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Eine letzte Erinnerung
Melanie Katz (Hrsg.): Die einsamen Begräbnisse. ­Poetische Nachrufe auf vergessene Leben. Zürich: Limmat-Verlag, 2023.

Eine letzte Erinnerung

Melanie Katz (Hrsg.): Die einsamen Begräbnisse. ­Poetische Nachrufe auf vergessene Leben. Zürich: Limmat-Verlag, 2023.

Die Individualisierung der Gesellschaft hinterlässt nicht nur Spuren im Leben, sondern auch im Tod. Vor allem, wenn dieser von niemandem begleitet wird und keine Hand da ist, die bis zum letzten Atemzug auf einer Brust verweilt. Folgerichtig fällt in solch einem Fall auch die Beisetzung spärlich, mithin äusserst traurig aus. Damit noch einmal all der zuletzt im Anonymen verbliebenen Seelen gedacht wird, hat sich eine kleine, aber feine Initiative von Autorinnen und Autoren unter dem Label «Einsame Begräbnisse» formiert. Sie verfassen poetische Nachrufe für Verstorbene ohne Angehörige, basierend auf zumeist spärlichen Angaben – als letzte Erinnerung. Dass der Limmat-Verlag dazu nun eine ansprechende Sammlung, herausgegeben von Melanie Katz, publiziert, muss man als grosses Geschenk betrachten. Zu den «Dichter[n] vom Dienst», wie es darin heisst, gehören mitunter Sascha Garzetti, Rolf Hermann oder Martina Clavadetscher.

Ihre Ambition gilt der Suche nach Worten, um die verstorbene Person nicht dem Vergessen zu überlassen. «Wir wissen wenig über dich, / eigentlich nichts», bekennt etwa Klaus Merz in einem Text an einen Verschiedenen. «Was aber zerbrach in dir, W., / dass du weder Lehrer noch Schreiner geworden bist, // allein gewohnt hast, allein gestorben und in einen Züri- / Sarg zu liegen gekommen bist. Löslich die Tonurne, / Gemeinschaft erst im Gemeinschaftsgrab. Auch selber / hast du von dir nichts verraten. Darum schweigen wir / jetzt. Vor dir und deiner Einsamkeit.» Und doch, so muss man sagen, bleiben genau diese Verse, die etwas halten und bewahren. In einer Miniatur von Nathalie Schmid sind hingegen schon mehr Informationen über den Begrabenen konserviert. «Ich liege und höre», schreibt sie aus Sicht des von uns Gegangenen. «Ein Zitronenfalter / hält mich kurz für seine Blüte. / Ich schwebe als kleine Feder zwischen / Kiesel und Geäst.» Schöner könnte man sich wohl kaum in das Bewusstsein eines Menschen dichterisch vortasten, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein grosser Naturliebhaber gewesen sein dürfte.

Ob aus diesem Buch nun eine europäische, sich ausbreitende Bewegung hervorgeht, die Vereinsamten ein letztes Geleit gibt? Es wäre zu hoffen.

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