Zensur
«Facebook tritt fehl, wenn es diese Bilder zensiert.»
Erna Solberg
norwegische Ministerpräsidentin, am 9. September zur Entfernung ihres Posts mit dem berühmten Foto des nackten Mädchens, das im Vietnamkrieg vor einer Napalm-Brandwaffe flieht.
Kürzlich konnte der Fruchtsaftproduzent True Fruits einige Aufmerksamkeit wecken, weil sich die Münchner Verkehrsgesellschaft weigerte, seine Werbeplakate aufzuhängen. Ihr waren Vokabeln wie «Oralverzehr» allzu anzüglich. «Zensur!», hiess es daraufhin. Dieser überschiessende Protest ist symptomatisch für eine hysterische Debatte, in der allzu rasch als Zwangsakt gegeisselt wird, was nicht nach der eigenen Nase geht. Als elementare Bedrohung der Meinungsfreiheit ist Zensur aber ein viel zu ernstes Thema, als dass der Begriff schon Verwendung finden sollte, wenn eine Äusserung auf Missbilligung stösst oder ein Geschäftspartner von seiner negativen Vertragsfreiheit Gebrauch macht.
Zensur gibt es schon so lange, wie die Menschen Macht übereinander ausüben und Mittel gefunden haben, ihre Gedanken zu verbreiten. Angefangen mit der Antike, sind die Geschichtsbücher voll von Beispielen, wie Autoritäten versucht haben, das Denken der Mitmenschen zu steuern, ein «richtiges» Bewusstsein zu fördern und unliebsame oder als gefährlich empfundene Ideen zu zensieren, also zu unterdrücken. In Platons Welt sollte so der ideale Staat entstehen. Bis heute stehen religiöse und moralische Motive dahinter, oder es geht um Privilegien und Macht – letzteres zum Beispiel in den autoritären Regimes Lis, Erdogans und Putins. Es gibt die Vorabzensur, die alle Veröffentlichungen der Freigabe unterstellt, und die nachträgliche Zensur, die schon Publiziertes einkassiert.
In freiheitlichen Ordnungen unterliegen Äusserungen keiner derartigen Willkür der Mächtigen, sondern sie sind dem Recht unterstellt. Erst unmittelbar bevorstehende Gewalt und die Gefährdung der öffentlichen Ordnung markieren die Extrempunkte, an denen Eingriffe nicht mehr illegitim sind. Das Schimpfwort «Zensur» ist dort nicht mehr angemessen. Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und die Allgemeinheit der Kriterien sind dafür entscheidend. Diese gehen der Plattform Facebook ab, die neuerdings immer häufiger die Nutzerinhalte kontrolliert. Die Sperrung des Napalm-Fotos war nicht nur eine Panne, ein Fehltritt, wie die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg schrieb. Sie verwies eben auf mehr: auf die dramatische Legitimationslücke. Und genau das ist das Problem.
Karen Horn
ist Dozentin für ökonomische Ideengeschichte, freie Autorin sowie Chefredaktorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift «Perspektiven der Wirtschaftspolitik».