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«Wir sollten uns nicht gleich an die Gurgel gehen»

Der Lehrer Wolfgang Geist eckt mit seinen Meinungen an – auch bei Arbeitskollegen. Er plädiert für einen höflichen und kritischen Umgang mit Andersdenkenden.

Wer mit Wolfgang Geist spricht, merkt schnell: Das ist jemand mit Überzeugungen. Zugleich ist er an anderen Meinungen interessiert und setzt sich mit ihnen auseinander. «Ich hoffe, dass ich tolerant bin, aber irgendwann verliere ich auch etwas die Geduld», sagt der 59-Jährige.

Geist ist Mathematik- und Physiklehrer an der Kantonsschule Romanshorn – und bezeichnet sich als politischen Aktivisten. Angefangen habe dieser Aktivismus in den USA, wo er promovierte, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Vor 14 Jahren kehrte Geist, der aus Deutschland stammt, nach Europa zurück. Diesseits wie jenseits des Atlantiks habe er eine sehr einseitige Berichterstattung in den Medien festgestellt. Geist bezieht sich dabei vor allem auf die Geopolitik, für die er sich besonders interessiert. Ob im Syrien-, im Ukraine- oder im Gazakrieg: Die Berichterstattung sei systematisch zugunsten des Westens und der Nato verzerrt; wichtige Informationen würden weggelassen. «Die Mainstreammedien betreiben hier zu 100 Prozent Propaganda», ist Geist überzeugt. Sicher sei es legitim, eine Meinung zu vertreten, aber man müsse sich dabei an die Fakten halten. Die Medien würden beispielsweise verschweigen, dass Israel ein Apartheidstaat sei. Als Quelle verweist er auf Berichte der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International, Human Rights Watch und B’tselem. An der Glaubwürdigkeit dieser Akteure gibt es indes ebenfalls Zweifel.

Toleranz heisst für Geist, «dass man mit anderen Meinungen höflich und kritisch umgeht und die Kommunikation mit Andersdenkenden aufrechterhält». Er versuche, Leute mit anderen Ansichten in Gespräche zu verwickeln und Informationen zu vermitteln. «Aber das ist schwierig.»

Auch in seiner Arbeit ist Geist mit Intoleranz konfrontiert. Als Lehrer müsse er zwar vorsichtig sein, seine Meinung zu äussern. Auch gebe es im Mathematik- und Physikunterricht kaum Überschneidungen mit politischen Fragen. Im Rahmen der sogenannten Wissenschaftswochen, die an der Schule regelmässig durchgeführt werden, widmet er sich diesen aber. «Ich habe den Schülern Berichte von Mainstreammedien gezeigt und diese deklassifizierten Dokumenten gegenübergestellt, die ein anderes Bild vermitteln. Das hat interessante Diskussionen ausgelöst.» Die Schüler seien sehr aufgeschlossen. Anders sehe es zum Teil bei den Arbeitskollegen aus. «Ich wurde schon in die Ecke gedrängt von anderen Lehrern», erzählt Geist. Ihm sei vorgeworfen worden, keine seriösen Quellen zu benutzen – ein Vorwurf, den er umgehend zurückgibt: Viele Kollegen schienen sich nicht bewusst zu sein, dass es beispielsweise Plattformen mit deklassifizierten Dokumenten oder Wikileaks gebe. «Eine Lehrerin hängte im Unterricht zum Beispiel ein Plakat auf, auf dem der Syrienkrieg als Bürgerkrieg bezeichnet wurde, ohne den Schülern die Option zu lassen, diesen Konflikt als Stellvertreterkrieg zu sehen.» Ob er aufgrund divergierender Meinungen auch berufliche Nachteile in Kauf nehmen musste und beispielsweise bei Beförderungen übergangen wurde, kann er nicht sagen, schliesst es aber nicht aus.

Er selbst sei durchaus bereit, sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen und seine Meinung auch mal zu revidieren, sagt Geist. Als Beispiel nennt er die Coronapandemie, wo er die staatlichen Massnahmen zunächst für vernünftig hielt, sie heute aber kritisch sieht.

Wolfgang Geist ist Lehrer an der Kantonsschule Romanshorn. Bild: zvg.

Letztlich geht es für Geist um ein gesellschaftliches Pro­blem. «Ich denke, wir müssten uns einmal zusammensetzen und uns überlegen, wie wir eine Diskussionskultur schaffen, in der wir uns nicht gleich an die Gurgel gehen, sondern einander respektvoll begegnen.»

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