Wo Mathematiker an
Grenzen stossen
Einfache Zahlenfolgen führen uns zu den
unglaublichsten Zusammenhängen
Versuchen Sie einmal abzuschätzen, wogegen die nachfolgende unendliche Summe konvergiert:
1/2 + 1/4 + 1/8 + 1/16 + 1/32 + … .
Die Teilsummen ergeben sukzessive folgende Werte:
1/2, 3/4, 7/8, 15/16, 31/32, … .
Damit wird der Abstand zu 1 bei jedem weiteren Folgenglied halbiert und wir schliessen korrekterweise, dass der sogenannte Grenzwert, auch Limes genannt, gleich 1 ist. Wenn Sie sich nun aber fragen, wogegen die Summe
1 + 1/2 + 1/3 + 1/4 + 1/5 + 1/6 + 1/7 + …
konvergiert, dann bitte ich Sie, nicht zu viel Zeit zu verwenden: Diese Summe wächst über jede Grenze; man sagt, sie konvergiere gegen unendlich (∞). Das lernt man bereits im Gymnasium. Es lässt sich hier ein erstaunlicher Kampf beobachten: Die Folgenglieder gehen zwar gegen 0, aber offenbar so langsam, dass deren Summe doch über jede Grenze wächst.
Es ist nun naheliegend, einfach dafür zu sorgen, dass die Folgenglieder schneller gegen 0 gehen, vielleicht konvergiert dann die unendliche Summe der Zahlen gegen einen endlichen Wert? Wir schauen hierzu zwei artverwandte unendliche Summen an: Wenn wir die Glieder jeweils quadrieren (aus 1/2 wird 1/4, aus 1/3 wird 1/9 und so weiter), dann ergibt sich
1 + 1/4 + 1/9 + 1/16 + 1/25 + 1/36 + … = π2/6 (etwa 1,6449)
Dies bewies um 1735 der Basler Mathematiker Leonhard Euler (1707‒1783). Wenn wir die Glieder hoch 4 rechnen, dann ergibt sich
1 + 1/16 + 1/81 + 1/256 + 1/625 + … = π4/90 (etwa 1,0823)
Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Was hat die Kreiszahl π hier zu suchen? Aber man kann es als Laie mit dem Taschenrechner nachrechnen und als Fachmann die Beweise durchlesen – Sternstunden des Mathematikstudiums.
Doch fehlt in dieser Kaskade nicht etwas? Wenn wir die Glieder hoch 3 rechnen, dann ergibt sich
1 + 1/8 + 1/27 + 1/64 + 1/125 + … = etwa 1,2021
Ob und allenfalls wie dieser Grenzwert mit π in Verbindung gebracht werden kann, darüber zerbrechen sich Mathematiker noch heute den Kopf. Immerhin bewies der Franzose Roger Apéry 1979, dass er nicht durch einen Bruch von zwei natürlichen Zahlen darstellbar ist. Bei ungeraden Exponenten wie 3 weiss man generell viel weniger über die Grenzwerte als bei geraden Exponenten wie 2 und 4. Offensichtlich stösst die Mathematik hier – noch – an Grenzen.