte Gesellschaft zusammengewachsen ist. Im Moment der grössten Krise ging auf einmal ein Hauch der Nächstenliebe durch die Millionenmetropole Buenos Aires. Arm und Reich hat sich gegenseitig geholfen. Zwei Wochen lang waren alle Geschäfte geschlossen. Es wurde geplündert, und ich hatte nichts zu essen. Wildfremde Menschen haben sich meiner angenommen – ein unvergesslicher Moment, der mich noch hoffen lässt. Noch heute kriege ich Gänsehaut, wenn ich daran denke. Meine persönliche Erfahrung aus Buenos Aires zeigt, dass ein Umbruch umso glimpflicher bewältigt werden kann, je besser die Menschen darauf vorbereitet sind. Unser Buch soll die Leute auf den Kollaps vorbereiten. Jeder soll mentale und monetäre Vorkehrungen treffen.
Was die monetäre Vorbereitung betrifft, empfehlen Sie Anlegern, Geldwerte abzustossen und in Sachwerte zu investieren.
Setzten Sie Ihre Vermögensempfehlungen selber auch um? Besitzen Sie Ackerland und Traktoren?
W: Land, Wald, natürlich. Klar.
F: Edelmetalle, Wald, direkte Unternehmensbeteiligung am besten vor Ort nach dem Regionalitätsprinzip. Das machen wir. Auch Whiskey. Ich bin ein Liebhaber von Single Malt. Im Notfall kann man den immer noch trinken. (lacht)