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Wissenschaft von Pekings Gnaden
Ralph Weber, zvg.

Wissenschaft von Pekings Gnaden

Die globalen Aktivitäten des chinesischen Parteistaats stellen auch in Europa die akademische Freiheit in Frage. Es braucht eine überlegte liberaldemokratische Reaktion.

 

Als ich vor einem Jahr eine Studie zur Einflussnahme des ­chinesischen Parteistaats in der Schweiz1 veröffentlichte, protestierten die diplomatischen Vertretungen der Volksrepublik umgehend. Das Konsulat in Zürich empfahl in einer Stellungnahme, «sachlich, unparteiisch und genau China unter der Führung der Kommunistischen Partei und Chinas unersetzlichen ­Beitrag zur friedlichen Entwicklung der Menschheit zu erforschen».2 Das Resultat der Forschung wurde also gleich mitgegeben. Solche «Wissenschaft» hat nicht viel mit einem liberaldemokratischen Verständnis gemeinsam. Für die Volksrepublik China ist sie ein politisches Instrument im Dienst des Landes, das heisst der Kommunistischen Partei.

Der Wissenschaftsbetrieb in der Schweiz beschäftigt sich derzeit stark mit der Frage, wie man mit der Herausforderung durch den autoritären chinesischen Parteistaat umgehen soll: Fälle von Wissenschaftsspionage und Kooptation lösen Beunruhigung aus; es gibt Verstrickungen von «ziviler» Forschung mit dem chinesischen Militär; der chinesische Bildungssektor wird mit einer autoritären und marxistisch-leninistischen Ideologie unterlegt; die chinesische Botschaft alimentiert Studierendenvereinigungen an Schweizer Universitäten; es kommt zu Druck- und Einschüchterungsversuchen auf chinesische Studierende; extraterritorial wirksame Sicherheitsgesetze beeinflussen die hiesige Forschung und Lehre; die Propaganda findet zahlreiche Einfallstore, und aus all dem resultiert die Gefahr von Selbstzensur.

Das Bewusstsein über diese Problematiken ist heute bei den zentralen Entscheidungsträgern gross. Mehrere Initiativen sind lanciert worden. So werden Richtlinien für die Wissenschaftszusammenarbeit ausgearbeitet, Kontakte zur Volksrepublik überprüft und allseits mehr «China-Kompetenz» gefordert.

Globale Wissenschaft im nationalen Rahmen

Der Schweizer Wissenschaftsbetrieb tut sich besonders schwer, denn er ist mit seinen kosmopolitischen Forschungsteams und ­ihrer transnationalen Forschungszusammenarbeit dezidiert global aufgestellt. Von sicherheitspolitischen Bereichen abgesehen, operiert er weitgehend jenseits des Nationalstaats. Forschungs­ergebnisse werden als öffentliches Gut verstanden, das kostenlos und digital allen zur Verfügung steht. Diese Ausrichtung hat sich bewährt. Wer in der Spitzenliga der Wissenschaft mitspielen und langfristig innovativ sein möchte, muss global agieren.

Legitimen wissenschaftlichen Interessen stehen allerdings ebenso legitime politische Bedenken gegenüber. Die Wissenschaft weiss um ihre politische Bedeutung. Die Wissenschaftsförderung ist zu grossen Teilen weiterhin nationalstaatlich organisiert. So wählt der Bundesrat die nationalen Forschungsprogramme aus. Die Wissenschaft weiss auch um die Problematik politischer Ins­tru­mentalisierung. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind das Verhältnis von Macht und Wissen und die politische Rolle der Wissenschaft in kolonialer und postkolonialer Zeit gut erforscht. Der Umgang mit dem autoritären China ist eine neue Herausforderung.

Wie in der Bundesverfassung findet sich «Wissenschafts­freiheit» auch in der chinesischen Verfassung, als «Freiheit, wissenschaftliche Forschung zu betreiben». Ein kategorialer Unterschied wird jedoch in Artikel 24 deutlich, demzufolge es dem Staat obliegt, sozialistische Kernwerte und Bürgertugenden zu fördern, wobei unter letzteren der Respekt vor der Wissenschaft nebst der Liebe zu Mutterland, Volk und Arbeit sowie der Hingabe zum ­Sozialismus steht. Derselbe Artikel hält auch die Bildung des Volkes in Sachen Kommunismus inklusive eines dialektischen und historischen Materialismus und des Widerstands gegen den Kapitalismus fest.

Im Dilemma

Die Herausforderung ist zweischneidig.3 Meidet man die Kooperation mit China, büsst die eigene Wissenschaft an Globalität ein und verliert damit potentiell den Anschluss an zukunftsträchtige Felder. Zudem läuft man Gefahr, einer nationalstaatlichen Wissenschaftspolitik mehr Raum zu geben, als ihr derzeit zu Recht zukommt. Kooperiert man weiter, kompromittiert man mög­licherweise grundlegende Werte wie die akademische Freiheit sowie die Meinungsäusserungsfreiheit und macht sich im schlimmsten Fall zum Komplizen des autoritären Parteistaats,4 der damit sogar gestärkt wird.

Es gilt, die Sachlage nüchtern zu klären. Zum einen müssen Entscheidungsträger im Wissenschaftsbetrieb mehr politisches Wissen zur Volksrepublik erwerben. Im Vordergrund steht hier die Ideologie; in diese sind Pekings Ambitionen eingebettet, die globale Führungsposition in Wissenschaft und Technologie einzunehmen. Die Ideologie steht auch in einem engen Verhältnis zu den machtpolitischen Zielen des Regimes. Ausserdem geht es um die parteistaatliche Einbettung der konkreten Kooperations-partner. Nur so können politische Sachzwänge, unter denen diese in China nolens volens operieren, adäquat in die Überlegungen einbezogen werden.

Zum anderen sollten wissenschaftliche Institutionen die eigene Vulnerabilität für ungewollten Wissens- und Technologietransfer,5 Anfälligkeit für Propaganda, Bedrohungen der akademischen Freiheit und Praktiken der Selbstzensur überprüfen, einer Risikoanalyse unterziehen und ihre Mitarbeiter für diese Problematiken sensibilisieren. Dabei gilt es Rechte involvierter Individuen zu achten und keinesfalls alle unter Generalverdacht zu ­stellen, die mit der Volksrepublik zu tun haben oder als chinesische Gastforschende oder -studierende einen Beitrag zur hiesigen Wissenschaft leisten. Das wäre kontraproduktiv.

Es handelt sich schlicht um die Wahrnehmung der eigenen Sorgfaltspflicht, die sich unter Einbezug von Fachleuten durchführen lässt. Zugleich bleibt weitere Forschung in diesen Bereichen unverzichtbar. Damit kann namentlich geklärt werden, ­worin die Problematik genau besteht und worin eben nicht, zum Beispiel ob und welche Talentrekrutierungsprogramme der Volksrepublik China problematisch sind.

«Für die Volksrepublik China ist Wissenschaft

ein politisches Instrument im Dienst des Landes,

das heisst der Kommunistischen Partei.»

Selbstbewusst und selbstkritisch

Wie immer man reagiert, die Reaktion muss gut kalibriert sein: Sollen die Massnahmen spezifisch auf China ausgerichtet sein oder vielmehr auf jeden ungewollten Technologietransfer abzielen, wer auch immer dahinterstecken mag? Anders herum: Gibt es mit dem chinesischen Parteistaat zusammenhängende Aspekte, die gesondert adressiert werden sollten? Kann man potentiell heikle Forschungskooperationen mit China identifizieren, die stattdessen mit Partnern in anderen Ländern durchgeführt werden könnten? Gibt es Gebiete, in denen unter keinen Umständen Zusammenarbeit erfolgen sollte, zum Beispiel wenn Forschung erwiesenermassen, mit hoher Wahrscheinlichkeit oder nur auf Verdacht zur Unterdrückung von Minderheiten beiträgt, oder solche, in denen schlicht keine Alternativen zu bestehen scheinen? Die schwierigsten Fälle sind wohl die, bei denen diese zwei Aspekte zusammenfallen.

Diese Fragen kann die Wissenschaft nur zum Teil selbst beantworten. Sie offenbaren eine globale Verschränkung der Akteure, die vereinfachte Denkmuster wie autoritär-böse vs. demokratisch-gut unterläuft. Es sind daher Fragen, welche die Politik und letztlich der Souverän mitentscheiden muss. Es geht dabei um die Grundfesten der liberalen Demokratie, die auf autoritäre Herausforderungen selbstbewusst liberaldemokratisch reagieren und gleichzeitig selbstkritisch sein muss. Das ist nicht einfach, wie die jüngste Diskussion zu den Konfuzius-Instituten in Deutschland zeigt. Diese auf Kultur- und Sprachvermittlung angelegten Institute stehen seit längerer Zeit in der Kritik, propaganda- und selbstzensurbefördernde Instrumente des chinesischen Parteistaats zu sein. Nun hat die deutsche Bildungsministerin die Universitäten aufgerufen, ihre Konfuzius-Institute neu zu bewerten und daraus «die richtigen Schlüsse zu ziehen». Darauf folgte prompt und nachvollziehbar der Verweis auf die Autonomie der Universitäten, die wohl ohne Einmischung der Regierung selbst über ihre Kooperationen bestimmen können sollten. Von solchen Episoden kann man einiges lernen. Überhaupt lohnt sich der Blick über die eigenen Landesgrenzen hinaus, wenn man eine informierte, differenzierte, kluge, dem eigenen Wissenschaftsverständnis verpflichtete und damit gut kalibrierte Reaktion anstrebt.

  1. Die Studie wurde im Dezember 2020 beim tschechischen Projekt Sinopsis ­veröffentlicht. Abrufbar unter: http://www.sinopsis.cz/en/switzerland-rhizome/

  2. Eigene Hervorhebung. Siehe: http://www.archive.ph/ClMeo

  3. Siehe: Ralph Weber und Silvana Tarlea: The Politics of Studying Europe in China. In: Europe Now, Juni 2018, online: http://www.europenowjournal.org/2018/06/04/­the-politics-of-studying-europe-in-china/

  4. Siehe: Eva Pils: Complicity in Democratic Engagement with Autocratic Systems. In: Ethics & Global Politics. August 2021, http://www.doi.org/10.1080/16544951.2021.1958509

  5. Eine gute Grundlage bietet: William C. Hannas und Didi Kirsten Tatlow (Hrsg.): China’s Quest for Foreign Technology. London: Routledge, 2021.

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