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Wir sind gleicher

Grauzone #3

Wir sind gleicher

«Wir sprechen alle ein bisschen Afrika» titelte letzthin Spiegel-Online. Das ist mir deshalb aufgefallen, weil ich eben erst drei Wochen in Westafrika war (deshalb die Pause an dieser Stelle). Bereits zum vierten Mal. Zuerst zweimal in Lomé, Togo. Danach auch in Abidjan, Côte d’Ivoire. Heuer das erste Mal in Mbour, Senegal. Ferienhalber. Ich hatte also (nicht nur beim Fliegen) genug Zeit, zu überlegen, was  ich mit meiner Kolumne an dieser Stelle anfangen will – oder ob ich tatsächlich die botellonartige Aktion auf einem öffentlichen Platz in Zürich organisieren soll.

Also, zurück zum Titel und zurück zu meiner ersten Kolumne von vor ein paar Wochen. Ich behauptete damals, am Beispiel meiner Googlesuchresultate für den Begriff «Grauzone» nachweisen zu können, dass Google die Suche personalisiert. Gleichzeitig habe ich, man mag sich daran erinnern, dazu aufgerufen, in der Kommentarspalte alle Googlesuchresultate der Leser auf denselben Begriff zu posten. Ich dachte, dabei kämen die unterschiedlichsten Dinge heraus. Umso erstaunter war ich, dass die meisten Kommentare aus in etwa denselben Listen bestanden. Ist das das Resultat der (langweiligen) Einigkeit am digitalen Stammtisch? Sprich: Es lesen hier bloss Menschen mit, die ein bestimmtes Gedankengut, bestimmte Interessen und Suchanfragen teilen oder gleiche Vorlieben haben? Oder haben wir es wieder einmal mit einer Verschwörung zu tun? Nein, ich glaube, wir haben stattdessen mit einem alten ökonomischen Problem zu schaffen: mit der Anmassung von Wissen nämlich. Ich dachte, ich könne mit einem gewissen Ausgang meines Projekts rechnen, stattdessen kam alles anders. Es gibt mehr, was man nicht weiss, als was man weiss. Und man verlässt sich vielleicht etwas zu borniert auf die eigene Sicht…? Aber: Wie der deutsche Philosoph und Dadaist Helge Schneider einmal treffend sagte: «Ich habe mich vertan.» So kann’s gehen, sei es drum. Ich halte trotzdem mein Versprechen. Ausgehend von den angegebenen Suchresultaten verfasse ich eine weitere Kolumne. Here we are:

Nehmen wir fürs Erste den Stefan. Bei Stefan brodelt es im unteren Teil seiner Liste politisch. Hier werden ansatzweise seine (digitalen Such-)Interessen sichtbar. Aufgefallen ist mir dabei folgender Link: http://grauszone.wordpress.com . Im Link steht zwar grauszone (mit einem «s» nach «grau», ganz geschickter Kniff!), der Titel heisst dann wiederum «grauzone» (ohne «s») und im Untertitel steht «100% gegen Grauzone». Achso. Und dann noch der Untertitel, der mir sagt: «hier schreibt jemand, der genau weiss, wie es ist». Und das ist ja genau das Gegenteil von dem, was mich interessiert!

Spannender erscheint mir die Unberechenbarkeit: Kommen wir also noch einmal auf meinen Aufenthaltsort in den letzten drei Wochen zurück: «Afrika». Fällt dieser Begriff, tun sich in vielen Köpfen visuelle Monokulturen auf. Die Menschen, die den vorgängig genannten Blog schreiben, denken als erstes wohl an die vielen Flüchtlinge. «Die armen Afrikaner». Das, liebe Leser, ist in unserer aufgeklärt-westlichen Gesellschaft ein Nährboden für jene, die es stets besser wussten: Die NGOs. Sie benutzen genau dieses Bild bis zum Abwinken – unsere Komplexe sind ihre Ressourcen. Sie machen Geld mit uns – und drücken parallel dazu die Afrikaner tiefer in die Verliererrolle. Denn: mit positiven Nachrichten wären die NGO’s die Verlierer. Aus diesem einfachen Grund muss mit jedem gebauten Brunnen das Leid überzeichnet werden, das damit (wenigstens um ein kleines Stückchen) gemindert wurde.

Und wenn wir grad dabei sind: «Afrika ist bunt», das ist auch so ein Klischee, das ich nicht mehr hören kann. In der Grauzone bauen wir es deshalb um in ein optimistisches: «Afrika chunt» (das ist eine kleine Reminiszenz an die kantonalzürcherische Abstimmung «Mundart im Kindergarten»). Denn: Afrikas Exotik wurde stets überzeichnet. Seine Rohstoffe wurden seit Menschen gedenken skrupellos ausgebeutet und auf ihrem Fundament wurde weiter oben, auf der nördlichen Halbkugel, eine ganze Industrie aufgebaut. Irgendwann werden die, die heute noch schlafen, feststellen, dass es mehr gibt in Afrika, als die Mitleidsindustrie uns weiss machen will.

Asche auf mein Haupt, denn mir ging es schliesslich genauso. Erst meine Rückkehr nach Zürich hat mir diesbezüglich die Augen geöffnet. Ich sah Zürich auf einmal als Entwicklungswüste; alles ist fertig, alles gestaltet. Und ich dachte plötzlich (politisch dramatisch unkorrekt) und mit einem traurigen Anflug von rousseauscher Naturromantik: Ach, wie haben es die Afrikaner gut. Sie, die ihr Heft erst noch in die Hand nehmen können. Sie, die von unseren Fehlern lernen können. Sie, die all ihr Potential erst noch entdecken werden.

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