Zum vielschichtigen Sinn des Originals
Peter Utz ist Professor für neuere deutsche Literatur an der
Universität Lausanne, wo es auch ein international angesehenes
«Centre de traduction littéraire» gibt. Er wird in
der Fachwelt als hochgelehrter Philologe geschätzt und ist
einem breiteren Leserpublikum vor allem als bekennender
Liebhaber und origineller Deuter des Werks Robert Walsers
bekannt. Sein jüngstes Buch beschäftigt sich mit Übersetzungen
deutschsprachiger Weltliteratur ins Französische
und Englische, und dazu hat Utz eine zwar nicht ganz originelle
– aber mit souveränem Überblick über die jüngsten
Entwicklungen seiner Wissenschaft neu verpackte – Th ese,
die er bei den Solothurner Literaturtagen und auf diversen
anderen Podien schon mehrfach erläutert hat: da das
Übersetzen eines literarischen Textes auch als eine Art Interpretation verstanden werden kann, erschliessen sich auch
dem muttersprachlichen Leser des Originaltexts durch das
Studium der Übersetzungen oft neue Bedeutungsnuancen
und verborgene Sinnpotentiale. Während ein Literaturwissenschafter, nach dem Sinn eines dichterischen Werks
tauchend, seine Interpretation wortreich und ausführlich
hin und her wenden kann, muss sich der zwischen AusgangsVERLEGER
und Zielsprache surfende Übersetzer für eine einzige, ihm
passend erscheinende Formulierung entscheiden – auch
dort, wo das nicht immer eindeutige Original bewusst oder
unbewusst etwas off en lässt. Und genau diese Festlegungen
können ausserordentlich lehrreich sein.
Das klingt plausibel und ist es auch, und die zur Erläuterung
dieser Th ese gewählten Beispiele überzeugen nicht
nur, sondern entfalten in ihrer Darlegung durch den Autor
auch einigen interkulturellen und kulturgeschichtlichen
Reiz. Sie könnten ihn allerdings noch viel intensiver entfalten.
Denn leider wird er oft gleich wieder zugeschüttet,
weil sich die erstaunliche sprachliche Umständlichkeit des
Verfassers über die Massen in den Vordergrund drängt. Es
ist, als habe Peter Utz, der durchaus anders kann, sich und
seiner Zunft beweisen müssen, dass auch er das – nicht immer
und unbedingt zu Recht – weithin verpönte Germanistenkauderwelsch
perfekt beherrscht. Selbst wenn man das erste, die Hauptthese des Verfassers entfaltende Kapitel
über das «Gewinnversprechen des literarischen Übersetzens»
noch mit Bewunderung und Zustimmung liest – bald schon
strapaziert dieses Buch die Geduld des Lesers. Dieser wird
übrigens ganz grundsätzlich als mehrsprachig gebildeter Europäer
und damit auch Hoff mann-, Fontane-, Kafka- und
Musilkenner – im Klartext: als Germanistenkollege – angesprochen.
Warum hat Utz seine einleuchtenden Th esen
zum Mehrwert des Übersetzens nicht zu einem schwungvollen
Essay mit ein paar wenigen Beispielen verdichtet?
Sein im falschen Verlag erschienenes literatur- und translationswissenschaftliches Fachbuch mit fast 300 Seiten Text und fast 40 Seiten Anmerkungsteil werden Germanisten,
Kulturwissenschafter und Übersetzungsspezialisten sicherlich
mit Gewinn lesen. Das grosse Publikum aber dürfte es
recht bald schon gähnend zuklappen – ermüdet von einem
Kulturwissenschaftler-Slang, der sich über viel zu viele Seiten
und nicht ohne akademische Selbstverliebtheit mit den
«Fremdstellungen des Eigenen», dem «verbalen Rhythmus im
Zeichen der Gewalt am Körper» oder der «doppelten Referenzialisierbarkeit
jedes Ausdrucks» abmüht. Schade.
besprochen von Klaus Hübner, München
Peter Utz: «Anders gesagt – autrement dit – in other words». München:
Hanser, 2007.