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Wir werden von Waschmitteln regiert
Lukas Leuzinger, zvg.

Wir werden von Waschmitteln regiert

Parteien waren einst in der Gesellschaft verankert. Heute werden sie als Marken geführt von Politikmanagern, für die Macht zum Selbstzweck geworden ist.

 

Sebastian Kurz ist über seinen Ruf gestolpert. Der 35-Jährige war zuerst der strahlende neue Stern am Himmel der österreichischen Politik, dann die unbestrittene Galionsfigur der konservativen ÖVP. Dem «Wunderwuzzi» flogen die Herzen zu. Der ­frühere «Bild»-Chefredaktor Hans-Hermann Tiedje sah im österreichischen Bundeskanzler gar den idealen Nachfolger Angela Merkels – hätte er nur die richtige Staatsbürgerschaft.

Kurz’ Erfolgsrezept war seine Wandelbarkeit. Zuerst inszenierte er sich in einer Koalition mit der FPÖ als Migrationshardliner. Als der Wind drehte, wurde er an der Seite der Grünen zum Klimaschützer. Im Fokus der Politik des Sebastian Kurz stand stets: Sebastian Kurz. Er war eine Marke und baute die ÖVP zu ­einem Wahlkampfvehikel im Dienste dieser Marke um.

Nun allerdings ist der Ruf der Marke arg beschädigt. Korruptionsvorwürfe werfen einen Schatten auf den kometenhaften Aufstieg. Kurz hat die Konsequenzen gezogen und Mitte Oktober seinen Rücktritt bekanntgegeben. Die Marke Kurz hat den Politiker Kurz nach oben gezogen und in die Tiefe gerissen.

Während Kurz die ÖVP von innen umbaute, zelebrieren andere Politiker die Erneuerung von aussen. In Italien schüttelte vor einigen Jahren der Movimento 5 Stelle (M5S) die Parteienlandschaft durch. Die vom Komiker Beppe Grillo 2009 ins Leben gerufene Protestbewegung stand für eine neue Politik, unbelastet von der Klüngelei der politischen Elite, basisdemokratisch gesteuert durch Online-Abstimmungen. So schwang M5S bei den Parlamentswahlen 2018 obenaus und wurde stärkste Kraft. Ebenso ­triumphal hatte im Jahr zuvor Emmanuel Macron die Wahlen in Frankreich gewonnen. Auch er präsentierte sich als Erneuerer, stampfte seine Partei «La République en Marche» in weniger als einem Jahr aus dem Boden und degradierte die etablierten Sozialisten und Konservativen zu Kleinparteien.

Politik als Markt

Kurz, Grillo oder Macron stehen für einen fundamentalen Wandel in den Parteiensystemen westlicher Demokratien. Im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert repräsentierten Parteien die Interessen spezifischer Bevölkerungsgruppen. Ihre Aufgabe war es, diese ­Interessen in die institutionelle Politik einzubringen und in Verhandlungen mit dieser Kompromisse zu erzielen. Das Resultat ­waren oft etwas anrüchige Hinterzimmer-Deals. Parteien waren träge, der Filz erstickte viele neue Ideen. Zugleich waren sie in der Gesellschaft fest verankert: In der Schweiz repräsentierte die CVP das katholische Milieu. Sie war Teil der Zivilgesellschaft, hatte enge Verbindungen zu kirchlichen Organisationen; es gab katholische Turnvereine, Chöre und Gewerkschaften.

Heute wollen oder können die Parteien keine breiten Teile der Bevölkerung mehr repräsentieren. Zu individualisiert und fragmentiert ist die Gesellschaft in den letzten drei, vier Jahrzehnten geworden. Das hat Auswirkungen auf das politische System. Die CVP hat sich einen neuen Namen gegeben, um sich von ihrem historischen Ballast zu befreien. Sie will nicht mehr die Partei des katholischen Milieus sein, sondern eine «Partei der Themen».

Parteien wie die ÖVP oder M5S inszenieren sich vermehrt als «Bewegungen». Sie suchen gezielt Themen und Positionen, mit denen sich Stimmenanteile gewinnen lassen. Nicht die Parteimitglieder stehen im Fokus, sondern die Wähler. Anthony Downs, der die Politik als Markt wie jeden anderen beschrieb, hat recht bekommen. Die Parteien konkurrieren auf diesem Markt um Stimmen und die damit verbundenen Ämter. Sie brauchen dazu attraktive Themen, eine gute Marke, populäre Aushängeschilder. Was sie nicht brauchen, sind Mitglieder und feste Prinzipien. In den Niederlanden hat die rechtskonservative PVV nur gerade ein einziges Mitglied: Geert Wilders.

Unter diesen Bedingungen erhalten die Wähler und ihre Bedürfnisse stärkere Beachtung. Parteien, die an den Wählern vorbeipolitisieren, werden schnell abgestraft; Regierungen, die ihre Arbeit schlecht machen, verlieren rasch das Vertrauen. Gleichzeitig verlieren die Wähler jedoch an Mitbestimmung innerhalb der Parteien. Diese müssen, um am Markt zu bestehen, die Präferenzen der breiten Wählerschaft und das Potenzial für Stimmengewinne im Auge behalten. Aktive Mitglieder stören da nur.

Die Parteien werden zu Marken, die um Kunden buhlen wie Automodelle oder Waschmittel. Sie werden geführt von Politikunternehmern und Politikmanagern, die ihre Karriere ganz auf die Politik ausgerichtet haben und keine Verwurzelung in der Zivilgesellschaft haben. Sie werden zu einem Teil des Staats. Macht und Einkommen dieser Politiker hängen ganz von ihrem Amt ab. Umso wichtiger ist es, dieses Amt zu sichern. Die Macht zu verlieren, ist ihr unternehmerisches Risiko. Die Parteien und ihre Vertreter verstehen sich aber darauf, dieses Risiko zu minimieren. Nicht ohne Grund sind die Einkommen von Parlamentariern und Regierungsvertretern wie auch die staatliche Parteienfinanzierung in den letzten Jahren in den meisten westlichen Ländern stetig gestiegen. Damit einher geht eine zunehmende Regulierung der Parteien – typisches Merkmal eines Sektors, der vom Staat abhängig beziehungsweise zu einem Teil von ihm geworden ist.

Die Politikwissenschafter Richard Katz und Peter Mair prägten in diesem Zusammenhang den Begriff der «Kartellparteien», die die Pfründen des Staatsapparats unter sich aufteilen und mit Wahlgesetzen sowie anderen Regulierungen missliebige Konkurrenten vom Markt fernhalten. Die Folge ist eine zunehmende Entfremdung zwischen Parteien und ihren Anhängern.

In seinem Buch «Ruling the Void» zeichnet Mair das Bild eines doppelten Rückzugs: Die Bürger ziehen sich von der institutionalisierten Politik zurück, wie die sinkende Beteiligung und die rückläufigen Mitgliederzahlen der Parteien zeigen. Zugleich ziehen sich die Politiker und Parteien zurück: in ihre Partei-, Parlaments- und Regierungsämter. Die Regierungsfunktion wird für Parteien wichtiger, auf Kosten ihrer Repräsentationsfunktion.

Das Dilemma der Klimajugend

So entsteht die paradoxe Situation, dass die Wähler und ihre Präferenzen mehr Gewicht erhalten, aber zugleich ihre Bindung zu den Parteien schwächer wird. Kein Wunder, suchen neue Bewegungen ihr Heil lieber ausserhalb des Parteiensystems. Das Dilemma der Klimaaktivisten ist, dass sie ausserhalb der institutionalisierten Politik attraktiv sind und Gehör finden, doch wenig bewegen können. In den Institutionen hingegen können sie etwas bewegen, werden aber letztlich Teil von ihnen. Sie werden vereinnahmt von den Parteien, für die Klimaschutz vor allem ein Markenzeichen ist, mit dem sie Wähler gewinnen.

Am Ende steht ein Schicksal wie jenes des Movimento 5 Stelle in Italien. Die einstige Protestbewegung ist inzwischen zu einer Partei wie alle anderen geworden. Sie hat es sich an den Honigtöpfen der Regierungsmacht genau so bequem gemacht wie zuvor ihre ärgsten Feinde. Ihre einst euphorischen Anhänger haben sich enttäuscht abgewendet. Bei den Kommunalwahlen im Oktober verzeichneten die 5 Stelle deutliche Stimmenverluste und verloren unter anderem das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Rom. Das Versprechen der Erneuerung, so stellte sich heraus, ist nur eine weitere Marke, mit der sich auf dem politischen Markt Stimmen und Sitze gewinnen lassen.

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