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Die Schneiderinnen Karin Bischoff und Kathrin Baumberger, Bild Ronnie Grob.

«Wir gehören zu den wenigen Gewerbebetrieben, die noch ausbilden»

Karin Bischoff und Kathrin Baumberger, Schneiderinnen, St. Gallen.

Wenn man die hohen Räume der Schneiderei namens Die Manufaktur in der Nähe des St. Galler Hauptbahnhofs betritt, sich die Tür hinter einem schliesst und man auf dem Fischgrätenparkett steht, kehrt Ruhe ein. Das Auge wandert zwischen Reihen von Anzügen, Hüten, Fliegen, Krawatten, Kleidern, Hosen, Foulards. Dass vorher ein Sportgeschäft in den Räumlichkeiten war, merkt man nicht mehr; der Innenarchitekt hat ganze Arbeit geleistet.

Weiter hinten im Laden, in einem angrenzenden Raum, herrscht lebhafter Betrieb. Zwischen Schneidertorsos und Nähmaschinen fertigt das Manufakturteam Damen- und Herrenbekleidung auf Mass an, kürzt und verlängert nach Wunsch. Scheren und Massbänder liegen herum, mit denen die Mitarbeiterinnen Stoffe neu in Form bringen. Die Werkstatt ist gut ausgelastet. Von April bis September werden viele Hochzeitskleider in Auftrag gegeben, zumeist von Geschäften, die Hochzeitskleider verkaufen, aber selbst keine Änderungen machen. Viele Masskunden bestellen Kleider für besondere Anlässe und Feste, es sind oft Spezialaufträge. Ein Talar für einen Priester. Eine Tracht für eine Ehrendame am Schwingfest. Ein Kostüm für das Jazzfestival Montreux. Oder Outfits für die Bühnenshow der A-cappella-Gruppe Bliss. Ebenfalls zu den Kunden gehören Leute, die nichts finden von der Stange.

Die beiden Gründerinnen der Manufaktur – Coutureschneiderin Karin Bischoff und Kostümdesignerin Kathrin Baumberger – gingen einst gemeinsam in die Gewerbeschule. 2009 fanden sie sich wieder durch ein Pro-Helvetia-Projekt zur Volkskultur, zusammen mit Textildesigner Bernhard Duss. Sie nahmen damals Appenzeller Trachten als Inspirationsquelle und setzten sie neu zusammen – ein Frevel für jene, welche die in den 1920er-Jahren definierte Trachtenmode für unverrückbar halten. «Sobald man etwas ändert, gibt’s Stunk», sagen die beiden lachend. Dabei ist doch klar, dass Tradition lebendig sein muss, wenn sie überleben will.

Während Bischoff einer Unternehmerfamilie mit bald 100 Jahren Tradition entstammt (Bischoff Textil AG), ist Baumberger, die bis heute in Zürich wohnt und nach St. Gallen pendelt, eher per Zufall ins Unternehmerleben hineingeraten.

Ich erkundige mich nach dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel, doch einen solchen kann Kathrin Baumberger nicht bestätigen: «Bei uns hat sich immer etwas ergeben, wir mussten nie gross suchen. Gerade jetzt kommt jemand aus dem Mutterschaftsurlaub zurück.» Wenn es so viele Frauen im Team gebe, müsse man eben flexibel bleiben in den Anstellungsbedingungen. Von Anfang an hätten sie auch Lehrlinge ausgebildet: «Wir gehören zu den wenigen Gewerbebetrieben, die noch ausbilden, das machen nur noch etwa 5 Prozent. In unserer Branche werden die meisten Ausbildungen von Schulen übernommen», erklärt Bischoff. Überhaupt werde Talentförderung im Betrieb grossgeschrieben. Eine Lernende gehe jetzt an den Berufswettbewerb Swiss Skills, auch an Weltmeisterschaften sei man oft vertreten gewesen.

Unternehmerisch reagieren mussten sie auf die Coronamassnahmen der Regierung: «Wir haben sofort angefangen, Masken zu produzieren, und waren so einer der ersten Anbieter, die in der Schweiz Masken liefern konnten», sagt Bischoff. Dennoch waren 2021 und 2022 schwierige Jahre, an denen sie lange nagen mussten; eine Baisse, aus der man sich erst wieder hocharbeiten musste. Es gab damals nicht nur keine Feste, keine Events, kein Theater und weniger Hochzeiten. Nach Corona habe sich auch die Mode etwas gewandelt. Sie sei weniger formell und mehr casual geworden.

Vor eineinhalb Jahren hat die Manufaktur eine Firma hinzugekauft von einer Unternehmerin, die pensioniert wurde: Kienerkissen stellt Kissen für Pflegeinstitutionen her. «Von den Privatkunden, die per Onlineshop bestellen, schätzen viele, dass wir in der Schweiz produzieren und nicht im Ausland», sagt Bischoff. Das neue Business ergänze die anderen Arbeiten gut. «Bei Flaute können wir vorarbeiten und auf Lager produzieren. Das gibt uns einen Puffer, um Mitarbeiterinnen ständig beschäftigen zu können.»

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