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Zur Kenntlichkeit entstellt

Wer wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, greife zum Roman und nicht zum Sachbuch! Denn die Fiktion hat entscheidende Vorteile: sie legt grundlegende Mechanismen nicht nur frei, sondern macht sie tatsächlich erlebbar. Und sie rettet sogar Leben.

Zur Kenntlichkeit entstellt

Vor etwa zwei Jahren erlebte ich etwas Unglaubliches. Auf einer Party kam jemand auf mich zu und sagte: «Sie haben mir möglicherweise einmal das Leben gerettet.» Der Mann war eines Abends in einer afrikanischen Grossstadt – ich glaube, es war Dakar – unterwegs gewesen, als sich ihm eine Gruppe Jugendliche näherte. Obwohl sie zuerst nur harmlos mit ihm plauderten, merkte der Schweizer, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Tatsächlich verschärfte sich der Tonfall zunehmend, und schliesslich fragten sie ihn, ob er viel Geld dabei habe – dann zückte jemand ein Messer.

Da erinnerte er sich an eine Anekdote über die Rolle des «grossen Bruders» in Westafrika, die er einmal in einem meiner Bücher gelesen hatte: Vielerorts in Afrika ist es wichtig, einen Patron zu haben, unter dessen Schutz man sich stellen kann. Dieser «Grand-frère» kann ein Verwandter sein, ein Chef oder ein Politiker. Man erweist ihm Ehrerbietung und Unterstützung; im Gegenzug kann man bei Bedarf auf seine Patronage zählen. Diese Arrangements sind im alltäglichen Leben ebenso wichtig wie in der Politik. Im Fachjargon nennt man solche Verhältnisse «patrimonialistisch». Und nun kam also dem in die Ecke gedrängten Weissen diese Szene in den Sinn, in der jemand einen Älteren als «mon Grand» ansprach – unterwürfig, aber an seine Grosszügigkeit appellierend. Das war es, was er in diesem Moment der Not ebenfalls tat: Er wandte sich an den Ältesten der Gruppe, vermutlich ihr Anführer, und sagte: «Hör mal, ich bin ein Fremder in dieser Stadt, ich kenne niemanden, beherrsche nicht einmal deine Sprache. Du bist von hier, du bist stark, du hast deine Kumpels und bist sogar bewaffnet. Mein Leben liegt in deiner Hand. Du bist wie ein grosser Bruder für mich.» Die Jugendlichen stachen mein Schweizer Partygegenüber nicht ab, um ihn zu berauben und liegenzulassen. Im Gegenteil: schlagartig änderte sich die Stimmung. Zuerst war der Gangführer baff, dann musste er laut lachen. Schliesslich klopfte er dem Reisenden jovial auf die Schulter, unterhielt sich noch ein wenig mit ihm – halb von oben herab, halb brüderlich – und schickte ihn dann fort, nicht ohne ihn noch zu ermahnen, in Zukunft vorsichtiger zu sein.

Gerne stellt man Literatur, vor allem die «schöne», fiktive Literatur, dem «wirklichen Leben» entgegen. Dabei wird ein Gegensatz aufgebaut, der nicht zwingend ist. Denn manchmal kann offenbar eine prägnante, verdichtete Beschreibung so hilfreich sein wie ein gut geschliffenes Messer.

 

Romane als Ethnographien lesen

Kürzlich las ich Mario Vargas Llosas «Der Traum des Kelten». Der peruanische Schriftsteller bringt uns in seinem Roman die historische Figur des irischen Aufrührers Roger Casement und seine Welt nahe – nicht nur intellektuell, sondern auf verschiedensten Ebenen. Das heisst, wir erleben den schillernden irischen Freiheitskämpfer und Antikolonialisten mit all unseren Sinnen, und das gilt ebenso für die Ausbeutung im Kongo und in Peru, gegen die er sich engagierte. Keine noch so brillante Analyse kann diese ganzheitliche Wahrnehmung bieten. Nun ist «Der Traum des Kelten» ein klassischer, realistischer Roman, der sich im grossen und ganzen an die Fakten hält. Er könnte auch als «literarisierte Biographie» durchgehen. Interessanter ist es, sich die Frage nach dem anthropologischen Erkenntnisgewinn anhand der Werke zu stellen, die radikaler «literarisch» sind, das heisst, bei denen die Vorstellungskraft, die Fiktion, das «Irreale» eine grössere Rolle spielen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Roman «Das Herrscherkleid» des libyschen Schriftstellers Ibrahim al-Koni. Das Buch erschien im arabischen Original im Jahr 2008, also noch bevor die Unruhen in Tunesien begannen, die dann auf Ägypten und auch auf Libyen übergriffen. Das Werk erzählt in archaisierendem Stil die Geschichte des Tyrannen Assanâj, der eines Tages aus dem Mittagsschlaf erwacht und feststellt, dass sein ledernes Herrscherkleid an seinem Körper haftet. Eine treffende Allegorie auf einen Führer à la Gaddafi, der im Laufe der Jahre so sehr mit seiner Rolle verschmolz, dass er nur durch seinen Tod von der Macht getrennt werden konnte. Wer sich schon gefragt hat, warum sich so viele Diktatoren bis zuletzt an ihre Herrschaft klammern, bis zum Untergang, und nicht stattdessen rechtzeitig ins Exil gehen, um einen schönen Lebensabend zu verbringen – der lese al-Konis Buch, und er wird eine Ahnung davon bekommen, inwiefern absolute Macht einen Menschen entstellt.

Bemerkenswert ist, dass al-Koni sich dezidiert gegen «politische Literatur» stellt. Seiner Meinung nach ist ein grosser Teil der heutigen Literatur – in ihrem Realismus – Journalismus und verliert nach wenigen Jahren ihre Bedeutung. Al-Koni denkt in Jahrhunderten, ja Jahrtausenden. Er orientiert sich an der Mythologie der Tuareg, seiner kulturellen Heimat, aber auch an Cervantes, an Homer. Dichtung heisst für ihn: einen Sachverhalt auf eine höhere, allgemeinmenschliche, mythische Ebene heben. Frappierend ist, dass ihm gerade durch diese vermeintlich apolitische Distanz zur Alltagswelt ein Werk gelungen ist, das zeitlos, aber zugleich von stupender politischer Sprengkraft ist.

Das erinnert an Niklaus Meienbergs Unterscheidung zwischen Subrealismus und Hyperrealismus. Während einem hyperrealistischen Text eine genaue Recherche vorangehen muss, so Meienberg, eine intellektuelle und sinnliche Vertrautheit mit dem Material, das dann – im Dienste der umso intensiveren Darstellung der Realität – fiktionalisiert, überhöht, «surrealisiert» wird, begnügt sich der Subrealist damit, vage ins Blaue hinaus zu phantasieren. Seine Prosa bleibt dadurch zwangsläufig selbstbezogen, selbstbefangen, ego- und ethnozentrisch. 

 

Potentiale und Grenzen der Fiktion

Gabriel García Márquez denkt in eine ähnliche Richtung, wenn er zwischen Phantasie und Einbildungskraft unterscheidet. Mit dem «Herbst des Patriarchen» hat García Márquez ein ähnliches Werk wie al-Konis «Das Herrscherkleid» verfasst. Hochliterarisch, fast eine Art Prosagedicht, zugleich jedoch hochpräzis. Er bemerkte denn auch: «Ich selber habe Jahre damit zugebracht, Geschichten und Anekdoten über Diktatoren zu sammeln. Doch bevor ich zu schreiben begann, musste ich alles vergessen, um diesen mythologisch-pathologischen Prototyp unserer Geschichte gestalten zu können.» Wie geglückt die Transzendierung ist, erkennt man schon daran, dass die Unterschiede zwischen al-Konis Wüstendespoten und Márquez’ karibischem Potentaten verschwimmen. Das Szenario, das in den beiden Werken ausgebreitet wird, lässt sich auf Saddam Hussein ebenso anwenden wie auf Robert Mugabe, auf General Franco ebenso wie auf Augusto Pinochet.

In «Der Geruch der Guayave» stellt Márquez fest, dass es auch für die Fiktion Gesetze gebe. Die willkürliche Erfindung lässt uns im Innersten kalt, sie ist Kitsch und deshalb amoralisch: «Die glatte Erfindung à la Walt Disney, ohne Anlehnung an die Wirklichkeit, ist das Abscheulichste, was es gibt.» Er bemerkt, die Erfahrung als Journalist habe ihn gelehrt, auch im Fiktiven konkret, das heisst genau und glaubwürdig zu sein. Er erwähnt beispielhaft zwei Stellen aus «Hundert Jahre Einsamkeit»: Remedios der Schönen werden weisse Leintücher umgehängt, um sie zum Himmel aufsteigen zu lassen, und Pater Nicanor Reina trinkt eine Tasse Kakao, bevor er sich zehn Zentimeter vom Boden hebt. Diese Bilder sind auf eine rätselhafte Art stimmig, ähnlich wie gewisse surrealistische Gemälde (man denke etwa an Dalís brennende Giraffen). Liegt es daran, dass die weissen Leintücher an Segel erinnern? Aber warum Kakao, den man doch eher mit süsser Schwere assoziiert? Genau bestimmen lässt sich die Funktionsweise der benutzten Bilder nicht, aber die Intuition sagt uns dennoch, dass es mit Jasmintee vermutlich nicht funktio­nieren würde! Es scheint sich um eine Präzision des Unbewussten, eine irrationale Traumlogik zu handeln. Wir folgern: Auch in der märchenhaften Sphäre gibt es eine Beliebigkeit, die wir als kitschig empfinden (etwa wenn Remedios und der Pater einfach umstandslos fliegen könnten), aber auch eine Prägnanz, die «Stil» hat und uns damit beeindruckt.

Es geht hier also weder darum, für einen platten literarischen Realismus zu plädieren («dieser Roman basiert auf einer wahren Begebenheit»), noch für eine dokumentaristische Lektüre («Inwiefern ist das Buch eine adäquate Wiedergabe der Zustände im Land X?»). Im Gegenteil. Wie Milan Kundera in «Die Kunst des Romans» sagte: «Der Roman untersucht die Existenz, nicht die Realität.» Wobei der Akzent nicht nur auf «Existenz», sondern auch auf «untersuchen» gelegt werden muss. Der Schriftsteller im Sinne Kunderas ist nicht jemand, der wiedergibt, sondern ein Forscher und Weiterdenker. Es geht ihm darum, gerade mit den literarischen Mitteln der Verfremdung, der Übertreibung, der Zuspitzung, der Metaphorik, der Entstellung dem wirklichen Erleben näherzukommen als mit pedantischer 1:1-Beschreibung. Ob es dieses klinisch-getreue Abbilden überhaupt gibt, ist ohnehin eine andere Frage, denn: Noch der nüchternste Zeitungsbericht oder die akribischste Ethnographie sind nolens volens immer geschrieben, das heisst Neuerfindungen des Wahrgenommenen, transferiert in ein Medium, das sich elementar von der beschriebenen Aussenwelt unterscheidet. Hinter jedem Text steht ein Autor, das heisst jeder Text ist gemacht, ein willkürlicher, selektiver, kreativer Akt. Einige weitere Beispiele mögen illustrieren, wie fruchtbar dieser literarische Vorteil sein kann:

 «Der weisse Tiger» des Inders Aravind Adiga ist eine Groteske, die uns den Aufstieg des Landeis und Underdogs Balram erzählt, der es zum Fahrer eines reichen Unternehmers bringt. In Delhi legt er seinen Herrn um und wird selber zum Millionär. Das Buch ist schnoddrig, krass, vulgär, ein dreckiger Witz. Wer aber nach Indien reist und nur diesen Roman mitnimmt, sieht und versteht dank seinen flackernden Schlaglichtern vielleicht mehr, als ein «Lonely Planet» oder ein «Dumont» seinen Augen eröffnet hätten.

Der russische Mafia-Geldwäscher Dima in John le Carrés letztem Roman «Verräter wie wir» ist ein dickes, schwitzendes, fluchendes, brutales Monster. Er ist nicht fähig, einen normalen Satz ohne eine Kaskade obszöner Flüche zu formulieren. Und zugleich ist er ein treuer Familienvater und Patriot mit ehernen moralischen Grundsätzen. Le Carré übertreibt bis zur Karikatur. Und trotzdem lernt man aus seinem Roman mehr über die Praktiken der internationalen Geldwäscherei und über das Psychogramm derjenigen, die dort die Fäden ziehen, als durch die tägliche Lektüre der Financial Times.

Azaro aus Ben Okris «Die hungrige Strasse» ist ein Geisterkind. Eigentlich ist er nur halb von dieser Welt, und das verrückte Treiben im gegenwärtigen Nigeria, wo er aufwächst, betrachtet er verdutzt wie ein Ausserirdischer. Das ist ein raffinierter literarischer Trick, um die Geschehnisse rund um Madame Kotos heruntergekommene Bar umso absurder erscheinen zu lassen. Aber tatsächlich ist die Vorstellung des Geisterkindes, das nur als fremder Gast hier weilt, in Afrika weit verbreitet, und Ben Okris Buch leuchtet tief in die spirituelle Unterwelt des Kontinents.

Der amerikanische Autor Denis Johnson hat ein unerträgliches Gespür für Gewalt. Eigentlich herrscht in all seinen Büchern Krieg. Noch die harmlosesten Szenen – jemand brät Fleisch in einer Pfanne, eine Mutter geht mit ihrem Kind spazieren – werden unter seiner Feder unheimlich. Sein Hauptwerk «Ein gerader Rauch» handelt tatsächlich vom Krieg, vom Vietnamkrieg. Seltsamerweise wird jedoch auf den gesamten 900 Seiten kaum eine Kampfhandlung beschrieben. Lediglich indirekt bekommt der Leser die Konsequenzen des Soldatenalltags zu sehen: Die Protagonisten zerfallen, nach und nach verlieren sie den letzten moralischen Halt, fühlen sich leer, wenn sie keine Befehle auszuführen haben, werden zu wirbellosen Tieren. «Ein gerader Rauch» ist beklemmend und brutal, gerade weil die Brutalität nie geschildert, aber spürbar und allgegenwärtig ist.

Stellt man nun also fest, dass fiktive Werke ein oft einprägsameres, tieferes, erkenntnisreicheres Bild einer Gesellschaft vermitteln als Sachbücher, muss man sich umgekehrt überlegen, inwiefern beispielsweise sozialwissenschaftliches Schreiben erweitert werden könnte. Ganz ähnlich wie sich in den Printmedien ab den Sechzigerjahren der Gedanke offenerer, literarischerer, weniger kodifizierter Schreibformen durchsetzte («New Journalism»), so setzte in den Achtzigerjahren vor allem in der amerikanischen Ethnologie eine intensive Diskussion über die – meist unausgesprochenen – Regeln und Normen des akademischen Schreibens ein. Warum, so fragten die Exponenten der sogenannten «Writing Culture»-Debatte, sollen eigentlich Emotionalität, Empathie, Sinnlichkeit, Subjektivität oder Humor in einer Ethnographie keinen Platz haben? Und warum sind die Einheimischen auf den Platz der Objekte, bestenfalls der anonymen Zitatezulieferer verwiesen, über die dann ein gelehrter Metadiskurs gehalten wird? Im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Säulenheiligen, bei denen man sich permanent rückversichern muss? Was sagt das aus über den Autoritarismus und die Machtbeziehungen, die buchstäblich den stilistischen Gepflogenheiten eingeschrieben sind? Liessen sich nicht gleichberechtigtere Formen des Zusammenarbeitens zwischen Forschern und «Informanten» denken, etwa in Gestalt von dialogischen, polyphonen Berichten? 

Als Vorläufer einer freieren Art des ethnologischen Schreibens gelten Claude Lévi-Strauss («Traurige Tropen») und Michel Leiris («Phantom Afrika») oder auch, etwas später, Clifford Geertz («Deep Play: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf» und der theoretische Grundlagentext «Dichte Beschreibung»). Im deutschsprachigen Raum avancierte der Schriftsteller Hubert Fichte zum Pionier der «Ethnopoesie» («Xango»). Seither wurden vielfältige Versuche unternommen, das Prokrustesbett der akademischen Schreibweise aufzubrechen in Richtung einer ganzheitlicheren Darstellung: «Evozierung statt Repräsentation» lautete die Parole. Einzig: im deutschsprachigen Gebiet blieben diese Vorstösse ohne grössere Wirkung. Das Gros der universitären Arbeiten liest sich weiterhin so papieren, grau und knöcherig wie eh und je. Das spiegelt sich dann auch in den Auflagen. Ein durchschnittlicher Leser greift anstelle einer seriösen, aber staubtrockenen Studie lieber zu einem ethnologischen Scherzartikel wie Nigel Barleys «Die Raupenplage», zu «Afrikanisches Fieber» des brillanten, aber im Detail nicht immer allzu genauen Ryszard Kapuściński, zu den kitschigen Ergüssen einer Corinne Hofmann («Die weisse Massai») oder zu einem genialen Flunkerer wie Carlos Castaneda («Die Reise nach Ixtlan»), der seine Erkenntnisse nicht wie behauptet bei abenteuerlichen Initiationen unter dem Yaqui-Schamanen Don Juan in Mexiko gewann, sondern ganz profan in der Bibliothek recherchierte und seine Exzerpte dann zu einem als Ethnographie getarnten Roman aufpimpte. Aber: Castanedas Romane werden gelesen, ganz im Gegenteil zu manch anderem Werk mit hohen sozialwissenschaftlichen Ambitionen. Anstatt sich nun über die Dummheit des breiten Publikums zu empören, müssten sich die Experten wohl einfach bemühen, etwas lebendiger zu schreiben. 

 

Literaturliebhaber sind besser informiert

Die These, dass die Literatur uns die Welt in vielen Fällen näher bringt als Sachbücher oder die «Tagesschau», wurde kürzlich sogar wissenschaftlich belegt. Forscher der Fairleigh Dickinson University befragten 612 Bewohner New Jerseys nach ihren Nachrichtenquellen und nach dem aktuellen Weltgeschehen. Überraschendes Fazit: Diejenigen, die zwar Literatur lasen, sich aber praktisch keine Nachrichten zu Gemüte führten, beantworteten aktuelle Fragen («War der Protest in Ägypten erfolgreich?»; «Stehen die Occupy-Demonstranten politisch eher den Repu-blikanern oder den Demokraten nahe?») besser als diejenigen, die regelmässig Sendungen des amerikanischen Nachrichtensenders Fox News sahen, aber keine Bücher lasen (und selbstverständlich das Gefühl hatten, sie seien «informiert»). Aus einem einfachen Grund: Wer Literatur liest, entwickelt einen inneren Kompass und eine unsichtbare Karte, mit denen er sich auch angesichts neuer Situationen rasch orientieren kann. Und vielleicht funktioniert das umso besser, weil der Literaturleser im Gegensatz zum Newskonsumenten weiss, dass er sich auf diese Orientierung nicht allzu viel einbilden sollte; dass wir angesichts des unberechenbaren Lebens unaufhörlich überrascht werden – unwissend, uninformiert, von Versuch zu Versuch strauchelnd, immer wieder aufs neue desorientiert.

Der Roman ist genau diesem Lebendigen auf der Spur, gerade indem er nicht das Bekannte abbildet, sondern unermüdlich am Rand des Unbekannten, des Möglichen und Unmöglichen operiert.

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