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«Wir müssen ‹back to the  ­Sonntagsbraten›»
Ludwig Hatecke und Lauren Wildbolz, fotografiert von Selina Seiler.

«Wir müssen ‹back to the
­Sonntagsbraten›»

Der Metzger Ludwig Hatecke und die vegane Köchin Lauren Wildbolz haben unterschiedliche Ansichten über eine gesunde und ethische Ernährung. Das Streitgespräch endet dennoch überraschend versöhnlich.

Ludwig Hatecke gehört zu den erfahrensten und renommiertesten Metzgern der Schweiz. Beim Bedienen von Veganern fehlt ihm aber offensichtlich noch die Routine. Als er Lauren Wildbolz in seiner Filiale in Zürich empfängt, bietet er ihr zunächst Spätzli an – dann realisiert er, dass diese Eier enthalten. Wildbolz nimmt es gelassen. Die Köchin und Unternehmerin bestellt Salat und Suppe und zeigt sich interessiert am Metzgerhandwerk. Dabei würde sie aufgrund ihrer Überzeugungen in einem Fleischlokal wie diesem nicht einmal ein Mineralwasser kaufen.

Im Gespräch wird schnell klar: Hier stehen sich zwei ganz unterschiedliche Weltbilder gegenüber. Und doch sind sich die beiden in manchem einig. Etwa in der Skepsis gegenüber der Massentierhaltung und darin, dass Fleisch wieder zu etwas Speziellem und Wertvollem werden soll.

 

Frau Wildbolz, was denken Sie beim Anblick des ­Fleischplättchens auf unserem Tisch?

Wildbolz: Ich habe mich daran gewöhnt, an Orten zu sein, wo andere Fleisch essen. Als ich Veganerin geworden bin, ging ich für etwa ein Jahr durch eine Phase, in der ich alle bekehren wollte. Damals hätte ich wahrscheinlich ausgerufen: Wisst ihr eigentlich, welche gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen ihr mit eurem Fleischkonsum verursacht?!

«Als ich Veganerin ­geworden bin, ging ich für etwa ein Jahr durch eine Phase, in der ich alle bekehren wollte.»
Lauren Wildbolz

 

Ruinieren wir unsere Gesundheit durch den Konsum von Fleisch?

Wildbolz: Bei massvollem Konsum nicht. Aber wenn Sie täglich Fleisch essen, definitiv. Deshalb propagiere ich «Back to the Sonntagsbraten», also: selten Fleisch essen, dafür gutes.

Hatecke: Damit bin ich vollkommen einverstanden. Deshalb stellen wir das Fleisch so aus, dass man spürt, dass es etwas Wertvolles ist. Etwas, das einerseits wichtig ist für eine gute Ernährung, das aber andererseits nicht jeden Tag gegessen werden muss – und nicht in zu grossen Mengen. Wenn jemand zu uns kommt und für zwei Personen 200 Gramm Bündnerfleisch bestellt, sage ich: Das ist viel zu viel, probieren Sie es einmal mit 70 Gramm.

«Wenn jemand zu uns kommt und für zwei ­Personen 200 Gramm
Bündnerfleisch ­bestellt, sage ich: Das ist viel zu viel.»
Ludwig Hatecke

 

Wie viel Fleisch essen Sie selber?

Hatecke: Das ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Bis am Mittag esse ich generell kein Fleisch. Danach muss ich ab und zu etwas probieren. Zusammengezählt esse ich vielleicht 100 Gramm Fleisch pro Tag.

 

Sie, Frau Wildbolz, essen gar kein Fleisch.
Hat das negative Auswirkungen auf Ihre Gesundheit?

Wildbolz: Unser Körper ist extrem anpassungsfähig. An Orten wie Grönland, wo es nur Eis gibt, essen die Leute fast ausschliesslich Fleisch. Aber gerade weil der Körper so adaptierbar ist, kann er sich auch auf eine rein pflanzliche Ernährung einstellen, und das ist nachhaltiger und ethischer. Mit mehr «Mindfulness», also einer besseren Wahrnehmung von Körper und Geist, werden wir automatisch viel weniger oder gar kein Fleisch mehr essen wollen.

 

Nehmen Sie Nahrungsergänzungsmittel?

Wildbolz: Ich habe schon als Jugendliche aufgehört, Fleisch zu essen. Vor 15 Jahren bin ich dann Veganerin geworden. Ich war immer gesund, und der Wechsel zur veganen Ernährung hat meine körperliche Performance enorm verbessert. Ich nehme lediglich Vitamin B12 als Supplement. Dieses ist im Fleisch aber meist auch supplementiert. Denn die meisten Tiere dürfen nicht mehr draussen grasen. So aber entsteht kein B12; es muss dem Kraftfutter beigemischt werden.

 

Vermissen Sie es nicht, Fleisch oder tierische ­Produkte zu ­essen?

Wildbolz: Nein. Es ist schon so lange her, dass ich das letzte Mal Fleisch gegessen habe, dass es mir nichts mehr ausmacht. Fisch dagegen, den ich länger gegessen habe, vermisse ich schon.

 

Gehört Fleisch zu einer gesunden Ernährung, Herr Hatecke?

Hatecke: Auf jeden Fall. Wir essen seit 100 000 Jahren Fleisch, und man muss sich fragen, welche Nachteile denn unsere Vorfahren dadurch hatten. Mein Vater ist 93jährig; mein Grossvater ist ebenfalls so alt geworden. Bei uns in den Bergen, wo die Leute viel Fleisch essen, gibt es viele Leute, die über 90 werden – und die auch im Alter noch fit sind.

Wildbolz: Die ältesten Menschen der Welt leben in Japan. Sie essen kein Fleisch, ganz wenig Fisch, sehr viel Algen und Gemüse. Die sind älter als in Graubünden.

 

Was sagen Sie zu den ethischen Bedenken gegenüber dem Fleischkonsum, Herr Hatecke?

Hatecke: Ich finde Massentierhaltung auch nicht in Ordnung. Wir haben praktisch nur Fleisch von Tieren, die nach draussen können und Gras essen. Wichtig ist zudem, aus Fleisch, das wertvoll ist, etwas Wertvolles zu machen. Das Fleisch von einer Kuh zu nehmen, um einen billigen Burger herzustellen, macht keinen Sinn. Das ist schade um jedes Gramm Fleisch.

Wildbolz: Immerhin nutzt McDonald’s für sein Burgerfleisch Milchkühe, die man sonst wegwerfen würde.

Hatecke: Nein, weggeworfen wird nichts. In der Schweiz wird jedes Teil einer Kuh verwertet. In unserer Metzgerei schlachten wir praktisch nur Milchkühe. Entweder kommt das Fleisch auf den Grill oder wir machen Salsiz oder Cervelat daraus. Auch fast alle Innereien werden verwertet, etwa für Hundefutter. Einzig die Därme werden nicht gebraucht, weil die Verarbeitung zu aufwendig ist.

«Das Fleisch von einer Kuh zu nehmen, um einen billigen ­Burger
herzustellen, macht keinen Sinn.
Das ist schade um ­jedes Gramm Fleisch.»
Ludwig Hatecke

 

Wildbolz: Reden Sie da nicht einfach von Ihrer ­Produktion?

Hatecke: Wir müssen auch ab und zu etwas zukaufen. Ein Kalb kostet uns etwa 2000 Franken, eine Kuh über 3000 – kein Betrieb hat Lust, das wegzuwerfen.

Wildbolz: Das macht sicher Sinn. Aber die Lederindustrie zum Beispiel ist eine andere Industrie. Sie verwendet nicht die Kühe, die für die Fleischproduktion verwendet werden.

Hatecke: Doch! Welche denn sonst? Wir bekommen für ein Kalbsfell etwa 50 Franken. Aus diesem Fell werden beispielsweise schöne Taschen gefertigt.

 

Ihre Aussage, wir sollten weniger Fleisch essen, ist aber doch erstaunlich für einen Metzger. Untergraben Sie ­damit nicht das eigene Geschäft?

Hatecke: Nein. Früher hatten die Leute auch nicht so viel Fleisch zum Essen. Warum also brauchen wir Massentierhaltung, um massenhaft billiges Fleisch ohne Geschmack zu produzieren? Das ist vor allem bei Schweinen und Geflügel ein Problem.

 

Sind Sie auch dafür, dass der Staat die Leute dazu animiert, weniger Fleisch zu essen, wie das der Bund etwa mit seiner Ernährungsstrategie tut?

Hatecke: Nein. Es soll doch jeder essen, was er will. Man kann die Leute sensibilisieren, ihnen beispielsweise die Auswirkungen der Massentierhaltung aufzeigen. Aber gesetzlich eine bestimmte Ernährung vorzuschreiben, ist falsch.

Wildbolz: Auf der anderen Seite finanziert der Bund Werbung für Fleisch mit 6 Millionen Franken pro Jahr – und für Gemüse nicht.

Ludwig Hatecke, fotografiert von Selina Seiler.

Der Bund finanziert Werbekampagnen für Fleisch und warnt anschliessend davor – das ist ziemlich ­widersprüchlich.

Hatecke: Ich finde solche Werbung nicht notwendig. Vor allem, weil sie die Schweiz so in den Himmel lobt. Dabei sind wir im internationalen Vergleich nicht überragend.

 

Bei der Massentierhaltung sind Sie sich einig. Aber lehnen Sie auch ab, was Herr Hatecke macht, Frau Wildbolz?

Wildbolz: Ich finde, man soll jedem das Seine lassen. Aber ich beobachte eine Verromantisierung des Fleischessens, die mir auf den Keks geht. Dieses Lokal hier sieht aus wie ein Prada-Laden – es ist superschick und High-End. Damit tragen Sie dazu bei, dass die Leute mehr Fleisch essen, nicht weniger!

Hatecke: Was wir hier machen, ist nicht High-End. Es geht nur darum, zu zeigen, wie wertvoll Fleisch ist und dass es etwas Kostbares ist. Die Leute sollen nicht das Gefühl haben, das seien Haufen, in die man reinlangen soll. Man sieht das auch in den Hotels: Wenn Fleisch einzeln serviert wird in kleinen Portionen statt am Buffet, dann essen die Leute viel weniger davon.

 

Es gibt Wursthersteller, die auf vegane Würste und ­Schnitzel setzen. Kommt das für Sie auch in Frage?

Hatecke: Nein. Aber es zeigt einmal mehr: Die Leute wollen eben doch Wurst essen oder etwas, das daran erinnert. Die vegane Szene macht da ja auch mit, statt klar zu sagen: Wir bieten Gemüse an – und das sieht auch aus wie Gemüse.

Wildbolz: In meiner Küche verwende ich nur Getreide, Gemüse, Früchte, Kräuter, Salate und Hülsenfrüchte. Ich orientiere mich an der buddhistischen Klosterküche. Wenn ich einmal eine andere Proteinquelle verwende, dann zum Beispiel fermentierter Tofu oder Tempeh, also sehr traditionelle Eiweissquellen, die nicht hochverarbeitet oder mit Emulgatoren versetzt sind. Fleischersatzprodukte werden vor allem für Fleischesser produziert – Veganer essen so was gar nicht. Diese Produkte machen ökologisch mehr Sinn als Fleisch, sie sind aber, wie Fleisch auch, nicht zum täglichen Konsum geeignet.

Lauren Wildbolz, fotografiert von Selina Seiler.

Sie wollen die Leute durch Überzeugung zu einer ­pflanzlichen Ernährung bewegen. Sehen Sie darüber ­hinaus auch eine Rolle für die Politik? Es gibt beispielsweise politische Vorstösse, in Altersheimen oder Schulen nur noch veganes Essen anzubieten.

Wildbolz: Ich finde das super. Es braucht eine gewisse politische Regulierung. Die brauchte es auch beim Tabak, und ich finde, Fleisch ist damit vergleichbar. Die Politik alleine kann es nicht richten, aber wenn die Politik nicht einschreitet, wird sich wenig verändern. Ich weiss nicht, ob Schulen und Mensen komplett vegan sein sollten, aber sie sollten viele Optionen bereitstellen. Fleisch soll wieder etwas Spezielles sein – das Tier soll etwas Spezielles sein. Es ist bezeichnend, dass Sie, Herr Hatecke, immer von Fleisch, vom Produkt reden. Aber für mich ist es ein Tier, ein Lebewesen. Manche reden auch von «humanem Schlachten» oder von einem «würdevollen Leben» des Tieres. Dabei ist das Würdeloseste, was man jemandem antun kann, ihm das Leben zu nehmen. Spricht man nur von Fleisch als Produkt, ist einem nicht bewusst, dass das alles mal gelebt hat.

Hatecke: Für mich ist es genauso wichtig, dass man sieht: Das ist ein wertvolles Tier. Es soll ein schönes Leben haben, aber dazu gehört auch die Tötung. Natürlich ist die Tötung kein schöner Akt. Doch heutzutage wird ein Tier praktisch auf die gleiche Ebene wie der Mensch gestellt, und das finde ich fragwürdig. Ein Tier ist kein Mensch.

Wildbolz: Dennoch sind Tiere Lebewesen, die ein Schmerzempfinden haben.

Hatecke: Ja. Aber die Frage ist doch, warum wir etwas, das sich seit Jahrtausenden bewährt hat, innerhalb von einer oder zwei Generationen vollkommen in Frage stellen sollen. Fleisch hat sich bewährt. Es ist ein gutes, gesundes Nahrungsmittel. Früher war es sogar überlebenswichtig im Winter.

Wildbolz: Ja, früher. Aber brauchen wir es heutzutage noch? Nur weil wir etwas schon seit langer Zeit tun, heisst das nicht, dass es gut ist. Natürlich ist es eine Herausforderung, sich vegan zu ernähren, trotzdem wird sich das immer mehr verbreiten. Und ich bin überzeugt: Wenn wir ein gewaltloses Leben führen, verändert das den Menschen. Ich will nicht sagen, dass wir besser sind, weil wir kein Fleisch essen. Doch ich behaupte, dass die Welt gewaltfreier wäre, wenn wir alle kein Fleisch essen würden.

Hatecke: Wie kommen Sie auf so eine Idee? Ob wir aggressiv sind oder nicht, hat doch nichts mit Fleischkonsum zu tun.

Wildbolz: Doch, davon bin ich überzeugt. In der buddhistischen Kultur wird kein Fleisch gegessen und ein gewaltfreies Leben praktiziert. Dort gibt es keine Gewalt.

«Manche reden auch von ‹humanem Schlachten› oder von einem
‹würdevollen Leben› des Tieres. ­Dabei ist das Würdeloseste,
was man ­jemandem antun kann, ihm das Leben zu nehmen.»
Lauren Wildbolz

 

Auch buddhistische Kulturen führen Krieg …

Wildbolz: Es gibt den Zen-Buddhismus, der Fleischkonsum erlaubt. Dort kommt Gewalt vor.

 

Ist es nicht etwas utopisch, dass alle zu Veganern werden? 95 Prozent der Bevölkerung wollen nicht auf Fleisch ­verzichten. Es wäre doch sinnvoller, sich für bessere ­Tierhaltung oder für die Reduktion des Fleischkonsums ­einzusetzen, anstatt ihn komplett ausmerzen zu wollen.

Wildbolz: Ich möchte mit meiner pflanzenbasierten Küche Menschen inspirieren, so dass sie im besten Fall zu weniger tierischen Produkten greifen.

 

Wie wird unsere Ernährung in der Zukunft aussehen?

Hatecke: Wenn wir die Leute überzeugen, weniger von allem zu essen und einen sorgfältigen Umgang mit Lebensmitteln zu pflegen, kann es durchaus sein, dass sie mehr Gemüse essen. Das wäre das Beste für die Umwelt und die Tiere.

Wildbolz: Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich an zwei Lösungen: Innovation und Reduktion. Zellulares Fleisch wird sich durchsetzen.

 

Würden Sie das essen?

Wildbolz: Nein, denn die Hauptquelle ist immer noch tierisch. Ich brauche solche Ersatzprodukte gar nicht.

 

Was halten Sie vom Laborfleisch, Herr Hatecke?

Hatecke: Ich würde lieber weniger Fleisch essen als solches, das künstlich erzeugt wird. Es stellt sich auch die Frage, wie sich dieses Laborfleisch mit dem Körper verträgt.

Wildbolz: Diese Frage stellt sich auf jeden Fall. Hier handelt es sich um genmanipulierte Produkte. Aber auch in der Massentierhaltung werden die Tiere mit genmanipuliertem Futter gefüttert. Pharmaunternehmen forschen jahrelang, um die Marktzulassung für ein Medikament zu erhalten. Im Vergleich dazu ist die Lebensmittelindustrie viel zu wenig kontrolliert.

 

Glauben Sie, dass es in 20 bis 30 Jahren Läden wie jenen von Herrn Hatecke noch geben wird?

Wildbolz: Ich würde mir wünschen, dass Fleisch nur noch an solchen Orten konsumiert wird und wir in Supermärkten kein Billigfleisch mehr kaufen können.

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