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Zürich

Vielleicht eine rüde Herangehensweise, die Stadt an ihren Gaststätten zu messen. Aber sie schmecken und klingen und versammeln die Welt. Dann ist hier dort und dort hier, Spanien springt in die Limmat, Japan zeigt die Zunge und alle sind froh.

Zürich
Ilma Rakusa, photographiert von Giorgio von Arb.

Ein «Akropolis», «Akanthus» und «Alicante» gibt es nicht, aber ein «Alpenrose», «Aroma» und «Allegro», ja sogar ein «Angkor», «Apollo» und «Ararat». Gefolgt von «Bauernschenke», «Bederhof», «Belcanto», «Blaue Ente», «Bohemia», «Caravello», «Commercio», «Desperado», «Dorflinde», «Eichhörnli», «Elefant», «Equinox», «Fischstube», «Fondue-Stübli», «Fujiya», «Golden Gate», «Goethe-Stübli», «Heugümper», «Holzschopf», «Hüehnerstall», «Italia», «Il Tartufo», «James Joyce», «Kaiser’s Reblaube», «Kerala»,
«Klosbächli», «Krokodil», «Kronenhalle», «Kropf», «Latino», «Le Poisson», «Leuen», «Limmathof», «Linde», «Lumière», «Mamma Leone», «Manhattan», «Marathon», «Marrakesch», «Max und Moritz», «Mère Catherine», «Metzg», «Michelangelo», «Mister Wong», «Mohrenkopf», «Monte Christo», «Morgenstern», «Napoli», «Neumarkt», «Negishi», «Odeon», «Oepfelchammer», «Onkel Tom’s Hütte», «Palme de Beirut», «Papa Joe’s», «Pauls Chässtübli», «Peking», «Penalty», «Peter Pan», «Petit Saigon», «Picasso», «Piranha», «Primitivo», «Pumpstation», «Raclette-Stube», «Rangierbahnhof», «Reblaube», «Rechberg», «Reithalle»,  «Rosengarten», «Rüden», «Samurai», «Schmuklerski», «Schweizerhof», «Seerose», «Shangrila», «Sternen», «Tagliatelle», «Tandoori», «Tibits», «Topolino», «Träffpunkt», «Tres Kilos», «Turbinenhalle», «Utoburg», «Veltlinerkeller», «Vierter Akt», «Waag», «Waid», «Wehrlischloss», «Weisser Wind», «Wilder Mann», «Wolfbach», «Yoshino», «Ziegelhütte», «Zum Grobe Ernst».

Stop. Und es sage keiner, diese vielsprachige Litanei sei nicht Zürich. Alles da, was da sein kann, zig Zungenschläge und Geschmacksrichtungen. Auch Picasso und Joyce müssen dran glauben und zieren jetzt Speisekarten.

Nie habe ich mit Fred einen Kneipenrundgang gemacht, er liess sich in der erstbesten nieder und sagte: Schön hier. Und auch das nächste Mal wollte er da hin, wo er es schön gefunden hatte. Einmal schön, immer schön. Ich gönnte ihm seinen Glauben. Von globalisierter Neugier hielt er nichts, wollte nicht alles und jedes ausprobieren, nicht auf jeden Zug aufspringen: Ist die «Alpenrose» o.k., bleib ich bei der «Alpenrose». Und ich stiefelte mit und war einverstanden. Halbwegs.

Das Gewohnte lenkt nicht ab, die Kellnerin bringt prompt das Gewünschte – eine Slowakin, die charmant Schwyzerdütsch radebricht –, man kann sich auf das Gespräch konzentrieren, und Fred liebte das Gespräch. An ihm war ein Redner verlorengegangen, nicht ein Kulinariker. Das hiess «Alpenrose» mit hitzigen Debatten. Über Vormundschaft, Universitätsreform, Zweckehe, Oba-ma. Bis die Slowakin Bratwurst mit Rösti anbot und Fred kurz den Mund stopfte.

Fred verhielt sich zu Zürich wie zu einem vorübergehenden Wunder: Er himmelte die Stadt an, die sich erkenntlich zeigte. Arbeitsklima in der Werbeagentur: hervorragend. Sicherheit, Komfort, Lebensstandard: hervorragend. Lage: hervorragend. Einzige Einschränkung: der schwer verständliche Dialekt. Beim Joggen verliebte er sich in eine Walliserin, die noch unverständlicher sprach. Und beschloss, deutschen Stolz abzulegen und sich ins Helvetische hineinzuknien. Mit Müsli würde er einmal sein Schätzli füttern, meinte er scherzhaft. Dann müsse auch ein Büsi her, und überhaupt. Das mit der Walliserin zerschlug sich, ohne seine Schuld. Aber an Zürich hielt er fest und sammelte Dialektwörter. In der «Alpenrose» bekam ich sie vorgesetzt: «gumpe», «briegge», «täubele», «Anke», «Lätsch», «Gnusch». Na? Für eine Brandrede reichte es noch nicht, aber die Trouvaillen klangen apart. Und wurden mit der Zeit mehr und mehr.

Fred strengte sich sichtlich an, um seine Zürich-Eignung zu beweisen. Ich weiss nicht, ob ich ihn darin unterstützte. Die Stadt
sei kosmopolitisch, sagte ich, hier spazierten in Scharen Tamilen, Kosovo-Albaner, Russen, Spanier und Italiener herum, von anderen Nationalitäten zu schweigen. Geh an den See und überzeug dich selbst. Dort schlägt dir Balkan-Slang an die Ohren, der letzte Schrei.

Am See wurde Fred eines Abends von einem Schwarzen angegriffen, Schlag an den Hinterkopf. Aber er wehrte sich und nahm Reissaus. Die Brieftasche war noch da, nur der Kopf schmerzte. Wäre es eine Gruppe gewesen, hätten sie ihn niedergeschlagen und ausgeraubt. Drogenabhängige, Dealer, solches Pack. Er war erschüttert und mied den Park. Er quälte mich mit Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Blöder Zufall, sagte ich beschwichtigend, reg dich nicht länger auf. Aber Fred funktionierte anders, er bohrte, grübelte, suchte nach Gründen. Zürich verlor seinen Glanz, entpuppte sich als eine Stadt wie jede andere. Irgendwann hörte er auf, mir seine neuen Wortfunde zu präsentieren, und eines Tages erklärte er in der «Alpenrose», er ziehe nach Konstanz.

Damit hatte ich nicht gerechnet, nicht mit dieser beleidigten Absage an seine Traumstadt. Enttäuschte Liebe?, fragte ich spitz. Statt sich in einer Suada zu ergehen, nickte er wortlos. Das war’s.

Assja mochte das «Odeon». Sie machte es sich zur Gewohnheit, hier Zeitung zu lesen. Wenn ich kam, sah sie hoch und erzählte mir ungefragt die vermischten Nachrichten. Erdrutsche, Raubüberfälle, Ehedramen, Schiffshavarien, alles Schlimme hatte Vorzug, denn es repräsentierte das wahre Leben. Assja war besessen vom Gedanken, dass das Gute nie siegen würde. Sie glaubte manichäisch an einen Rachegott. Versöhnlich wurde sie nur, wenn sie von Kindern sprach und vom Asowschen Meer, ihrer alten Heimat. Ach die Weite, schwärmte sie, ach der Horizont, die Vögel, das tiefe Blau. Als hätte sie ihre Vergangenheit unnötig weggeschmissen. Wir fahren mal hin, ermunterte ich sie. Und sie: Mein Täubchen, dann kriegst du einen nassen Busen.

Am liebsten wäre sie wundertätig gewesen, um den Kurs der Welt zu ändern. Aber nein, die Tränenströme versiegten nicht. Und was hat Lenin aus der Revolution gemacht? Immer wieder zog es sie in die Spiegelgasse, wo in der Nr. 14 Iljitsch den Umsturz vorbereitete. Unten im Eckhaus gurrten sie dadaistisch, der Oberrevolutionär aber brütete über ernsteren Plänen. Fast in Rufnähe, das stelle man sich mal vor. Was waren die Tzaras, Balls und Konsorten doch harmlos, wenn du bedenkst, dass Lenin schon 1921 Arbeitslager errichtete.

Assja hatte einen Grossvater in Stalins Gulag verloren, sie hasste die sowjetische Geschichte und deren Begründer.

Und warum Zürich?

Frag nicht so dumm.

Als Geigerin spielte sie im Opernorchester, die Musik war ihr Leben. Und die Bedingungen waren gut. Besser als anderswo.

Du bleibst?

Aber natürlich, ich bin doch nicht bescheuert.

Ihr Mann – oder Ex-Mann – spielte Bratsche, ein schweigsamer Mensch, der aussah, als wäre er auf der Durchreise. Nervös, angespannt, mit unruhigem Blick. Auch Assja hatte etwas Unruhiges. Eben noch versank sie im Polster des Cafés, da schnellte sie hoch und eilte auch schon zum Ausgang. Wie überrumpelt rief ich ihr hinterher, sie solle warten. Jaja, mach schon, brummte sie ungeduldig. Später gestand sie, dass sie schlecht schlafe, ein dünner Schlummer mit sekundenkurzen Träumen. Vielleicht das Klima, der Föhn, die schnellen Wetterumschwünge, sie wisse es nicht, aber ausgeruht sei sie nie.

Ich wünschte ihr innigen Schlaf und Träume kopfunter, streichelte ihre Porzellanhaut. Wir schlenderten die Limmat entlang. Das Wasser strömte grünlich nach Westen, zügig in der Mitte, scheinbar langsamer an den Rändern, bildete da und dort kleine Strudel. Möwen liessen sich auf der Oberfläche treiben, ein Schwan suchte die Ufernähe, um gefüttert zu werden. Assja griff in ihre Handtasche, entdeckte aber nichts Brauchbares. Ich zog sie in eine schattige Gasse. Und hinauf zur Peterhofstatt.

Wenn du mich fragst, ein exquisiter Ort.

Sie nickte.

Wir sassen auf der Bank unter der Linde, sahen zum Turm der Peterskirche hoch. Die Zeiger der riesigen Turmuhr bewegten sich kaum merklich. Man stelle sich vor, sie bekämen von Zeit zu Zeit Wutanfälle, fuchtelten herum, bis das Gold abblättert. Hinter uns das freskenverzierte Haus, wo einst Goethe abgestiegen war, um Lavater zu besuchen, Lavater, den Pfarrer von St. Peter. Heute schlemmt man hier, in «Kaiser’s Reblaube» und im «Goethe-Stübli». Assja sagte: Eine liebevolle Täuschung.

Assja mag keinen Konsum, keine schicken Läden, keine Luxusrestaurants. Sie trägt Sneakers und ein braunes Kapuzenkleid, sie isst am liebsten Fisch und Reis, einfach zubereitet. Ein Vögelchen mit blauer Kopfbedeckung flatterte in den Baum, wir lachten auf.

Wir lachten gerne zusammen.

Doch Assja meldete sich nicht mehr.

Ich wartete, ich wollte sie ans Asowsche Meer erinnern. Und ihr den Alpenhimmel schmackhaft machen. Ich warte noch immer.

Mario sagte, er kenne die Stadt wie seine Hosentasche, er sei Spezialist in Spazierkunde und ein Beizengänger. Das hatte er mir voraus. Es zog ihn zu den Bahngleisen, in Gleisnähe fand er urige Kneipen und fröhliches Gesindel, bunte Lädeli und Multikultistimmung. Obwohl, obwohl die Gleisgegend trendig werde. Plötzlich halte Schickes Einzug, unter den Bahnbogen seien Galerien entstanden. Und der grün schimmernde Prime Tower setze dem Ganzen die Krone auf.

Umnutzung, Veredelung, sagte ich, aber er liess mich nicht ausreden. Er verabscheue diesen Optimierungswahn, Verschönerung um jeden Preis, denn das bedeute auch Verteuerung. Soll man doch die Gräslein bis zum Himmel wachsen lassen und endlich Ruhe geben dem kleinen Mann.

Die Melodie klang vertraut, fehlte nur noch, dass er zu den Hausbesetzern ging.

Wir trafen uns im «Rangierbahnhof», wo ein Fernseher Blumenfarben verteilte, tranken Kaffi Kirsch.

Also bitte, sagte Mario, was wir brauchen, sind Emotionen. Mehr Gefühl muss her, mehr Einfühlungsvermögen, oder wie heisst das nur.

Ich erzählte ihm von den Märchen meiner Kindheit, den klugen Schweinchen und armen Tröpfen, die nicht einmal sich selbst gewachsen waren. Das amüsierte ihn.

Von mir aus Märchen, sagte er, von mir aus schlechter Geschmack, wenn wir nur näher zusammenrücken.

Seine Spazierkunde erwies sich als Menschenkunde, denn wo immer wir vorbeikamen, sprach er Menschen an – auf der Strasse, in Geschäften, grüsste alte Bekannte, gab Fragenden bereitwillig Auskunft.

Während ich das Farbenspiel des Prime Tower bewunderte, galt sein Blick nicht der glitzernden Fassade, sondern Zwillingen, die ihre kleinen Fahrräder ausprobierten. Und behend hob er den Stock eines alten Mannes auf, der diesem entglitten war. Merci! Im Gewusel des Bahnhofs Hardbrücke machte er Frauen mit Kinderwagen Platz oder half ihnen beim Einsteigen in die S-Bahn. Ruhig, selbstverständlich, er brauchte keinen Souffleur.

Von Mario lernte ich, die Augen nach allen Richtungen offen zu halten. Ich nannte es plissierte Aufmerksamkeit.

Er zeigte mir eine kleine Allee von Gingkobäumen, Häuser mit wilder Fassadenbemalung, einen Hof, in dem 150 Fahrräder standen (keines wie das andere), und Strassen, wo orthodoxe Juden wohnten, erkennbar an ihren schwarzen Kaftanen und Gebetsschnüren. Vor Galerien blieb er kurz stehen, Hunde tätschelte er, wenn sie seine Nähe suchten.

Meine Füsse taten weh, als wir den Bahnhof Wiedikon erreichten. Er aber war weder nassgeschwitzt noch erschöpft. Unterwegs hatte er mit einem Jacques gescherzt und sich einen Bogen Papier gekauft. Er malte.

Die Zürcher, heisst es, gifteln gerne. Nur: wer ist schon ein waschechter Zürcher, und hat der, der giftelt, nicht Grund dazu?

Es war friedlich, sagte ich, friedlich und schön.

Mario strahlte.

Am Schluss des Tages entlud sich ein Gewitter über unseren Köpfen und wir flüchteten in das erstbeste Lokal. Es hiess «Mythos Café». Mythos wie Mythos, dazu eine blaue Theke. Wir philosophierten über die Antike, während wir Campari Soda tranken und entschieden, dass jedes Schlafzimmerfenster nach Osten schauen muss. Osten, und basta.

Man darf den Griechen nicht das Handwerk legen, sagte Mario ernst.

Seien wir einfühlsam, sprach ich dem Meister nach.

Mit Esther war es so eine Sache. Wenn wir uns verabredeten, sagte sie im letzten Moment ab. Nur spontane Rendezvous hatten eine Chance, denn zweimal zwei war fünf. Das konnte in der «Bodega española» sein oder im «Terrasse», vorzugsweise gegen Abend, vorzugsweise am Mittwoch, wenn sie nicht unterrichtete. Sie legte den Kopf schräg, musterte mich scharf und sagte: Wohin führst du mich heute? Noch bevor wir ein Getränk bestellt oder einander ordentlich begrüsst hatten. Eigentlich eine Frechheit. War ich ein Zürich-Guide?

Sie stammte aus Basel, was ihre Neugier nur schwer erklärte. Sie war kurzsichtig, trug immer ein Vokabelheftchen bei sich und duftete nach «Angel».

Heute? Mal sehen.

Ich liess meinen Blick über ihre Frisur schweifen und wusste es plötzlich. Immer kam mir die Idee, wenn ich sie anschaute.

Naturlocken, nicht mit der Brennschere gedrehte, das war Esther. Ein dunkles Wesen, von innen zum Glühen gebracht.

Sie musste loswerden, was ein Schüler ausschwadroniert hatte: die Lina sei schwanger, mit sechzehn, verflixt. Wirklich ein Problem, und von wem nur.

Familienhintergrund?

Heikel, sagte sie einsilbig.

Solche Probleme gehörten nicht zum Schulstoff, sondern zum Stoff, aus dem das Leben gemacht ist. Und holten sie ein. Übermannten sie. Manchmal hätte sie den Job am liebsten hingeschmissen.

Ich zog sie aus dem «Terrasse», es war ein Mittwoch im Juli. Unter den Arkaden des Helmhauses spielte ein Akkordeonist Bach. Die Orgeltoccata klang verkleinert, verländlicht, etwas schluchzend, doch eindrucksvoll. Wetten, dass der Mann Ukrainer oder Russe ist, sagte Esther, während sie in Katalogen des Bücherkioskes blätterte. Diese Technik! Mein Herz schlägt für solche Könner. Und kaufte sich Findet mich das Glück? von Fischli und Weiss.

Wir steckten den Kopf in die Wasserkirche. Esther intonierte ein «Gloria», der Raum hallte ratlos. Es gab keine Gefühlsübertragung. Aber das Licht war wie gemalt.

«Darf ich nicht hinter jeder Ecke ein Zeichen sehen?», las Esther im neu erstandenen Buch. Da stiegen wir schon die Treppe zum Grossmünster hoch. Eine Gruppe von Japanern mit Sonnenschirmen kam uns entgegen, bunt vor der grauen Kirchenfassade. Ich dachte: Instant-Foto. Esther sagte: Ein Zeichen, dass ich meinen blauen Kimono anziehen soll, den mir Miho geschenkt hat.

Das tu mal.

Dann traten wir durch eine Tür und waren im Kreuzgang.

Oh!, rief Esther. Und verstummte.

Die Überraschung war dieses Geviert mit den Säulen und romanischen Kapitellen, mit den Buchshecken und einem plätschernden Brunnen mittendrin. Sonst Stille.

Kennt keiner, sagte ich. Sie aber sah schon auf den wilden Mund eines Teufels, auf die im Kampf verzahnten Ungeheuer. Schweine, Hornvieh, krallige Fabeltiere, Schlangen, kopfunter oder wie geknetet. Wow! Fratzen mit Schnauzen und riesigen Nasenlöchern, haarige Kerle. Und dann diese zwei zarten Frauen, verloren im Tumult der Unholde. Und ein Kindchen, ein Kindchen sogar. Gerade auf das Jesulein fiel ein Tropfen Sonne, erhellte sein Gesicht.

Esther ging, blieb stehen, ging weiter. Legte den kleinen Finger auf ein welliges Ornament. Meiner berührte eine Säule. Der Stein war warm.

Als ob die Welt hier zurechtgerückt wäre, sagte Esther. Kämpfende Meuten, lose Wutanfälle, da und dort ein Engel, der Kleine, schön beieinander im Karree. Das muss ich Lina zeigen. Hier werde ich mit ihr reden.

Mission accomplished, fiel mir ein.

In der «Bodega» tranken wir einen Rotwein. Die Kellner rissen Witze. Uns war nicht nach Unterhaltung zumute. Irgendwann schlug Esther Fischli und Weiss auf und las: «Fährt manchmal nachts meine Seele ohne Auspuff in der Gegend herum?»

Durch Zürich rennen nachts Füchse, sie kennen keine Scham. Sie plündern Müllsäcke, zerstreuen das Zeug allüberall. Es wird gut gegessen in Zürich, es fällt einiges ab. Zwischen Üetliberg und Zürichberg ist viel Revier für Diebstahl. Beim Kinderspital einen Fuchs gesichtet, beim Schauspielhaus, in Friedhofsnähe. Ist Joyce, der rauchend an seinem Grab sitzt, gefeit gegen die Eindringlinge? Im Wald Vögel und Rehe, im benachbarten Zoo Eisbären, Flamingos, Wildkatzen und mehr, doch die Füchse zirkulieren, zirkulieren in dieser Pseudoländlichkeit. Ich höre ihr Gekreisch, am Morgen liegt die Bescherung in Büschen und Gras. Und dass keiner die Früchte des Gartens isst!

Wohlstandssymptome, sagt ein Fräulein. Die Stadtreinigung hat’s im Griff.

Derweil wird der Reigen der Restaurants grösser und grösser. Habe ich das «Pergola» und das «Pippone» erwähnt, das «Antica Roma» und die «Nachtigall», das «Mohini» und die «Markthalle», das «Millennium» und das «Sale e pepe»? Und das «Tex Mex» und das «Tüfi»? Dann also: en Guete!

 


Der hier abgedruckte Text ist ihrem neuen Erzählband entnommen. Wir danken dem Droschl-Verlag für die freundliche Abdruckgenehmigung.

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