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Die Last des Rentnerglücks
Tine Melzer: Alpha Bravo Charlie. Salzburg: Jung und Jung, 2023.

Die Last des Rentnerglücks

Tine Melzer: Alpha Bravo Charlie. Salzburg: Jung und Jung, 2023.

Verträumt, diszipliniert und einsam: das ist Johann Trost, Hauptfigur im literarischen Debüt der Zürcher Autorin Tine Melzer. Ihr Roman «Alpha Bravo Charlie» schildert einen Tag im Leben des Sonderlings, der morgens um 9.17 Uhr damit beginnt, eine Modelllandschaft zu bauen. Über deren unfertigem Zustand beginnt er über den Sinn seines Lebens nachzudenken: «Ich gehe an meinem Spiegelbild vorbei und erschrecke, weil ich lächle. Ich deute das als gutes Zeichen, fasse Mut für meinen morgendlichen Entschluss und wage mich wieder an die Bäumchen.» Viel Freude hat der geschiedene Pensionär also nicht mehr, und obwohl er die Stille geniesst, trauert er seinem früheren Beruf als Pilot sowie der Exfrau nach, deren aktuelles Foto er sich im Internet anschaut. Trost vermisst Struktur im Leben und fühlt sich vom «Rentnerglück» verraten. Dennoch ist er entschlossen, seine Wünsche und sein Leben zu ändern, denn er wäre gerne für andere wie für sich selbst nützlicher. Während ihn sein wacher Charakter dazu verleitet, ständig alles zu hinterfragen, verliert er sich oft in Tagträumereien. Zwölfeinhalb Stunden später, um 21.50 Uhr, endet die Erzählung schliesslich.

Die Autorin hat mit diesem Kauz eine rundweg sympathische Figur geschaffen, die man am liebsten sogleich umarmen würde. 130 Seiten lang begleitet der Leser Trost Schritt für Schritt durch seinen ereignislosen Alltag, der einzig von seinen eigenen Überlegungen ausgefüllt wird. Allerdings braucht es bei der Lektüre etwas Zeit, sich daran zu gewöhnen, denn Trost springt von einem Gedanken zum nächsten, ohne diesen jeweils abzuschliessen, was den Lesefluss etwas stört.

Dennoch hat Melzer, die 1978 geboren wurde und auch als Künstlerin arbeitet, eine Geschichte vorgelegt, die Humor und Poesie durchziehen. Und während ihr Roman auf den ersten Blick harmlos anmutet, verleitet er zusehends zum Nachdenken – über die Gesellschaft und unseren jeweiligen Platz in dieser, ausgehend von der Frage, was eigentlich einen nützlichen Tag auszeichnet und ob Pensionierte nicht allzu oft vergessen werden.

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