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Keine ist wie die andere

Augenschein bei Felix Wirz

Keine ist wie die andere
Felix Wirz, photographiert von Caspar Frei.

Eigentlich hätte Felix heute freimachen wollen, um die Nachwehen des gestrigen Tages wegzuschlafen. «50 plus 10» ist er geworden – und hat das Ereignis mit Tapas und Co. in einem spanischen Club gefeiert. Zu meinem Glück hat er sich aber anders entschieden. «Ich habe mir gesagt: Da beisst du dich jetzt durch, ausschlafen kannst du ja morgen.»

Morgen ist Mittwoch und damit Felixʼ offizieller Freitag. Angestellt in einem 80-Prozent-Pensum verbringt er die übrigen Tage in der Druckgussabteilung, und zwar mit dem Innenleben eines Gegenstands, den wohl erkennen müsste, wer von einer Schneiderin abstammt. Während ich in den vor uns aufgereihten Alu-Rohformen aber nur zweizackige Blöcke zu sehen vermag, betrachtet Felix sie voller Hingabe: «Gleich als ich hier angefangen habe, bin ich in die Nähmaschinen reingelaufen. Sie waren meine erste Aufgabe, und bei ihnen bin ich geblieben. Jede ist individuell, keine wie die andere; nie wird mir langweilig mit ihnen.»

Felixʼ Arbeit besteht darin, die Gehäuse der späteren Nähmaschinen auf Fehler zu kontrollieren. Hat eine irgendwo Risse, fehlt ihr eine Ecke, ist etwas abgeschlagen oder eingedrückt? Eine Liste mit über 60 verschiedenen möglichen Fehlern haben die Auftraggeber der Dock überlassen, und Felix prüft und dokumentiert akribisch, welche seiner vielen «Lieben» solche Mängel aufweisen. Präzision ist dabei nicht nur Ehrensache, sondern Pflicht: die Fehlertoleranz der Firmen, die ihre Ware in St. Gallen prüfen lassen, ist tief – auf eine Million Stück darf sich der Betrieb einen Patzer erlauben.

Genau musste Felix auch früher sein. Lange Zeit hat der Kreuzlinger auf dem Bau gearbeitet und Lage um Lage Eisen und Stahlbeton in entstehende Gebäude gelegt. Häufig ist er dabei in den Wintermonaten in die Bredouille geraten, und sobald das Alter als Faktor hinzukam, fand er auch im Sommer keine Arbeit mehr. Als dann die Fürsorge anklopfte und sagte, es sei Zeit, wieder etwas zu machen, und sie habe ihm da etwas im Sittertal, sei er noch so froh gewesen: «Was sollte ich zu Hause auch die ganze Zeit tun? Aufgeräumt ist ja irgendwann mal alles!» Das war vor sieben Jahren, und inzwischen ist auch sonst wieder Ordnung. Mit dem Sozialamt hat Felix nichts mehr zu tun, und von der Dock erhält er seinen Lohn, mit dem er sich selbst und manchmal auch noch andere versorgt: «Zu meinem Geburtstag habe ich in der ganzen Bude Cake verteilt. Einige haben zwar gar nicht verstanden, worum es ging, aber zusammen gegessen haben wir alle gern.»

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