«Wir möchten in Nischenmärkte vordringen»

Stellen Sie sich vor, Sie seien in ein Videospiel eingetaucht und spielten James Bond. Sie haben die Virtual-Reality-Brille auf und sind gerade dabei, einen Feind mit Ihrer als Stift ­getarnten Geheimwaffe zu betäuben. Sie nehmen den Stift in dieser virtuellen Welt in die Hand. Aber es gibt ein Problem: Sie spüren den Stift nicht in Ihrer Hand, obwohl Sie durch Ihre Brille sehen, dass Sie ihn gefasst haben.

Genau dafür hat das Bieler Unternehmen Miniswys, für das zehn Mitarbeiter tätig sind, eine Lösung. Es hat einen winzigen keramischen Ultraschallmotor (UCM) entwickelt, der in einen Handschuh integriert werden und durch Vibration und Widerstand den Tastsinn befriedigen kann.

Der CEO von Miniswys, Raphaël Hoesli, legt einen solchen Motor auf meine Fingerspitze. Er besteht aus einer einzigen dünnen Keramikplatte, die zwischen zwei Metallschichten eingebettet ist. Hoesli erklärt mir, wie es funktioniert: Der Motor ist ein Aktuator, d.h. er wandelt elektrische in mechanische Energie um. An die Keramik wird ein elektrischer Strom angelegt, der sie polarisiert und ihr piezoelektrische Eigenschaften gibt. Dadurch wird es möglich, laut ­Hoesli, «die Keramik zu verformen, wodurch die Metallplatten mit einer für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbaren Ultraschallfrequenz von über 500 Kilohertz zum Vibrieren gebracht werden». Diese mechanischen Schwingungen des Metalls werden dann als Motor genutzt, um die Vibrationen in einem Handschuh zu erzeugen oder um andere Funktionen zu erfüllen.

Die kleinen UCM von Miniswys können auch verwendet werden, um das Objektiv einer Drohnenkamera scharfzustellen. Durch eine besondere Eigenart der UCM können sie, wenn die Kamera an einer Drohne befestigt wird, ohne Energieaufwand stetig einen scharfen Fokus beibehalten. Das ist effizient und hält die Kamera ruhig, während der Rest der Drohne aufgrund ihrer sich drehenden Rotoren vibriert. Ausserdem können solche UCM gemäss Hoesli in etwa wie ein Smartphone mit nur 3 Volt Strom betrieben werden. Im Vergleich zu anderen piezoelektrischen Motoren ist das wenig, was das Erschliessen des Konsumgütermarkts erleichtert.

Doch trotz der Entwicklung eines beeindruckenden piezoelektrischen Motors hat es die 2004 gegründete Miniswys bisher nicht geschafft, ein eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. Bisher verliess sie sich auf private Investoren und die Abwicklung kleiner Geschäfte, um über die Runden zu kommen. Immerhin ist der Umsatz im letzten Jahr um 45 Prozent auf nahezu 1 Million Franken gewachsen. Er stammt von einem Hauptkunden in Japan. Dieser Klient stellt für grosse Unternehmen Aktuatoren im Miniswys-Design für Smartphone-­Kameras her. Der einzige andere Kunde von Miniswys ist ein Schweizer Unternehmen, das an einem experimentellen Handschuh für virtuelle Welten tüftelt.

Raphaël Hoesli, der 2017 CTO und 2022 CEO wurde, erläutert, dass die Gründer des Unternehmens bisher ausschliesslich den Durchbruch auf Massenmärkten angestrebt hätten, dieser aber nicht gelungen sei. Er setzt auf eine andere Strategie: «Wir möchten in Nischenmärkte mit hohem Mehrwert vordringen, um der Welt zu zeigen, wie einzigartig unsere Technologie ist.» Der Wettbewerb bei Aktuatoren sei für Miniswys hart, steht doch mit elektromagnetischen Motoren bereits eine bewährte Technologie zur Verfügung.

Hoesli denkt mit Ambition und möchte ein völlig neues Produkt erfinden, das mit den Aktuatoren seines ­Unternehmens funktioniert. Wie Steve Jobs steht er vor der Herausforderung, sich ein neuartiges Produkt auszudenken, das Menschen oder Unternehmen tatsächlich brauchen werden, von dem sie aber heute noch nicht wissen, dass sie es brauchen.

Ob Miniswys dies gelingen wird? Piezo­elektrische Ultraschallantriebe sind auf jeden Fall eine beeindruckende Techno­logie mit vielen derzeit noch nicht völlig erschlossenen Anwendungsmöglichkeiten. Vielleicht braucht es nur einen Funken Fantasie, um Miniswys’ Variante dieses Motors zum kommerziellen Erfolg zu katapultieren. Wer weiss, in welchen trendigen Produkten sie in Zukunft zu finden sein könnten?