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Zauberlehrlinge

Im Jahr 2013 trat der Ökonom Sam Hinkie an, das Basketballteam der Philadelphia 76ers aus der sportlichen Misere zu holen. Hinkie galt als brillanter Analyst, und die Investoren des Sportclubs machten sich berechtigte Hoffnungen, dass sich die Kunst seiner Zahlenakrobatik auch in einer Siegesserie ihres Clubs niederschlagen würde. Sie lagen falsch. Hinkie musste seinen Posten […]

Im Jahr 2013 trat der Ökonom Sam Hinkie an, das Basketballteam der Philadelphia 76ers aus der sportlichen Misere zu holen. Hinkie galt als brillanter Analyst, und die Investoren des Sportclubs machten sich berechtigte Hoffnungen, dass sich die Kunst seiner Zahlenakrobatik auch in einer Siegesserie ihres Clubs niederschlagen würde. Sie lagen falsch. Hinkie musste seinen Posten als Geschäftsführer räumen. In einem vierzigtausend Zeichen langen Abschiedsbrief analysierte er daraufhin die Gründe seines Scheiterns – und gab zu, während seiner Arbeit einer Art Opiat verfallen zu sein: der Illusion von umfassender Kontrolle.

Damit befindet Hinkie sich in bester Gesellschaft, denn das Verlangen nach Kontrolle ist nicht bloss eine Krankheit grössenwahnsinniger Ökonomen oder Politiker, sondern: zutiefst menschlich. Immer wieder versuchen wir, das Leben in seiner Unberechenbarkeit zu zähmen. Nicht selten aber sorgen wir damit nur für neue Dramen. Ein Beispiel: im derzeitigen Kampf gegen drohende Rezessionen setzen die Notenbanken weltweit auf Negativzinsen, um das Horten von Geld unattraktiv und stattdessen den Konsum attraktiver zu machen. Diese Negativzinsen könnten indes auch dazu führen, dass jüngere Menschen deutlich weniger konsumieren, weil sie wegen ausbleibender Zinserträge mehr Kapital für die eigene Vorsorge ansparen. Das wäre, richtig, herrje, genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung!

Die Illusion der Kontrolle hat im Zuge der anhaltenden Schuldenkrise Zentralbanker zu unfreiwilligen Feuerwehrmännern gemacht, die nun die Geister nicht mehr loswerden, die sie oder ihre Vorgänger riefen. Was sowohl Meister als auch Zauberlehrlinge gerne vergessen: kein noch so ausgeklügelter Algorithmus, keine noch so clevere Planung kann Milliarden von Entscheiden erfassen, die täglich – von Individuen – gefällt werden. Das bedeutet nicht, dass Zentralbanker, Unternehmer oder Basketballmanager jegliche Ansprüche auf Kontrolle aufgeben müssen. Es bedeutet aber, dass sie sich damit abfinden sollten, dass in komplexen dynamischen Systemen diese Kontrolle eben nur sehr beschränkt ist. Angesagt ist eine Übung in Bescheidenheit: Investieren Sie in Ihre Selbstkontrolle, um dem Kontrollwahn über alles und jeden aus dem Weg zu gehen. Empirie und Wissenschaften – von der Biologie über die Ökonomie bis zur Soziologie – sind auf Ihrer Seite: Angesichts hochkomplexer Systeme ist es sinnvoller, agil zu bleiben und immer wieder kleine Korrekturen vorzunehmen, als mit einem gross angelegten Masterplan für völlig unvorhersehbare Folgen zu sorgen. Auch wenn es, das müssen wir zugeben, manchmal einfach weniger Spass macht als pompöse Aktionen.

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