Wo ist der neue Jean-Claude Biver?
Der Westschweizer Wirtschaft fehlt es an Aushängeschildern.
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Grossunternehmen spielen eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand in der Romandie. Zum Beispiel ist der beste Arbeitgeber in der Westschweiz im Jahr 2021 ein multinationales Unternehmen. Der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble landete im jährlichen Ranking der Zeitschrift «Bilan» an oberster Stelle. Bereits im Jahr 2020 war ein multinationaler Konzern als Sieger hervorgegangen. Dennoch stehen sie in der Kritik, in jüngster Zeit vor allem im Rahmen der Kampagne zur Konzernverantwortungsinitiative. Diese Abneigung ist neu. Lange Zeit war das «Wirtschaftswunder» der Genferseeregion ein Grund zum Stolz in der Westschweiz. Es war eine Möglichkeit, den Deutschschweizern zu zeigen, dass die Romandie auf der Höhe der Zeit war, weit entfernt von den Klischees – «Griechen der Schweiz» –, die ihr manchmal zugeschrieben werden. Persönlichkeiten wie der langjährige Nestlé-Chef Peter Brabeck oder Jean-Claude Biver, Ex-Präsident der Uhrensparte des LVMH-Konzerns, verkörperten diese Erfolgsgeschichte in der Westschweiz und sorgten für eine Verbindung zur lokalen Bevölkerung.
Die Zeit der Harmonie ist vorbei. Heute zeigt sich ein tiefer Graben zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. In Vevey, wo sich der Hauptsitz von Nestlé befindet, wurde die Konzernverantwortungsinitiative mit einer klaren Mehrheit von 73 Prozent der Stimmenden angenommen. Obwohl Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke stark in die Kampagne involviert war, um die Menschen an die Rolle seines Unternehmens und die Verantwortung, die es übernimmt, zu erinnern. Dieses Engagement kam zu spät und wurde von der lokalen Bevölkerung wohl als opportunistisch angesehen, da diese Art von Auftreten in der Öffentlichkeit eher die Ausnahme als die Regel geworden ist. Und hier liegt genau das Problem.
Die Wirtschaft braucht Namen und Gesichter, um zu erklären, vor welchen Herausforderungen sie steht und welchen Beitrag sie zum Wohlstand der Bewohner dieser florierenden Region leistet. Dieses Fehlen einer glaubwürdigen öffentlichen Figur, welche die Realitäten und Institutionen der Schweiz kennt, erklärt zweifellos einen Teil der wachsenden Kluft zwischen einer Bevölkerung, die gute Lebensbedingungen geniesst, und Unternehmen, die massgeblich zu diesen Bedingungen beitragen und zum Dank verunglimpft werden. Kein Zweifel: Die Romandie braucht einen neuen Jean-Claude Biver!