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Ziviler Ungehorsam

Gedanken zum Tagebuch von Jobst Wagner

In der Tat – wir haben uns in die Enge verführen lassen. Und ja, es hat damit zu tun, dass wir sicherheitsverwöhnt sind.1

Als es noch darum ging, die Armut zu besiegen und Wohlstand zu schaffen, waren wir auf die Skills jedes einzelnen Bürgers angewiesen. Man liess jedem möglichst grosse Freiräume, damit er sich zu seinem eigenen Wohle und zu dem aller anderen entfalten konnte. Persönliche Freiheit war die Norm, Mündigkeit des Bürgers das Mass des politischen Handelns. Wir erinnern uns: Der Begriff der Freiheit ziert prominent die Präambel der Bundesverfassung.

Doch wie weit hat sich die Wirklichkeit von den hehren Prinzipien entfernt! Jeder Unternehmer, jeder Konsument kann an seinem eigenen Tun feststellen: Freiheit als Norm, ihre Einschränkung als Ausnahme, die der gesetzlichen Grundlage bedarf, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Deshalb nehmen die Verbote – die Gesetze – laufend zu. Auf allen Gebieten. Überall. Konsequent. Viele haben sich mit der Umkehr der Beweislast arrangiert, wonach der Bürger stets im Begriffe ist, etwas zu tun, was er nicht darf. Das Verbot ist die Norm, die Freiheit des Handelns die Ausnahme. Der Staat muss nicht mehr beweisen, dass der Bürger etwas Verbotenes getan hat. Der Bürger muss beweisen, dass er etwas Zulässiges getan hat.

Dies zeigt die Bankenregulierung beispielhaft auf. Zulässig ist nur noch, was geregelt ist, die Regeln verdrängen das Geschäft. Wir erleben eine Verstaatlichung der Finanzwirtschaft über die Allregulierung. Das System als solches wird damit nicht sicherer, im Gegenteil. Der Mitarbeiter der Bank muss ja nur noch die Regeln beachten, und schon ist er aller persönlichen Verantwortung enthoben. Der Kunde spielt unfreiwillig mit. Denn er überblickt kaum mehr den Wust der Papiere, die er unterschreiben soll. Und er hat keine Möglichkeit, einen Vertrag mit seinem Bankier auszuhandeln: die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit ist aufgehoben. Der Normmensch von heute ist der resignierte, eigenverantwortungslose Regelbefolger. Das nächste Objekt der regulatorischen Verstaatlichung ist die Industrie. Über die Umweltschutz- und Energiegesetzgebung greift der Staat unbeirrbar in die Geschäftsführung von Unternehmungen ein. Kürzlich erhielt ich als Leiter einer industriellen Unternehmung einen Brief vom kantonalen Energieamt. Beigelegt war ein Fragebogen, den ich fristgerecht hätte einreichen müssen. Ich liess die Frist verstreichen. Mir ist egal, ob ich gemäss Verwaltungslogik Grossverbraucher bin oder nicht. Und ich brauche keine freundliche behördliche Beratung, wie Energieeffizienzmassnahmen zu implementieren wären. Angesichts wichtigerer Herausforderungen steht die Energieeffizienz bei uns nicht im Vordergrund, und für Investitionen sind derzeit erst recht keine Mittel frei. Ich bin gespannt, wie die Behörden reagieren werden. Haben sie so viel Feingefühl, meine Nichtantwort nicht zu beantworten? Bedenklich ist, dass die Verwaltung von sich aus, auch ohne Auftrag und verfassungsrechtliche beziehungsweise gesetzliche Grundlage, Initiativen ergreift. Kürzlich war zu lesen, dass das Bundesamt für Energie die Übernahme von Wasserkraftwerken durch den Bund vorbereite, weil diese teilweise ja nicht mehr rentieren würden. Zuerst macht dasselbe Bundesamt eine funktionierende Energiewirtschaft zunichte, indem es die unbedachten Entscheide einer rein emotional gesteuerten Politik unterstützt, und danach übernimmt es selbst die Leitung dieser Energiewirtschaft, indem es die Trümmer aufkauft. Der Verwaltung sind offensichtlich keine legalen Grenzen mehr gesetzt; sie kann tun und lassen, was sie will – im Gegensatz zu allen anderen Bürgern und wirtschaftlichen Akteuren.

Die Freiheit geht scheibchen- und gesetzweise verloren. Bis am Ende nichts mehr da ist – nur noch Menschen, die sich mit ihrer Resignation arrangiert haben. Falsch! Darum gestatte ich mir einen Aufruf. Das Pathos ist gewollt.

Eidgenossinnen und Eidgenossen: frei ist, wer seine Freiheit gebraucht! Habt den Mut, Euch nicht allen idiotischen Verordnungen und Vorschriften zu beugen. Resigniert nicht. Ganz im Gegenteil. Lasst Euch nicht sagen, wie Ihr zu leben und zu wirtschaften habt. Leistet endlich zivilen Ungehorsam!

 


1 Jobst Wagner: «Wo ist die Weite? Ein Denktagebuch», in Schweizer Monat, Juni 2015, S. 55–58.

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