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Zu viele Trittbrettfahrer in der Klimapolitik

Die Schweiz sollte sich einem internationalen Klimaabkommen nur dann anschliessen, wenn sich grosse Länder verpflichten, verbindliche Ziele festzuschreiben. Gedanken zur bevorstehenden Klimakonferenz.

Zu viele Trittbrettfahrer in der Klimapolitik
Eric Scheidegger, Bild: Seco.

Eine gängige Kritik an Politik lautet, dass gewählte Volksvertreter in der Regel nicht über den Zeithorizont ihrer Wahlperiode hinausdenken, wenn sie agieren. Dies ist nicht überraschend. Politiker, die nach einer Wiederwahl trachten, müssen die politische Nachfrage bis zum nächsten Wahltermin befriedigen. Darum gelten auf dem politischen Markt die kurzfristigen Wahlversprechen auch als eine starke Währung. Politische Entscheidungen, die bis zum nächsten Wahltermin für eine spezifische Interessengruppe Vorteile bringen und die Kosten auf die breite Allgemeinheit überwälzen, sind besonders beliebt.

Anders verhält es sich bei der Klimapolitik. Seit dem Gipfel in Rio 1992 nimmt die internationale Staatenvereinigung wiederholt grenzüberschreitende Umweltprobleme über langfristige Zielverpflichtungen an die Hand. Aktuell wird für Ende Jahr die UNO-Klimakonferenz in Paris vorbereitet, an der ein weltweites Klimaabkommen für die Jahre nach 2020 verabschiedet werden soll. Der Bundesrat hat dazu bereits verlautbaren lassen, dass die Schweiz die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent (gegenüber 1990) reduzieren wolle. Bis 2050 sollen die Emissionen gar um 70 bis 85 Prozent verringert werden. Andere politische Projekte knüpfen an diesen Zeithorizont an: Nach dem Grundsatzentscheid zum Ausstieg aus der Atomenergie heisst die neue Energiepolitik nicht grundlos Energiestrategie 2050. Und die laufenden Arbeiten für die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016–2019 fussen auf Grundlagen von Zielsetzungen für das Jahr 2030. Damit werden die Zahlen 2030 und 2050 zu bedeutenden Wegmarken der Schweizer Klima-, Energie- und Umweltpolitik deklariert. Was ist von solchen sehr langfristigen Zielformulierungen zu halten?

 

Zweifel sind angebracht

Es ist ein Zeichen von weitsichtigem Führungs- und Gestaltungswillen, wenn generationenübergreifende Wahlversprechen durch explizite Verpflichtungen untermauert werden. Gleichzeitig kann den Wählerinnen und Wählern sowie den wirtschaftlichen Akteuren aufgezeigt werden, auf welche Restriktionen sie sich über die nächsten 15 bis 35 Jahre einstellen müssen. Doch sind solche politischen Commitments auch glaubwürdig – und eine echte Orientierungshilfe, die eine gewisse Vorhersehbarkeit ermöglicht? Zweifel sind angebracht.

Erstens gehört es zum menschlichen Wesen, eine Präferenz für Gegenwartskonsum («Zeitpräferenz») zu haben. Schon deshalb dürfte es der Politik nicht leicht fallen, die Wählerschaft dauerhaft zu überzeugen, dass ein Verzicht heute beim Autofahren oder bei Flugreisen dem weltweiten Klima in Jahrzehnten zugute kommt. Zudem sind die Kosten des Verzichtes für jeden einzelnen unmittelbar gegenwärtig und spürbar, wohingegen der versprochene Nutzen wenig fassbar und massgeblich erst in ferner, ungewisser Zukunft liegt.

Zweitens unterliegt langfristiges politisches Handeln dem Problem der Zeitinkonsistenz. Darunter ist die häufige Beobachtung zu verstehen, dass selbst eine glaubwürdige Ankündigung politischer Entscheidungsträger noch vor der Realisierung über Bord geworfen wird. Dies muss nicht einmal (kann aber auch) mit politischen Parteienkonstellationen zusammenhängen, die sich künftig unterscheiden. Die Argumentation zur Zeitinkonsistenz verläuft anders: Die heutige Klimapolitik zielt über regelmässig erhöhte Lenkungsabgaben darauf ab, dass die Menschen ihr Verhalten schrittweise verändern und damit einem langfristigen Emissionsabbaupfad folgen. Wenn die Akteure wissen, dass ihnen über 15 Jahre stetig steigende Abgaben drohen, kaufen sie – so die Idee – schon frühzeitig sparsamere Autos, minimieren das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort oder lassen den Gebäudepark isolieren. Nun ahnen aber viele Wähler, dass die Einführung (noch) höherer Abgaben früher oder später auf politischen Widerstand stossen wird. Also verzichten sie in der nahen Zukunft eben doch auf emissionsarme Autos; und viele Eigenheimbesitzer verzichten auf Investitionen in Wärmeisolation. Die Umsetzung der angestrebten Emissionsreduktion wird sich dadurch verzögern, und es werden in der Folge noch kostspieligere Vorgaben zur Zielerreichung beschlossen werden müssen. Dann ist aber zu erwarten, dass die definitive Einführung der einst angekündigten (hohen) Abgabepolitik tatsächlich verweigert wird.

 

3 CHF pro Liter Heizöl Extraleicht

Mit Blick auf die Energiestrategie 2050 dürfte eben dieser Umstand zur politischen Knacknuss werden, wenn man bedenkt, dass die Erreichung der ambitionierten Ziele bis 2050 künftig mit beachtlichen Kostenfolgen verbunden sein wird: 2012 hat das Bundesamt für Energie (BFE) eine Studie über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Energiestrategie veröffentlicht (Ecoplan, September 2012). Diese zeigt u.a., dass zur Erreichung der langfristig angestrebten CO2-Reduktion im Jahr 2050 eine CO2-Abgabe auf Brenn- und Treibstoffe von 1140 CHF pro Tonne CO2 (beschlossen ab 1. Januar 2016: 84 CHF, nur auf Brennstoffe) nötig wäre. Das entspricht einem Zuschlag von rund 3 CHF pro Liter Heizöl Extraleicht (derzeit 16 Rp./Liter) und rund 2.80 CHF pro Liter Benzin.

Damit sind wir beim dritten und schwierigsten Dilemma langfristiger Zielversprechungen. Klimaschutz ist ein öffentliches Gut, bei dem die Tendenz zum Trittbrettfahren besonders ausgeprägt ist. Sowohl für den einzelnen Konsumenten als auch ein einzelnes Land besteht ein Anreiz, die Umsetzung von Langfristzielen allen anderen zu überlassen. Damit können sie von der Lösung des Klimaproblems profitieren, ohne die direkten Kosten aus dem Konsumverzicht schultern zu müssen. Weil aber viele Menschen und Länder sich dieses Problems bewusst sind, dürfte Trittbrettfahren im Klimabereich zur Regel werden.

Die Experten der Klimapolitik sind sich der Herausforderungen diskretionärer, das heisst situationsabhängiger Politik bewusst. Sie setzen sich deshalb für eine regelbasierte, verpflichtende Politik ein. Aber gerade aus den obengenannten Gründen ist das sehr schwierig. Letztes Jahr haben sich neben der Schweiz nur die EU, Weissrussland, Kroatien, Island, Kasachstan, Liechtenstein, Norwegen und die Ukraine erneut zu einer Verpflichtung unter dem Kyoto-Protokoll bereit erklärt (Abdeckung von weniger als 14 Prozent der weltweiten Emissionen). Die USA, Kanada, Russland, Australien sowie die grossen Schwellenländer waren nicht bereit, bis 2020 international rechtlich verbindliche Reduktionsverpflichtungen einzugehen.

Bleibt als typischer Ausweg die feststellbare Tendenz in der Schweiz, die Ernsthaftigkeit der Umsetzung langfristiger Ziele durch das Anstreben von näherliegenden Zwischenzielen zu untermauern. So peilt die Energiestrategie 2050 das Jahr 2035 an, um zwischenzeitlich Zielwerte (aktuell spricht man von «Richtwerten») anzustreben, mit denen erkannt werden soll, ob das Land «auf Kurs» ist. Und bei den klimapolitischen Zielen bis 2030 blickt man auf bestehende Zwischenziele, zu denen sich die Schweiz bis 2020 verpflichtet hat. Dies mag gut gemeint sein.

Hingegen besteht beim Setzen von Zwischen- und Sektorzielen ein weiteres Risiko. Der Schritt in eine planwirtschaftliche Umsetzung liegt nahe. Denn wenn die seriös arbeitende Verwaltung im Rahmen ihres Monitorings Zielunterschreitungen feststellt, ist sie durch die Politik geradezu angehalten, zusätzliche Massnahmen vorzuschlagen. Was ursprünglich als «indikative Zwischenziele» im Sinne von Leitplanken gedacht war, wird damit zur schrittweisen planwirtschaftlichen Umsetzung mit immer mehr Regulierungen und Förderungen – ohne Rücksicht auf das sich verändernde (internationale) Umfeld. Diese Tendenz wird durch den Umstand verschärft, dass staatliche Massnahmen immer dazu führen, dass einzelne Interessengruppen darauf abzielen, spezielle Begünstigungen und Zugeständnisse zu erwirken («rent seeking»). Politische Forderungen nach Subventionen und/oder nach Ausnahmetatbeständen bestätigen die Regel solcher Automatismen, die faktisch in eine planwirtschaftliche Umsetzung zu münden drohen.

 

Opt-out-Strategie vorbereiten

Was sind angesichts solcher Herausforderungen die zentralen Elemente einer «guten» langfristigen Klimapolitik? Erstens sollte sich die Schweiz nur unter bestimmten Umständen mit verbindlichen Massnahmen einem internationalen Klimaabkommen anschliessen. Ein solches Abkommen muss durch eine ausreichend grosse Staatengemeinschaft mit ebenso verbindlichen, quantifizierten Reduktionszielen unterzeichnet werden. Eine «kritische Masse» beitretender Staaten sollte gemessen an der erwarteten Wirksamkeit zum Beispiel mehr als 50 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen abdecken. Zweitens sollte die Schweiz ihre Reduktionsverpflichtungen mindestens teilweise dort umsetzen, wo die Vermeidung zusätzlicher CO2-Emissionen möglichst günstig ist, resp. dort, wo mit gegebenen Mitteln die grösstmögliche Wirkung erzielt werden kann. Die Emissionen pro Wertschöpfung sind in der Schweiz bereits heute sehr tief. Hier sind weitere Reduktionspotentiale entsprechend beschränkt und die Vermeidungskosten hoch. Die Schweiz sollte sich deshalb weiterhin für die Förderung von internationalen Finanzierungs- und Marktmechanismen im Klimaschutz einsetzen. So können Reduktionen möglichst kosteneffizient realisiert werden, und klimafreundliche Technologien finden eine stärkere Verbreitung.

Und drittens sollte sich die Schweiz innenpolitisch zu einer Opt-out-Strategie verpflichten, falls sich im Rahmen der Umsetzung grosse Emittentenländer aus dem künftigen Klimaabkommen verabschieden und/oder das Abkommen nicht zustande kommt. So bedauernswert eine solche Entwicklung wäre, so wenig wirksam und unverhältnismässig teuer für die Volkswirtschaft wäre es, wenn die Schweiz mit ihrem verschwindend kleinen Anteil am globalen CO2-Ausstoss von 0,1 Prozent das Klimaproblem als Teil einer klaren Minderheit lösen wollte. Zielführender wäre es in einer solchen unglücklichen Situation, nicht erreichbare Ziele aufzugeben. An diesen kritischen Punkt sind die weiteren Perspektiven aber noch nicht gelangt. Deshalb ist es richtig, dass sich die Schweiz auf dem internationalen Parkett weiterhin für ein wirksames, möglichst alle Länder umfassendes Klimaregime einsetzt.

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