
«Wir zahlen keine Steuern, aber wir erwarten auch nichts vom Staat» – Eindrücke aus dem libertären Paradies in Südamerika
Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung: Von Paraguay kann der Westen einiges lernen.
Meine Frau und ich haben diesen Sommer Paraguay erkundet – als einen möglichen Plan B, sollten wir eines Tages nicht mehr in Europa leben wollen. Wir wollten sehen, wie es sich in diesem kleinen, vergessenen Land Südamerikas lebt.
Schon nach wenigen Tagen fiel mir auf: Die Gesellschaft funktioniert hier anders. Nicht, weil der Staat alles regelt, sondern gerade, weil er so wenig regelt. Die Trottoirs sind nicht Sache der Gemeinde, sondern der Hausbesitzer. Jeder wischt vor seiner eigenen Haustür. Und tatsächlich sind die Strassen sauber. Kein Gesetz, keine Bürokratie, sondern Gewohnheit und Eigenverantwortung sorgen dafür.
Auch das Sicherheitsgefühl ist dadurch anders. In Europa würden wir unser iPhone nicht auf einer öffentlichen Toilette zum Laden lassen und joggen gehen. In einem Park in der Hauptstadt Asunción tat das jemand – und als er zurückkam, lag es noch da. Hier regiert kein Überwachungsstaat, sondern das Vertrauen, das dem anderen entgegengebracht wird.
Keine falschen Versprechungen
Diese gegenseitige Hilfsbereitschaft zeigt sich überall. Ein Polizist, den ich auf der Strasse ansprach, begleitete mich kurzerhand ins Museum, um mir stolz die Geschichte des Landes zu zeigen. Freundlichkeit und Stolz gehen hier Hand in Hand.
Paraguay ist ärmer als die Schweiz, aber die Menschen sind weniger verschuldet. Kredite sind teuer, die Zinsen hoch – Konsum auf Pump ist selten. Wer etwas anschaffen will, spart dafür. Das führt zu Bescheidenheit, aber auch zu Würde. Vielleicht fährt man ein älteres Auto, vielleicht ist das Haus kleiner – aber man gehört nicht den Banken. Und schläft ruhiger.
«Man spürt noch heute das Erbe von Francia, López und Stroessner – Diktatoren, die Paraguay einen starken Staat aufzwingen wollten. Die Nachwirkung ist das Gegenteil.»
Bettler gibt es kaum. Nicht, weil Armut unbekannt wäre, sondern weil niemand daran gehindert wird, etwas zu versuchen. Wer will, kann etwas verkaufen, improvisieren, ein Geschäft eröffnen. In einer Welt fast ohne Regulierung und Hürden finden fast alle eine Beschäftigung. Der Mindestlohn ist sehr tief, dafür ist die Arbeitslosigkeit tief.
Auch das Steuersystem passt ins Bild. Der Steuerhöchstsatz liegt bei zehn Prozent – den bezahlen aber nur wenige, da fast alles abziehbar ist, selbst der Kauf eines Kaugummis. Ein Uber-Fahrer brachte es auf den Punkt: «Wir zahlen keine Steuern – aber wir erwarten auch nichts vom Staat.» Ein Gesellschaftsvertrag eigener Art: geringe Lasten, aber auch keine falschen Versprechen.
Man spürt noch heute das Erbe von Francia, López und Stroessner – Diktatoren, die Paraguay einen starken Staat aufzwingen wollten. Die Nachwirkung ist das Gegenteil: Die Menschen sind bis heute skeptisch gegenüber einem Staat, der ihr Leben diktiert. Sie haben gelernt, vom Staat wenig zu erwarten und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie tun das mit einem fast stoischen Pragmatismus.
Paraguay wirkt wie ein libertäres Labor: ein kleiner Staat, der sich weitgehend heraushält, und ein Volk, das Solidarität lebt, ohne dass man sie verordnet. Weniger Staat, mehr Nachbarschaft. Weniger Anspruch, mehr Eigenverantwortung. Weniger Gleichmacherei, mehr Gleichheit im Alltag.
In Sachen Lebensqualität war der Unterschied zur Schweiz viel kleiner, als ich erwartet hatte. Paraguay mag auch Schwächen haben – diesen Sommer haben wir diese aber noch nicht entdeckt.
Eines ist sicher: Meine Frau und ich werden zurückgehen.