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Nein, künstliche Intelligenz ist nicht schuld an Fake News

Für die Verbreitung falscher Nachrichten braucht es keine Algorithmen. Es genügen klassische Medien, die sich von der Realität abkoppeln – und ein Publikum, das den eigenen Konsum zu wenig hinterfragt.

Nein, künstliche Intelligenz ist nicht schuld an Fake News
Bild: foxnews.com.

Die Geschichte mag wie ein Klischee klingen. Ich war fünf Jahre alt, als ein orangefarbener Bus in unsere Strasse einbog, Menschen mit einer seltsamen Sprache ausstiegen und in das Haus gegenüber einzogen. Sie hatten faszinierende Dinge dabei. Bretter mit Rollen, auf denen man die Strasse hinunterflitzen konnte (Skateboard), Teller, die verkehrt herum durch die Luft segelten (Frisbee), und im Haus hing ein riesiges Poster mit einer unglaublich langen Brücke vor einer Grossstadt (San Francisco). Da hat mich der amerikanische Traum gepackt.

Natürlich habe ich nach meiner «Stifti» mein ganzes Geld für eine Reise in die USA ausgegeben und bin mit Greyhound und dem Mietwagen von San Diego nach San Francisco und wieder zurückgefahren. Ich habe neue Dinge wie eine Karaoke-Anlage mit nach Hause genommen, um in der Schweiz Events zu organisieren. Und selbstverständlich nahm ich auch ein paar Mal vergeblich an der Green-Card-Verlosung teil.

Es hat lange gedauert, bis aus meinem USA-Flirt mehr wurde. Kurz vor meinem 40. Geburtstag fuhr ich, als vorbeugende Midlife-Crisis-Massnahme, mein Geschäft in der Schweiz nach 20 Jahren Selbständigkeit herunter, um auf einer Weltreise Surfen zu lernen. Dabei sah ich etwas, das es überall auf der Welt gibt, nur nicht in den USA und, was noch verrückter ist, nicht in Kalifornien: ein Surfcamp für Erwachsene. Als ich einen Surfer aus Kalifornien traf, der das Konzept auf Bali gesehen hatte und in seiner Heimatstadt eines eröffnen wollte, schaute ich ihm in die Augen und sagte: «Ich helfe dir.» Inzwischen betreiben wir The Cali Camp im elften Jahr und hatten das Glück, Tausenden von Gästen aus aller Welt diesen wunderschönen Flecken Erde zu zeigen und mit ihnen surfen zu gehen.

Zwei Gäste des «Cali Camp» auf dem Weg zur nächsten Welle. Bild: zvg.

Spätestens jetzt werden Sie sich fragen: «Und was hat das bitte mit Fake News zu tun?»

In den Medien liest man immer wieder, dass künstliche Intelligenz eine Gefahr für die Demokratie sei und dass KI-generierte Texte die Menschen überfordern würden. Das ist gut für die mediale Aufmerksamkeit, lenkt aber vom eigentlichen Problem ab: dem Wunsch des Publikums, nur das zu hören, was es hören will. Er ist der Grund, dass Geschichten wie die geschilderte funktionieren. Und wird von Medien wie Fox News knallhart ausgenutzt.

Verzerrte Realität

Wenn ich mir ansehe, wie die Wirtschaft in den USA derzeit wahrgenommen wird, muss ich sagen: Es herrscht eine kollektive Blindheit in Übersee. Ja, die Preise sind gestiegen, aber bei fast allen Indikatoren geht es den Amerikanern so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Inflation geht zurück, die Arbeitslosenquote ist seit Langem unter 4 Prozent, die Löhne steigen, das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt stieg vergangenes Jahr um 2,5 Prozent und sogar das Handelsdefizit ist gesunken.

Schaut man aber Fox News, dann wird seit dem Amtsantritt von Präsident Biden die Rezession herbeigeredet und die Realität hemmungslos verzerrt. Wenn man Fox News einschaltet, dann steht die Welt kurz vor dem Untergang. Die «Nachrichten» haben sich völlig von der Realität abgekoppelt und es wird knallhart kalkuliert. Wie lange können wir über angeblichen Wahlmaschinenbetrug berichten, bis uns die Klagen mehr kosten, als wir durch Werbung einnehmen? So zersetzt man jede Demokratie.

«Die ‹Nachrichten› haben sich völlig von der Realität abgekoppelt und es wird knallhart kalkuliert. Wie lange können wir über angeblichen

Wahlmaschinenbetrug berichten, bis uns die Klagen mehr kosten,

als wir durch Werbung einnehmen?»

Fox News und die kostenlos verbreitete Propaganda fremder Interessen vergiften das Klima auch ohne KI. Kevin Rudd, ehemaliger Premierminister Australiens, bezeichnet Rupert Murdoch, den Besitzer von Fox News und grössten Medienmogul Australiens, als Krebsgeschwür der Demokratie. Das ist hart, und ich möchte nicht alle Schuld auf einen einzelnen Medienakteur schieben. Auch die klassischen Medien und das Publikum tragen Verantwortung. Nur scheinen die klassischen Medien dem Dauerfeuer nicht mehr viel entgegensetzen zu können. In Zeiten, in denen den Zeitungen das Anzeigengeschäft weitgehend weggebrochen ist, sind auch sie vorsichtig geworden. Um die eigene Klientel nicht zu verprellen, wird wohl häufiger die bequeme Erzählung übernommen.

Ob das so sein muss, entscheiden wir alle, wenn wir Medien konsumieren. Wir können zum Beispiel den Browser mit einer KI-Erweiterung versehen, die im Hintergrund den Wahrheitsgehalt überprüft. Wir könnten Nachrichten lesen, die nicht nur in unserem Sinne sind. Und selbstverständlich regelmässig auf schweizermonat.ch vorbeisurfen.

Es braucht Mut, dem Publikum auch unbequeme Wahrheiten zuzumuten. Und es braucht als Konsument Mut, sich auch Fakten und Ansichten zu stellen, die einem nicht gefallen. Das gehört zu einer mündigen Gesellschaft – und für eine mündige Gesellschaft ist auch die Angst vor künstlicher Intelligenz überflüssig.

«Es braucht Mut, dem Publikum auch unbequeme Wahrheiten

zuzumuten. Und es braucht als Konsument Mut, sich auch Fakten und Ansichten zu stellen, die einem nicht gefallen.»

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