Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Wunschkonzert der Migrationsbeamten
Ronnie Grob, zvg.

Wunschkonzert der Migrationsbeamten

Der UNO-Migrationspakt ist ein Soft-Law-Instrument, das verpflichten will, aber angeblich zu nichts verpflichtet. Der Bundesrat empfiehlt die Annahme des Pakts, stellt aber fest, dass alle 23 Ziele bereits umgesetzt sind.

 

Am 10. Dezember 2018 wurde der UNO-Migrationspakt in Marrakesch verabschiedet. Wenige Tage später bestätigte die UNO-Generalversamm­lung den Entscheid: 159 Staaten stimmten Ja, 5 Nein und 12 enthielten sich der Stimme, darunter die Schweiz. Die fünf ablehnenden Staaten USA, Ungarn, Polen, Tschechien und Israel machten einen möglichen Verlust von Souveränität geltend sowie eine ungenügende Differenzierung zwischen regulärer und irregulärer Migration. Die USA und Ungarn hatten den Eindruck, der Pakt impliziere ein Menschenrecht auf Migration. In der Schweiz warnt die SVP vor dem «schädlichen Migrationspakt». Sie gibt zu bedenken, dass seit Annahme der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» in Artikel 121a der Bundesverfassung der Satz «Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig» stehe. Und dass dieser den Zielen des Pakts widerspreche.

Bundesrat erwartet kaum Auswirkungen

Der Bundesrat schreibt, der Migrationspakt werde «der wichtigste migrationspolitische Referenzpunkt für das UNO-System» sein, und empfiehlt Annahme; der Pakt sei «im Interesse der Schweiz». Liest man seine Botschaft vom 3. Februar 2021 durch, fragt man sich, wieso. Denn offenbar ist dieser Pakt auf überragende Weise wirkungslos. Er verursache «keine direkten Auswirkungen auf die Volkswirtschaft», verlautbart der Bundesrat. Durch die Zustimmung entstünden «kein innenpolitischer Handlungsbedarf» und «keine finanziellen Auswirkungen». Im O-Ton heisst es: «Es werden keine zusätzlichen personellen oder finanziellen Mittel nötig und es gibt auch keine organisatorischen und administrativen Auswirkungen für die Kantone und Gemeinden.» Der Bundesrat räumt lediglich ein, dass die Ziele 1, 21 und 23 des Pakts «technische und finanzielle Unterstützung von Partnerstaaten» vorsähen.

Noch verrückter wird es bei der Beurteilung der 23 Ziele – sie sind nämlich, wie über 22 Seiten hinweg erläutert wird, allesamt bereits umgesetzt. «Einzig bei einzelnen der freiwilligen Umsetzungsinstrumente wurde entweder eine Abweichung zu rechtlichen Normen oder ein Präzisierungsbedarf identifiziert.»

Die Grundsätze des Migrationspaktes entsprächen der Ausrichtung der Schweizer Migrationspolitik, behauptet der Bundesrat. Eine Zustimmung stärke das Profil der Schweiz als «kohärente multilaterale Akteurin», was sich auch positiv auf das internationale Genf auswirke. Eine Ablehnung dagegen «käme einer Schwächung der Schweizer Position im Rahmen ihrer bilateralen und multilateralen Migrationsaussenpolitik gleich».

Zusammenfassend sagt der Bundesrat also: Es ist alles nur Soft Law, eigentlich wirkungslos oder eh schon längst umgesetzt – da kann nur die ewiggestrige SVP etwas dagegen haben. Liest man den Pakt im Detail durch, gewinnt man aber einen anderen Eindruck. Jedes einzelne der 23 Ziele für eine sichere, geordnete und reguläre Migration wird eingeführt mit den Worten «Wir verpflichten uns, …». Solange die Inhalte tatsächlich nur warme Worte bleiben, wird sich niemand verpflichten. Aber wieso soll ein Pakt geschlossen werden, der keinerlei Auswirkungen hat? Fliessen seine Verpflichtungen in die Realität der Gesetze ein, so werden einige politische Gruppen etwas dagegen haben.

Wem die Souveränität und Selbstbestimmung der Schweiz ein Anliegen ist, kann den Pakt nur ablehnen. Fast in jedem der formulierten Ziele werden die Befugnisse des Nationalstaats eingeschränkt oder aufgelöst. Stören werden sich Souveränitätsbefürworter insbesondere an den Zielen 3 bis 13.

Die Budgetbewussten und Sparsamen sowie die Anhänger eines liberalen Arbeitsmarkts werden besorgt sein über die Verpflichtung zum Ausbau der Entwicklungshilfe, des Gesundheitswesens, des Sozialstaats, des Beamtenapparats sowie von Informationskampagnen und Antidiskriminierungsstellen (Ziele 2, 3, 7, 10, 12–17, 22).

Wem Privatsphäre und Datenschutz ein Anliegen ist, wird gegen die Sammlung und Auswertung von Big Data (Ziele 1, 10), gegen die Einführung von einheitlichen Identitätsausweisen (4) und die Kontrolle von Migranten (9) opponieren.

Die Forderung nach einem Diskurs, dessen Ergebnisse bereits vordefiniert werden, also einen gewünschten Ausgang haben (17), wird Anhänger der Meinungsäusserungsfreiheit beschäftigen.

«Setzt die Schweiz all diese

Punkte buchstabengetreu um,

werden neue Schulden oder

Steuererhöhungen kaum zu vermeiden sein.»

Die «Beseitigung aller Formen der Diskriminierung und Förderung eines auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurses zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration», wie sie hier gefordert werden, sind sinnbildlich für die absolut formulierten Ansprüche des Pakts; wird man sich ernsthaft dazu verpflichten können, alle Formen der Diskriminierung zu beseitigen? Es sind Forderungen, wie sie in der Schweiz von Splittergruppen ganz links kommen: Der geförderte Diskurs soll eine «realistischere, humanere und konstruktivere Wahrnehmung von Migration und Migranten» erzeugen; zwar schimmert es nur durch, aber die Förderung einer «unabhängigen, objektiven und hochwertigen Berichterstattung durch die Medien» soll die gewünschten Ergebnisse zeitigen, nämlich die richtige Wahrnehmung von Migration. Und richtig ist natürlich die im Migrationspakt dargestellte Sicht.

Geschlossen von einem «Wir»

Die Verwendung von rechtlichen Beschwerdemöglichkeiten durch Migranten (mit Kostenfolge für alle Steuerzahler) wird vom Pakt geradezu gefördert, indem nämlich der Zugang zu Beschwerde- und Rechtsbehelfsmechanismen aktiv verschafft wird und dazu aufgerufen wird, Fälle von Intoleranz, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit aufzudecken und zu verhüten. Einige der Ziele widersprechen sich auch gegenseitig in ihren beabsichtigten Auswirkungen. Während Ziel 16 auf eine vollständige Inklusion der Migranten drängt (und dafür kommunale Zentren fordert), kümmert sich Ziel 19 (mit Büros oder Anlaufstellen) um die Diaspora und fördert also wieder den Kontakt in die Heimat. Hauptsache, der Staat macht alles.

Geschlossen wurde der Pakt von einem so grossen wie undefinierten Wir, in das die gesamte Menschheit inkludiert werden soll, ein Wir, das in den kurz angeschnittenen Punkten «Gemeinsames Verständnis», «Gemeinsame Verantwortung» sowie «Gemeinsamer Zweck» x-fach bemüht wird. Kein Land könne die Herausforderungen und Chancen der Migration allein bewältigen, wird darin behauptet. Ausweg sei einzig die Unterschrift unter den Pakt: «Er soll förderliche Bedingungen schaffen, die es allen Migranten ermöglichen, unsere Gesellschaften durch ihre menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fähigkeiten zu bereichern und so besser zu einer nachhaltigen Entwicklung auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene beizutragen.»

Eine neue Kommission verschleppt die Frage

Der Migrationspakt ist ein Soft-Law-Instrument, das als kommunikative Vorbereitung auf eine neue internationale Ordnung daherkommt. Nationale Gegebenheiten und Gesetzgebungen, überhaupt demokratische Entscheide, scheinen hier eher im Wege zu stehen. Wie die hehren Ideale mit den Realitäten in den Nationalstaaten und der lokalen Wirtschaft zusammenfinden sollen, wird ausgeklammert; der Theorie soll bitte keine Praxis im Wege stehen. Es handelt sich um ein Wunschkonzert von internationalistisch gesinnten Migrationsbeamten, das höchste Ansprüche in den Himmel trompetet und die dabei entstehenden höchsten Kosten jedoch vollständig ignoriert.

Setzt die Schweiz all diese Punkte buchstabengetreu um, werden neue Schulden oder Steuererhöhungen kaum zu vermeiden sein. Im Parlament wird der Migrationspakt vorläufig nicht beraten, die Behandlung wurde im Herbst 2021 für mindestens ein Jahr sistiert. Eine von den aussenpolitischen Kommissionen eingesetzte sechsköpfige Subkommission unter Präsident Fabian Molina (SP) soll bis dahin abklären, ob das Parlament im Bereich des «Soft Law» stärker einbezogen werden soll.

Der steuerzahlende Bürger wird sich die Frage stellen müssen, ob er sich vom Bundesrat in das grosse Wir des Migrationspakts inkludieren lassen will. Oder ob er nicht doch lieber direkt und demokratisch in seiner Gemeinde, seinem Kanton und seinem Land Einfluss nehmen will auf die Migrationspolitik. Anders als es die Migrationsbeamten darstellen, ist der Migrationspakt nicht alternativlos. Man darf auch «Nein» sagen dazu.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!