Zum vielschichtigen Sinn des Originals
Peter Utz: «Anders gesagt – autrement dit – in other words». München: Hanser, 2007.
Peter Utz ist Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Lausanne, wo es auch ein international angesehenes «Centre de traduction littéraire» gibt. Er wird in der Fachwelt als hochgelehrter Philologe geschätzt und ist einem breiteren Leserpublikum vor allem als bekennender Liebhaber und origineller Deuter des Werks Robert Walsers bekannt. Sein jüngstes Buch beschäftigt sich mit Übersetzungen deutschsprachiger Weltliteratur ins Französische und Englische, und dazu hat Utz eine zwar nicht ganz originelle – aber mit souveränem Überblick über die jüngsten Entwicklungen seiner Wissenschaft neu verpackte – These, die er bei den Solothurner Literaturtagen und auf diversen anderen Podien schon mehrfach erläutert hat: da das Übersetzen eines literarischen Textes auch als eine Art Interpretation verstanden werden kann, erschliessen sich auch dem muttersprachlichen Leser des Originaltexts durch das Studium der Übersetzungen oft neue Bedeutungsnuancen und verborgene Sinnpotentiale. Während ein Literaturwissenschafter, nach dem Sinn eines dichterischen Werks tauchend, seine Interpretation wortreich und ausführlich hin und her wenden kann, muss sich der zwischen AusgangsVERLEGER und Zielsprache surfende Übersetzer für eine einzige, ihm passend erscheinende Formulierung entscheiden – auch dort, wo das nicht immer eindeutige Original bewusst oder unbewusst etwas off en lässt. Und genau diese Festlegungen können ausserordentlich lehrreich sein. Das klingt plausibel und ist es auch, und die zur Erläuterung dieser These gewählten Beispiele überzeugen nicht nur, sondern entfalten in ihrer Darlegung durch den Autor auch einigen interkulturellen und kulturgeschichtlichen Reiz. Sie könnten ihn allerdings noch viel intensiver entfalten. Denn leider wird er oft gleich wieder zugeschüttet, weil sich die erstaunliche sprachliche Umständlichkeit des Verfassers über die Massen in den Vordergrund drängt. Es ist, als habe Peter Utz, der durchaus anders kann, sich und seiner Zunft beweisen müssen, dass auch er das – nicht immer und unbedingt zu Recht – weithin verpönte Germanistenkauderwelsch perfekt beherrscht.
Selbst wenn man das erste, die Hauptthese des Verfassers entfaltende Kapitel über das «Gewinnversprechen des literarischen Übersetzens» noch mit Bewunderung und Zustimmung liest – bald schon strapaziert dieses Buch die Geduld des Lesers. Dieser wird übrigens ganz grundsätzlich als mehrsprachig gebildeter Europäer und damit auch Hoff mann-, Fontane-, Kafka- und Musilkenner – im Klartext: als Germanistenkollege – angesprochen. Warum hat Utz seine einleuchtenden Th esen zum Mehrwert des Übersetzens nicht zu einem schwungvollen Essay mit ein paar wenigen Beispielen verdichtet? Sein im falschen Verlag erschienenes literatur- und translationswissenschaftliches Fachbuch mit fast 300 Seiten Text und fast 40 Seiten Anmerkungsteil werden Germanisten, Kulturwissenschafter und Übersetzungsspezialisten sicherlich mit Gewinn lesen. Das grosse Publikum aber dürfte es recht bald schon gähnend zuklappen – ermüdet von einem Kulturwissenschaftler-Slang, der sich über viel zu viele Seiten und nicht ohne akademische Selbstverliebtheit mit den «Fremdstellungen des Eigenen», dem «verbalen Rhythmus im Zeichen der Gewalt am Körper» oder der «doppelten Referenzialisierbarkeit jedes Ausdrucks» abmüht. Schade.
besprochen von Klaus Hübner, München