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Wolken am Horizont

Neue Tiefststände bei den Zinsen haben Schweizer Pensionskassen in diesem Jahr nochmals unverhoffte Aufwertungsgewinne beschert. Doch die nächsten Monate an den Finanzmärkten drohen ungemütlich zu werden.

Wolken am Horizont
Felix Brill, zvg.

Das Jahr 2016 neigt sich dem Ende zu. Es war für viele Pensionskassen lange Zeit ein überraschend gutes Anlagejahr. Rund drei Prozent Rendite zeigten die typischen Benchmark-Indizes Ende Oktober. Das mag absolut betrachtet nicht nach viel klingen, ist aber im positiven Sinne erwähnenswert, wenn man die rekordtiefen, in weiten Teilen des Laufzeitenspektrums negativen Zinsen berücksichtigt.

Interessanterweise trugen gerade Schweizer Obligationen dazu bei, dass viele Pensionskassen trotz schwacher Aktienmarktentwicklung im bisherigen Jahresverlauf eine positive Rendite ausweisen können. Das liegt daran, dass die Zinsen in den ersten Monaten des Jahres nochmals gefallen sind und dass fallende Zinsen mit höheren Preisen für die zugrunde liegenden Obligationen einhergehen.

Dabei entfalten aktuell bereits kleine Zinsveränderungen grosse Wirkung. So führt etwa bei einer Bundesobligation der Eidgenossenschaft mit einer Laufzeit von zehn Jahren ein Zinsrückgang von einem Prozentpunkt zu einem Aufwertungsgewinn von rund neun Prozent. Oder konkret: zu Beginn des Jahres notierten die Zinsen für zehnjährige Eidgenossen noch bei –0,1 Prozent, bevor sie dann bis zum Sommer auf –0,7 Prozent sanken. Daraus resultierte ein ansehnlicher Bewertungsgewinn von fast 6 Prozent.

 

Die Inflation steigt

Blicken wir auf das nächste Jahr, scheint es wenig ratsam, sich auf eine Fortschreibung dieser Entwicklung zu verlassen. Zu deutlich stehen die Zeichen bei der Inflation auf Anstieg. Das hat vor allem mit den Energiepreisen zu tun, welche in den letzten zwei Jahren zunächst deutlich gesunken waren und sich entsprechend negativ in den Konsumentenpreisstatistiken niedergeschlagen hatten. Die tiefen Gesamtinflationsraten hatten insbesondere Finanzmarktökonomen zum Anlass genommen, um vor einer gefährlichen Deflationsspirale zu warnen und von den Notenbanken dieser Welt noch expansivere geldpolitische Massnahmen zu fordern. In der Folge sind die Zinsen nochmals gesunken.

Dabei wurde gerne übersehen, dass die Preisentwicklung unter Ausklammerung der Energiepreise alles andere als deflationär war. In den Vereinigten Staaten etwa ist die sogenannte Kernrate der Teuerung seit Anfang 2015 sogar gestiegen und bewegt sich aktuell mit 2,2 Prozent oberhalb des Zielwertes der amerikanischen Notenbank.

Nun ist der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte WTI inzwischen wieder auf 50 US-Dollar geklettert, nachdem ein Fass im Februar noch für unter 30 US-Dollar gehandelt worden war. Dieser Anstieg wird sich in den nächsten Wochen und Monaten immer stärker in den Konsumentenpreisstatistiken bemerkbar machen und dazu führen, dass die Gesamtteuerungsraten sich nicht nur den Kernraten angleichen, sondern diese zeitweise übertreffen werden. In den Vereinigten Staaten ergeben die Schätzungen zum Energiepreiseffekt, dass die Jahresteuerung der Konsumentenpreise im ersten Quartal 2017 auf über 2,5 Prozent steigen wird. Zuletzt wurde eine Teuerungsrate von 1,5 Prozent ausgewiesen, im Sommer waren es gar nur 0,8 Prozent. Verhindern könnte diesen Inflationsanstieg kurzfristig nur ein nochmaliger Einbruch der Energiepreise.

In der Schweiz kommt zum Energiepreiseffekt noch hinzu, dass der Frankenschock nun bereits fast zwei Jahre zurückliegt und die preisdämpfenden Effekte der damaligen starken Frankenaufwertung immer schwächer werden. Entsprechend können wir im nächsten Jahr auch in der Schweiz wieder mit positiven Teuerungsraten rechnen. Zur Erinnerung: vor einem Jahr sanken die Konsumentenpreise noch um mehr als ein Prozent.

Nun werden die Kapitalmarktzinsen nicht allein durch die Inflationsentwicklung beeinflusst. Aber grundsätzlich besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Inflations- und Zinsentwicklung, wollen die Käufer von Obligationen doch für die zukünftige Inflation entschädigt werden. Dieser Zusammenhang hat sich denn auch in den letzten Wochen einmal mehr gezeigt. So sind die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen in den Vereinigten Staaten seit Anfang Juli um fast 50 Basispunkte gestiegen, und auch in der Schweiz steht ein Anstieg von knapp 30 Basispunkten zu Buche. Hatte der vorherige Rückgang der Zinsen nochmals unverhoffte Aufwertungsgewinne mit sich gebracht, zeigt sich nun die Kehrseite der Medaille: bereits kleine Zinsanstiege führen zu empfindlichen Bewertungseinbussen bei den zugrunde liegenden Obligationen.

 

Drohender Kontrollverlust der Zentralbanken

Der bevorstehende Inflationsanstieg sollte die Zentralbanken, allen voran die europäische, eigentlich freuen, könnten sie doch die Abwendung einer deflationären Entwicklung für sich proklamieren. Auch höhere Kapitalmarktzinsen wären aus Sicht der Zentralbanken erstrebenswert, würde ihnen das doch wieder mehr Handlungsspielraum bieten. Nur bereitet der Weg dorthin im Hinblick auf die Nebenwirkungen an den Finanzmärkten Kopfzerbrechen.

Nicht zuletzt deshalb sind die Zentralbanken in den letzten Jahren immer stärker dazu übergegangen, die Zinserwartungen der Marktteilnehmer über öffentlich geäusserte Andeutungen explizit steuern zu wollen. Das gelang ihnen bisher leidlich. Allen voran die amerikanische Notenbank als Vorreiterin dieser neuen Politik hat die an den Terminmärkten gehandelten Zinserwartungen immer wieder auf eine wilde Achterbahnfahrt geschickt. Dabei war es in den letzten zwei Jahren noch verhältnismässig «einfach» für die Fed, konnte sie sich in ihrer Kommunikation doch praktisch ausschliesslich auf die Themen Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt konzentrieren. In den nächsten Monaten wird sie sich nun auch des Themas Inflation annehmen müssen. Das erhöht die Gefahr von kommunikativen Fehltritten und könnte im Extremfall zu abrupten Preisanpassungen an den Finanzmärkten führen.

Wie viel wenige Worte anrichten können, haben wir im positiven Sinne bei Mario Draghi, dem Präsidenten der EZB, gesehen. Allein die Aussage, dass die EZB zur Rettung des Euro «alles in ihrer Macht Stehende» unternehmen werde, reichte auf dem Höhepunkt der Eurokrise aus, um den Euro auf Erholungsreise zu schicken. Nur haben sich in den letzten beiden Jahren aber auch die negativen Episoden gehäuft. So kam es zum Beispiel während einer Pressekonferenz der Fed am 18. März 2015 zur grössten jemals verzeichneten Tagesbewegung des Euro-Dollar-Wechselkurses. Auslöser waren die Ausführungen der Vorsitzenden Janet Yellen, dass das Weglassen des Wortes «geduldig» in der Pressemitteilung nicht bedeuten würde, dass die Fed nun «ungeduldig» sei. Mario Draghi schaffte es mit Ausführungen im Dezember 2015 und März 2016 hinter Yellen auf die Plätze zwei und sieben dieser Rangliste. Die anderen Einträge in den Top 10 trugen sich alle während der globalen Finanzkrise zu.

Die Fed und die EZB stehen damit aber nicht alleine da. Die japanische Notenbank hat in diesem Jahr viel versucht, um die Aufwertung des japanischen Yen zu verhindern. Gelungen ist ihr nicht viel. Das Besorgniserregende dabei: inzwischen kann man die Halbwertszeit der Finanzmarktreaktionen auf Ankündigungen der Bank of Japan in Stunden messen. Aber auch die Schweizerische Nationalbank hat leidvoll erfahren müssen, wie schwierig es ist, Finanzmarkterwartungen auf Dauer mittels Kommunikation und direkter Markteingriffe steuern zu wollen. Der Frankenschock vom 15. Januar 2015 ist dabei das prominenteste Ereignis. Die durch die Devisenmarktinterventionen immer weiter anwachsende Bilanz der Nationalbank wird dazu führen, dass uns die bange Frage nach den Nebenwirkungen der Interventionspolitik wohl noch auf Jahre hinaus umtreiben wird.

 

Vorbereitung auf die Zukunft

Der griechische Staatsmann Perikles formulierte einmal: «Es ist nicht unsere Aufgabe, die Zukunft zu prognostizieren, sondern uns auf sie vorzubereiten.» In diesem Sinne wäre es naiv, sich darauf zu verlassen, dass die Zentralbanken auch in den nächsten Jahren alles richten und grössere Unfälle verhindern können werden. Bei der Formulierung der Anlagestrategie gilt es deshalb, sich ein einfaches, aber umso wichtigeres Grundprinzip in Erinnerung zu rufen: Portfolios müssen diversifiziert sein, da wir nicht wissen, was die Zukunft genau bringen wird. Insbesondere wissen wir nicht, welche Anlageklassen sich am besten entwickeln werden.

Wie können Pensionskassen ihre Anlagestrategie nun aber ausrichten, um auf die sich abzeichnenden Herausforderungen vorbereitet zu sein? Aktuell bietet es sich vor allem an, die Zinssensitivität des Portfolios zu analysieren und wenn möglich zu reduzieren. Dabei müssen es nicht immer Aktien sein. Ein Blick auf Finanzmarkttabellen zeigt schnell, dass es im bisherigen Jahresverlauf wahrlich nicht an Alternativen zu Aktien gemangelt hätte. Ob Gold, Schweizer Immobilienfonds oder europäische Hochzinsanleihen, um nur ein paar Beispiele zu nennen: die Rendite dieser Anlagen wäre besser gewesen als die des Schweizer Aktienmarktindex SMI.


Felix Brill
ist Ökonom. Er ist CEO und Gründungspartner des auf Wirtschafts- und Finanzmarktfragen spezialisierten Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners mit Sitz in Zürich.

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