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Wir brauchen weniger Privatjets, nicht weniger Kinder
Max Vögtli, zvg.

Wir brauchen weniger
Privatjets, nicht weniger Kinder

Dem Klima zuliebe auf Nachwuchs verzichten ist der falsche Weg. Wir sollten Privatjets verbieten und die umweltschädigenden Investitionen des Schweizer Finanzsektors begrenzen.

Das Klimaproblem ist dringend: Wir müssen handeln, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Aber wie? Es gibt viele Möglichkeiten, CO2-Emissionen einzusparen: durch eine pflanzliche Ernährung, durch weniger oder gar nicht fliegen, mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder dem Wiederverwenden von Kleidern. Es gibt jedoch offenbar auch einen magischen Trick, um den CO2-Ausstoss schnell zu reduzieren: weniger Kinder.

Eine oft zitierte Studie1 besagt, dass ein Elternteil mit einem Kind weniger seinen CO2-Fussabdruck um 58,6 Tonnen pro Jahr reduzieren würde. Das ist ein gewaltiger Unterschied, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Schweizer Bürger verbrauchsbedingte CO2-Emissionen von 14 Tonnen CO2 pro Jahr verursacht – der zweithöchste Wert in Europa.

Aus der erwähnten Studie geht hervor, dass wir uns zur Erreichung unserer Netto-Null-Ziele auf Massnahmen mit hoher Wirkung konzentrieren müssen, die unsere CO2-Emissionen deutlich reduzieren. Die Studienautoren betonen nicht nur, dass wir weniger Kinder haben sollten, sondern messen drei anderen Massnahmen die gleiche Bedeutung bei: autofrei leben, Flugreisen vermeiden, sich pflanzlich ernähren. In der Tat bringt aber die zweitbeste Massnahme – autofrei leben – lediglich Einsparungen von 2,4 Tonnen CO2 pro Jahr, ist also 25-mal weniger effektiv.

Vor 225 Jahren entwickelte der Ökonom Thomas Robert Malthus die Theorie, dass exponentielles Bevölkerungswachstum auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen eine Begrenzung der Bevölkerung erfordere – entweder auf natürliche Weise oder durch Zwang. Auch wenn seine Theorie inzwischen widerlegt wurde: Hatte er vielleicht doch recht?

Bevor wir beginnen, die persönlichen Freiheiten der Bürger/-innen ernsthaft anzugreifen, sollten wir die Zahlen in die richtige Perspektive rücken. Denn wenn wir uns auf die Suche nach den grössten potentiellen Reduktionen von Emissionen machen, stossen wir auf bedeutendere Quellen.

Wirkung und Kosten

Ein Privatjet, der ausschliesslich von Millionären und Milliardären geflogen wird, stösst 2 Tonnen CO2 pro Betriebsstunde aus. Statistiken über deren jährliche Nutzung sind schwer zu finden, aber 2016 flog ein durchschnittlicher Privatjet 448 Stunden pro Jahr2, was 896 Tonnen CO2 pro Flugzeug entspricht. Da 2019 insgesamt 22 125 Privatjets in Betrieb waren, ergibt sich eine Gesamtsumme von etwa 19,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Geht man von einer Zunahme von Flügen mit Privatjets von 10 Prozent seit 20194 aus, erkennt man, dass Privatjets weltweit jährlich mehr als 21 Millionen Tonnen CO2 ausstossen. Würden alle Privatjet-Reisen weltweit verboten, würde das 389 400 Kindern entsprechen – fünfmal mehr als alle Kinder, die 2022 in der Schweiz geboren wurden!3

Wenn wir uns also auf die Reduzierung von Emissionen mit hoher Wirkung konzentrieren, sollten wir dann Familien sagen, dass sie weniger Kinder bekommen sollen – oder sollten wir mit einem Verbot von Privatjets beginnen?

Kinder bringen nicht nur den Eltern, sondern auch in der Gesellschaft viel Positives. Sie geben dem Leben einen Sinn und verursachen emotionale Freude. Sie sind auch in wirtschaftlicher Hinsicht von entscheidender Bedeutung: Neue Kinder sind wichtig für die Aufrechterhaltung einer Steuerbasis, die dem Staat Einnahmen verschafft, um Dienstleistungen zu erbringen, die Infrastruktur zu erhalten und den Pensionierten eine angemessene Rente zu bieten.

Privatjets dagegen haben nur einen sehr begrenzten Nutzen für die Gesellschaft und dienen lediglich dem Komfort einer winzigen Minderheit. Sie werden viel eher für Skiausflüge in die Alpen oder Shoppingtouren nach Paris genutzt als für Staatsbesuche oder Geschäftsreisen.

Die Schweiz könnte problemlos schon morgen alle Privatjet-Flüge verbieten, ohne dass dabei die Wirtschaft leiden würde. Die bisherigen Nutzer von Privatjets wären gezwungen, auf kommerzielle Flüge oder Züge umzusteigen.

Zoomen wir noch weiter heran und betrachten die Emissionen, die durch die Investitionen des Schweizer Finanzsektors verursacht werden. Sie belaufen sich auf 800 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, was umgerechnet rund 13,7 Millionen Neugeborenen entspricht – der dreifachen Anzahl der Kinder, die jährlich in der EU auf die Welt kommen.4 Allein die Emissionen der reichsten 125 Milliardäre belaufen sich auf 393 Millionen Tonnen CO25 oder 7 Millionen Neugeborene – das Doppelte der jährlichen Geburtenrate in der EU. Diese Emissionen stammen grösstenteils aus Investitionen in fossile Brennstoffe, die jedes Jahr ansteigen.6

Kinder haben in der Klimakrise

Sollten Frauen in einer Klimakrise Kinder kriegen? Das ist grundsätzlich eine persönliche Entscheidung, die zu respektieren ist. Frauen haben zahlreiche Gründe7, kein Kind zu bekommen: Sie wollen sich nicht an die Verantwortung binden, ihren Körper nicht dem Stress aussetzen, der Karriere Vorrang vor der Familie einräumen – oder sind generell kein grosser Fan von Kindern. Sie sind sogar sehr berechtigt zu entscheiden, keine Kinder zu bekommen, weil sie Angst vor der Klimakrise haben.

Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Viele Frauen wünschen sich Kinder im Wissen, dass es finanziell schwierig wird, dass ihre Karriere darunter leidet oder der Zustand des Planeten sich verschlechtert. Sie wollen ein Kind, und das ist ihr gutes Recht. Ein Kind zu haben ist eine persönliche Entscheidung. Es ist die Pflicht der Gesellschaft, Frauen und Kinder zu unterstützen, ein sicheres und erfülltes Leben auf einem gesunden Planeten zu führen.

Ja, es ist wichtig, darüber zu sprechen, was der Einzelne tun kann; der Konsum ist ein wichtiger Teil des Problems. Wir dürfen uns jedoch nicht von den eigentlichen systemischen Problemen ablenken lassen. Das aktuelle System und die Akteure, die davon profitieren, stellen den Gewinn über alles, ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. So fliessen Milliarden von Franken weiter in fossile Brennstoffe, in die Produktion und vor allem in die Werbung von Produkten und Dienstleistungen, die unseren Planeten zerstören. Wenn wir Emissionen reduzieren wollen, dann wäre es besser, Privatjets zu verbieten, als weniger Kinder zu haben. Sich weiterhin auf die Bevölkerungsgrösse zu konzentrieren, ist eine Ablenkung von den Wurzeln der Krise.

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