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Simon Bigler illustriert von Dunvek.

Zu Besuch bei der Brossi AG

Ein Gespräch mit Simon Bigler, Verwaltungsratspräsident, Geschäftsführer und Alleineigentümer der Brossi AG.

«Wir hatten in der Produktion noch nie eine feste Mitarbeiterin – leider»

Das Problem sind vor allem die Mamis», lautet Simon Biglers halbernste Antwort auf die Frage, weshalb es schwierig sei, junge Männer für eine Lehre als Strassenbauer zu gewinnen. Der Chef der Brossi AG muss es wissen. Er ist seit bald zehn Jahren im Familienunternehmen tätig, kennt es als Vertreter der fünften Generation aber bereits von Kindesbeinen an. Zudem ist er in Branchenverbänden aktiv und engagiert sich für die Aus- und Weiterbildung. «Vor allem an der Goldküste, wo für die Eltern nur noch eine akademische Karriere in Frage kommt, finden Sie gar keine Bewerber mehr», klagt Bigler und platziert gleich einen Werbespot. «Fähige und motivierte Junge haben auf dem Bau ausgezeichnete Entfaltungs-, Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten.»

Dass es sich um ein Lohnproblem handle, stimme nicht. «Als 25jähriger Polier habe ich schon vor Jahren besser verdient, als das in vielen Bürojobs der Fall gewesen wäre.» Dass man bei jedem Wetter unter freiem Himmel tätig ist, betrachtet er als Vorteil. «Mir ging es draussen besser als drinnen.» Und körperlich sei die Arbeit dank der vielen Geräte und Maschinen weniger belastend als früher.

Heute verbringt Simon Bigler allerdings deutlich mehr Zeit drinnen als draussen, fungiert er doch als Anlaufstelle für Probleme aller Art. Kundenanliegen, Personalausfälle, Komplikationen auf Baustellen, aber auch Sitzungen sowie Offerten für öffentliche Submissionen und Angebotsrunden prägen seinen Alltag. «Ich bin aber jede Woche mindestens auch auf einer unserer Baustellen.» Bigler kennt alle rund 50 festen Mitarbeiter gut. «Vor kurzem wurde ein Mitarbeiter nach 35 Jahren Betriebszugehörigkeit pensioniert; ich kann mich noch erinnern, wie er mir als Knirps das Pneuladerfahren beigebracht hat.» Der Chef legt grossen Wert darauf, dass er auch heute alle Maschinen im Betrieb selber bedienen respektive fahren kann. «Ich will das können, was meine Leute können müssen. So verstehe ich ihre Arbeit besser und habe mehr Respekt für ihre Leistung.»

Simon Bigler wollte und konnte sich allerdings nicht einfach ins gemachte Nest setzen, als er 2019 den Betrieb von seinem Vater übernahm. Es war ein längerer Prozess mit Weiterbildung und Coaching. «Das war richtig so, weil das Wollen ohne das Können nicht genügt, um ein solches Unternehmen zu übernehmen.»

Die 1882 gegründete Brossi AG macht alles, worauf man fahren und gehen kann, also Strassen, Wege, Vorplätze mit den dazugehörenden Tiefbauarbeiten für Kanalisationen und Leitungen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist das Unternehmen nur innerhalb eines selber gewählten Rayons tätig, der die Kantone Zürich und Schaffhausen sowie Teile Thurgaus umfasst. Die Konsolidierung in der Baubranche, bei der die Grossen immer grösser (oder übernommen) werden, sieht Bigler gelassen. Die Bevölkerung wachse weiter, und mehr Menschen bräuchten mehr Infrastrukturen. Rund 70 Prozent des Auftragsvolumens kommen von der öffentlichen Hand, 30 Prozent von der Industrie und Privaten.

Differenziert fällt Biglers Urteil zur hohen Regelungsdichte aus: «Regeln, die der Qualitätssicherung und dem Arbeitnehmerschutz dienen, sorgen für höhere Eintrittshürden, was für uns als etablierten Anbieter positiv ist.» Andererseits erschwerten Vorschriften die Planung und verzögerten die Realisierung. «Manchmal schwatzen einfach ein bisschen zu viele mit – und wenn dann endlich gebaut werden kann, muss es ganz schnell gehen, weil niemand mehr Geduld hat.»

Die Zeiten im Bau haben sich geändert: Der umfangreiche Maschinenpark hat die Produktivität erhöht, bindet aber viel Kapital. Sicherheit wird grossgeschrieben, und ein Bier gibt es höchstens noch nach Arbeitsschluss. Aber zumindest eines ist gleichgeblieben, wie bei einem kurzen Rundgang durch das an die Autobahn A1 angrenzende Werkgelände bei Wülflingen klar wird: Sind die Garagen verwaist, gefällt das dem Chef. Denn dann weiss er, dass alle im Einsatz sind. Es ist geschichtlich verbürgt, dass dies schon vor hundert Jahren nicht anders war, unter Patron Oskar, dem Sohn des italienischstämmigen Unternehmensgründers Pietro Brossi.1 Zudem ist der Bau eine Männerwelt geblieben. «Wir hatten in der Produktion noch nie eine feste Mitarbeiterin – leider.» (pk)

  1. Bernhard Ruetz: «Brossi AG: Seit fünf Generationen im Strassen- und Tiefbau», Ars Biographica, Humlikon, 2022.

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