Zu teuer? Quatsch! Kinder zu haben, war nie günstiger
Schweizerinnen und Schweizer haben so wenig Kinder wie noch nie. Als Grund werden häufig die hohen Kosten genannt. Die Realität ist aber eine andere: Der hohe Aufwand, den Eltern für ihren Nachwuchs betreiben, ist selbstgewählt.
Die Hiobsbotschaft, dass die Fertilitätsrate in der Schweiz auf einen historischen Tiefstand von 1,29 Kindern pro Frau gefallen ist, hat sofort Diskussionen über die Gründe ausgelöst. Immer wieder genannt werden die angeblich hohen Kosten von Kindern.
«Viele junge Menschen können sich Kinder schlicht nicht leisten», sagt Cyrielle Huguenot, Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. SP-Nationalrätin Sarah Wyss sekundiert, dass «Menschen auf Kinder verzichten, weil sie es sich nicht leisten können oder es mit ihrer Erwerbstätigkeit nicht vereinbar ist». Die linken Parteien nutzen den Rückgang der Geburten, um ihre Forderungen zu befeuern: mehr Kita-Subventionen, mehr Elternzeit, mehr staatliche Zahlungen an Eltern.
Die Klage über die hohen Kosten von Kindern (und die These, dass das der Grund für die tiefe Fertilitätsrate sei) ist altbekannt. Aber stimmt sie auch? Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Kinder sind im Grunde nicht teuer, sondern im Gegenteil so billig wie noch nie.
Technologie bringt massive Erleichterungen
Vor 100 Jahren gab ein durchschnittlicher Haushalt fast die Hälfte seines Einkommens für Nahrungsmittel aus. Heute sind es noch etwas mehr als 6 Prozent. Ein zusätzliches Maul zu stopfen, schlägt sich im Haushaltsbudget kaum nieder.
Auch sonst ist der Aufwand, ein Kind grosszuziehen, deutlich geringer als vor 50 oder 100 Jahren. Man denke nur an den Aufwand, die Kleider, die Kinder in kürzester Zeit dreckig zu machen verstehen, von Hand zu reinigen (und die Stoffwindeln dazu!). Essen muss nicht mehr stundenlang zubereitet werden. Mikrowelle, Küchenmaschine und konsumfertige Babynahrung im Supermarkt müssen auf eine Mutter aus den 1950er-Jahren wie Schummeln wirken. Ganz zu schweigen von der Spülmaschine, die heute in fast jedem Haushalt steht.
Die Ausgaben für Bildung sind auch nicht höher als früher – im Gegenteil. Mit einem 500-Franken-Laptop und 20 Franken fürs Internet im Monat kann ein Kind heute extrem viel mehr lernen als vor 100 Jahren mit einem teuren Privatlehrer. Und den grössten Ausgabenposten für Bildung, die Volksschule, zahlt ohnehin die Allgemeinheit.
Die externe Kinderbetreuung ist zweifellos teuer, aber das war sie schon früher, wenn es sie denn gab. Wo vergleichbare Angebote bestehen und bestanden, waren sie vor 50 bis 100 Jahren nicht erschwinglicher als heute. Und mit welchem Einkommen sollten sie bezahlt werden? Müttern standen früher oft nur schlechte Erwerbsmöglichkeiten offen.
Nun werden viele argumentieren: Aber Kinder waren früher auch helfende Hände und dienten Eltern als «Altersvorsorge». Allerdings: Bis Kinder der Familie materiell mehr einbrachten als kosteten, dauerte es schon damals lange – vor allem wenn man bedenkt, dass sie aufgrund der tieferen Lebenserwartung nicht so lange produktiv tätig sein konnten wie heute.
«Mikrowelle, Küchenmaschine und konsumfertige Babynahrung im Supermarkt müssen auf eine Mutter aus den 1950er-Jahren wie Schummeln wirken»
Auch früher verlief der Leistungstransfer während des grössten Teils des Lebens von Alt zu Jung, nicht umgekehrt. Die Eltern arbeiteten oft bis kurz vor ihrem Tod. Der Zeitraum, in dem sie von ihren Kindern mehr Unterstützung bedurften, als sie ihnen in Form von Geld oder Arbeitsleistung gaben, war relativ kurz. Wäre es ihnen nur darum gegangen, fürs Alter vorzusorgen, wäre das Äufnen einer finanziellen Reserve weit effizienter gewesen, als Kinder in die Welt zu setzen und grosszuziehen.
Opportunitätskosten sind gestiegen
Ich gebe aber gerne zu, dass Kinder heute teurer scheinen. Das hat zwei Gründe.
Erstens betreiben Eltern heute freiwillig viel mehr Aufwand für ihre Kinder als früher. Studien zufolge wenden Mütter und Väter heute deutlich mehr Zeit für ihre Kinder auf als vor 50 Jahren. Und das, obwohl sie weniger Kinder haben, häufiger berufstätig sind und sehr viel mehr Unterstützung von den Vätern (und vom Staat) erhalten.
Das vermehrte zeitliche Engagement dürfte kaum im Sinne der Kinder sein. Viele Eltern glauben, ihre Kinder ständig beaufsichtigen, kontrollieren und unterhalten zu müssen. Das beeinträchtigt deren Selbstständigkeit, Resilienz und Kreativität. Tendenziell leiden Kinder heute eher unter Überbehütung als unter Vernachlässigung.
Der zweite Grund: Eltern beziehungsweise potentielle Eltern haben heute sehr viel mehr Optionen, ihre Zeit einzusetzen. Die Freizeitangebote sind endlos; die Möglichkeiten, sich zu verwirklichen, ebenfalls. Kinder sind so gesehen mit hohen Opportunitätskosten verbunden. Es sind aber nicht die Kinder an sich, die teuer sind.
Dass Eltern heute so viele Möglichkeiten haben, ist grossartig. Und wenn sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten, sei ihnen das unbenommen. Daraus abzuleiten, dass Kinder zu aufwändig und zu teuer seien, ist aber eine schlechte Ausrede. Man kann auch heute problemlos ein halbes oder ganzes Dutzend Kinder haben, ohne zu verarmen oder ein Burn-out zu bekommen. Bloss wollen das eben die meisten nicht.