Wir haben fertig….
Liebe Leserinnen und Leser! Dies ist Ihr Glückstag: Heute lesen Sie unsere letzte Kolumne «Zur Lage…» Wir geben ohne Vorankündigung folgendes bekannt: Wir heben nicht die Franken-Untergrenze auf, sondern wir legen eine definitive Kolumnen-Obergrenze fest. Zwanzig. Keine Zeile mehr. Wir bitten um Verständnis, dass wir bis vor kurzem immer wieder versicherten, eisern an der Verteidigung […]
Liebe Leserinnen und Leser!
Dies ist Ihr Glückstag: Heute lesen Sie unsere letzte Kolumne «Zur Lage…»
Wir geben ohne Vorankündigung folgendes bekannt: Wir heben nicht die Franken-Untergrenze auf, sondern wir legen eine definitive Kolumnen-Obergrenze fest. Zwanzig. Keine Zeile mehr.
Wir bitten um Verständnis, dass wir bis vor kurzem immer wieder versicherten, eisern an der Verteidigung der nach oben offenen Obergrenze festzuhalten. Aber ein solch schwerwiegender Entscheid wie das Ende einer das Staatsinteresse tangierenden Kolumne im Schweizer Monat kann nur überraschend kommuniziert werden.
Hätten wir bereits früher deutlich den vorübergehenden Charakter unserer Kolumne betont, wäre gegen uns und natürlich gegen den Schweizer Monat spekuliert worden. Abonnenten wären abgesprungen, Inserenten hätten das Investitionsvolumen gekürzt, der Papierpreis wäre ins Bodenlose gestürzt.
Es wären Drohungen gegen die beiden Kolumnisten ausgesprochen worden. Solidaritätsdemonstrationen hätten mit fadenscheinigen Gründen verboten werden müssen. Wir hätten uns möglicherweise diesem Druck gebeugt und weiter geschrieben. Auch hätte die Kolumnistengewerkschaft uns der fehlenden Solidarität bezichtigt. Ja, sogar die Europäische Zentralbank hätte vermutlich die auf den ersten Blick weit hergeholte Erklärung zusammengeschustert, dass Draghis Papierschwemme notwendig ist, weil wir die allgemeine Flutung des Medienmarktes mit Kolumnen nicht mitmachen.
Wir haben uns den Entscheid reiflich überlegt. Er kommt zum richtigen Zeitpunkt. Die Leser schaffen es auch ohne uns, eine kurze Zeit des Schmerzes ist auszuhalten. Aber langfristig wird uns die Entwicklung rechtgeben.
Wir sagen: Der Schweizer Monat und die eidgenössische Kultur hatten mehr als zwei Jahre Zeit, sich auf die harten Zeiten ohne unsere Kolumne vorzubereiten. Wir hoffen, alle haben ihre Hausaufgaben gemacht und unsere Botschaft verinnerlicht.
Wir treten also ab, wir haben fertig. Aus freien Stücken, ohne Druck der Chefredaktion. Wir verschonen Sie von nun an mit unseren Kurz-Analysen der schweizerischen Befindlichkeit. Wir leisten Triebverzicht.
Und wir machen es wie die SNB. Schnell und ohne Ankündigung. Und konsequent, ohne mit der Wimper zu zucken.
Denn: Hand aufs Herz. Sind die meisten jahrelang laufenden Kolumnen nicht eine Qual? Für die Kolumnisten, wie für die Leser und Leserinnen?
Es ist doch einfach nicht möglich, im Monats- oder gar Wochenrhythmus etwas wirklich Spannendes und Kluges, und dann noch in einem immer gleichen vorgegebenen Format zu denken, zu erfinden, zu schreiben.
Ob Peter Schneider, Bänz Friedli, Michèle Roten, Helmut-Maria Glogger oder Frank A. Meyer (wir haben ihm versprochen, ihn nicht zu vergessen!) – und wie unsere anderen lieben KolumnistenkollegInnen alle heissen mögen –, die Sache ist öfter peinlich als anregend.
Man muss sich etwas aus den Fingern saugen, weil wieder Abgabetermin ist. Man muss furchtbar originell sein. Es muss in die Ausrichtung des Blattes passen, aber doch so frech sein, dass es danach aussieht, als hätte der Kolumnist volle Narrenfreiheit.
Und so kommt es oft, wie es kommen muss. Ein Krampf, ein Murks. Aus einer Fliege wird ein Elefant gemacht. Oft nur zwanghaft originell, aber nicht zwingend lustig. Oft intellektuell verschroben, nicht lustvoll intelligent.
Und die Themen, die einen wirklich unter den Fingern brennen, sind zu schwergewichtig für eine Kolumne.
Die Kolumne als Schule der raffiniert tiefsinnig getarnten Seichtigkeit? Oder des oberflächlich surfenden Scharfsinns?
Natürlich. Das macht den Reiz der Kolumne aus: Ein Praliné sozusagen. Eine Verdichtung vieler Tendenzen, elegant auf den Punkt gebracht, auf der Zunge zergehend, wenn sie gut geschrieben ist. Solche Glückfälle hatten wir auch, aber nicht immer.
Deshalb werden wir jetzt zu Autoren, die nur dann schreiben, wenn sie wirklich etwas zu sagen haben. Dafür tiefer schürfend und radikaler. Ihnen wünschen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge alles Gute! Danke fürs Lesen. Bleiben Sie sich treu!
Ihre
Markus Fäh, Psychoanalytiker und Coach
Andreas Oertli, Unternehmensberater und Coach
Mit diesem Eintrag verabschieden sich Markus Fäh und Andreas Oertli als Kolumnisten. Wir danken den beiden für ihre scharfen Analysen und anregenden Denkleistungen. Zum Finale schalten wir sämtliche ihrer Kolumnen frei:
Zur Lage der Politikverdrossenheit
Zur Lage der Schweizer Neurose
Zur Lage der alltäglichen Mauscheleien
Zur Lage der Aufmerksamkeitsgier
Zur Lage des Schweizer Fussballs
Zur Lage des Leben-und-Sterben-Lassens
Zur Lage der (fehlenden) Männerbewegung
Zur Lage des Umgangs mit dem Fremden
Zur Lage des konsequenten Weiterwurstelns