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Zukunft ist immer Risiko
Georges T. Roos, zvg.

Zukunft ist immer Risiko

Quantencomputer berechnen Wahrscheinlichkeitsräume, spekulative Zukunftsforschung exploriert Möglichkeitsräume. Beiden gemeinsam ist die Opposition zum Determinismus.

Der Tech-Visionär, Science-Fiction-Autor und Physiker Arthur C. Clarke wird oft mit dem Satz zitiert: «Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.» Die Quantenmechanik ist tatsächlich eine enorme Herausforderung für unsere Vorstellungskraft: beispielsweise, dass Quanten, diese kleinsten Teilchen, sowohl Materie wie auch Welle sein können. Will man Quanten aber messen, sind sie sofort nur noch Materie oder Wellen – als ob sie merken würden, wenn wir sie beobachten. Oder dass Quantenteilchen an mehreren Orten gleichzeitig sein können. Oder dass sie mit anderen Quantenteilchen auf eine Weise verschränkt sind, dass sie – auch wenn weit voneinander entfernt – simultan auf die Veränderung des anderen Teilchens reagieren, die Information sich also schneller als mit Lichtgeschwindigkeit überträgt. Dies alles ist schwer verdauliche Kost für den Logiker.

Das Undenkbare denken lernen

Die Gesetze der Quantenmechanik sind kontraintuitiv, widersprechen der Newton’schen Physik und auch unserer praktischen Erfahrung – kurz: Sie stellen unsere Vorstellungskraft auf eine harte Probe. Und doch ist es Physik, doch ist es wissenschaftlich erwiesen und in Quantencomputern praktisch anwendbar.

Das Problem der Vorstellungskraft stellt sich auch, wenn wir versuchen, uns eine künftige Welt vorzustellen, die anders und besser ist als die aktuelle. Dafür müssten wir die Pfadabhängigkeit unseres Weltbildes verlassen und das Undenkbare zu denken lernen. Nicht einfach mehr (oder weniger) vom Gleichen, sondern radikal anders. Aus meiner Erfahrung als Zukunftsforscher weiss ich, dass uns das mehr überfordert als alles andere.

Quantencomputer berechnen Wahrscheinlichkeitsräume, spekulative Zukunftsforschung exploriert Möglichkeitsräume. Beiden gemeinsam ist die Opposition zum Determinismus. Es geht um Vielfalt und Offenheit anstelle von Monokausalität. In Möglichkeitsräumen der Zukunft suchen wir Antworten auf Fragen wie diese: Ist es möglich, dass wir in Zukunft anders wirtschaften? Uns als Gesellschaft anders organisieren? Uns anders ernähren? Unsterblich sein werden?

Alternative Vorstellungen unserer Zukunft stossen auf viel Ablehnung. Sind jene, die von solchen möglichen Zukünften sprechen, weltfremde Visionäre, die nach einem Diktum des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt besser einen Psychiater aufsuchen sollten? Hätte Schmidt die Wissenschafter mit ihren Visionen auch zum Psychiater geschickt? Wir können eines lernen: Nur weil etwas gegen Intuition und herkömmliche Lehre verstösst, bedeutet dies nicht zwingend, dass es nicht richtig sein kann.

«Nur weil etwas gegen Intuition und herkömmliche Lehre verstösst,

bedeutet dies nicht zwingend, dass es nicht richtig sein kann.»

Guter Hammer, böser Hammer

Wir können die Quantenmechanik als Metapher verstehen. Wenn wir Gefangene unserer Denkmuster bleiben, diese nicht zu überwinden wagen, werden wir auch den Fortschritt nicht schaffen.

Vielleicht wird dereinst der Quantencomputer nicht nur als Metapher, sondern ganz direkt für unsere Zukunftsgestaltung von Nutzen sein – wenn er dank seiner unfassbaren Leistungsfähigkeit uns in die Lage versetzt, solch spekulative Zukünfte beispielsweise in Varianten zu simulieren und die erfolgversprechendsten Wege aus unzähligen Szenarien herauszufiltern.

Zukunft ist immer ein Risiko. Eines davon könnte die Nutzung von Quantencomputern zum Schaden der Menschheit sein. Darin ist sie nicht einzigartig: Jede Technologie – selbst der Hammer – kann zum Guten wie zum Bösen genutzt werden. Je potenter die Technologie, desto grösser ist allerdings das Risiko. Den verantwortungsvollen Umgang nimmt uns keine Technologie ab. Je mehr wir können, desto vorausschauender müssen wir handeln. Das ist Los, Schicksal und Chance der menschlichen Vernunft zugleich.

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