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Wir brauchen keine Herrschaft

Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von allen anderen, sagte einst Winston Churchill. Für David D. Friedman ist dies ein Grund, über neue Staatenmodelle nachzudenken. Je weniger Herrschaft, desto besser. Gedankenaustausch mit einem amerikanischen Anarchisten.

Wir brauchen keine Herrschaft
David D. Friedman, photographiert von Michael Wiederstein.

Herr Friedman, ich habe mir Ihre Website näher angesehen und mich gewundert: Sie stellen dort alle Ihre Texte kostenlos zur Verfügung. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie versuchen, mit Ihren Ideen Geld zu verdienen…

Ja, Sie haben recht. Ich argumentiere für freie Märkte und Privateigentum – stelle aber meine Ideen kostenlos zur Verfügung. Das klingt nach einem Widerspruch, ich halte es aber für eine kluge Entscheidung.

Wieso?

Sie kommen ohnehin nicht daran vorbei, sich über das mögliche Ende des Urheberrechts Gedanken zu machen. Es ist praktisch unmöglich, dasselbe im digitalen Zeitalter durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund müssen Sie sich fragen, wie Sie für Ihr geistiges Eigentum am besten entschädigt werden. In meinem Fall heisst das: die Chance, dass mich jemand zu einem Vortrag einlädt, wird grösser, wenn ich meine Ideen frei verfügbar mache. Und je mehr Leute mich für Vorträge einladen, desto besser für mich und mein Konto – und desto besser für meine Ideen. Sie sehen also: Ich bin den kapitalistischen Prinzipien treu geblieben.

Ihr Businessmodell funktioniert: Sie sind für eine Vortragsreise nach Europa eingeladen worden. Wir treffen uns in Zürich, wo Sie ebenfalls Station machen. Und wir haben vereinbart, uns über die Zukunft der Demokratie zu unterhalten. Wie sieht Ihr Schweizbild aus?

Die Schweiz? Nun, das kleine Land hat ein ziemlich dezentralisiertes politisches System, was mir sehr sympathisch ist. Volksentscheide werden auf kleinster politischer Ebene durchgeführt. Die Schweiz ist damit für Aussenstehende eine vergleichsweise vorbildlich gestaltete Demokratie, die aber bei genauem Hinsehen auch jede Menge wunde Punkte aufweist. Die Schweizer sind ein rebellisches Volk, das Land ging zu grossen Teilen aus der Habsburgermonarchie hervor. Und die Schweizer sind bewaffnet – sie haben eine Milizarmee, die über Nacht in ein Heer verwandelt werden kann. Bis heute rätseln Historiker, ob das der Grund dafür war, dass die Deutschen die Schweiz im Zweiten Weltkrieg nicht überfallen haben. Oder war es doch das Erhalten ihrer schönen Möglichkeit, dort möglichst viele Gelder unbeaufsichtigt lagern zu können? Nun, zugestanden: Ich sollte mehr wissen, schätze ich? (lacht)

Das ist schon eine ganze Menge. Was für «wunde Punkte» hat denn unser politisches System?

Der direkten Demokratie geht es nur graduell anders als jeder anderen Art von Demokratie. Es gibt einen Ausspruch Wins­ton Churchills, der gern zitiert wird, wenn es um dieses Thema geht: «Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.» Gemeinhin glaubt man, dies sei als Lob auf die Demokratie zu verstehen. In Wahrheit ist es eine kluge Kritik! Wenn selbst die beste uns bekannte Regierungsform immer noch schlecht ist, so sollten wir uns damit keinesfalls zufrieden geben. Für die Schweiz gilt das genauso wie für die USA oder Venezuela: Letztlich bestimmt eine Mehrheit, welche privilegierten Bürger gegen alle anderen Bürger eines Landes Zwang anwenden dürfen.

Vertiefen wir diesen Punkt. Ich habe ein schönes Zitat auf Ihrer Website gefunden, das ich frei wiedergebe: Die Regierung, so schreiben Sie, ist eine Gruppierung von Leuten, die legal Zwang auf ihre Mitbürger ausüben kann. Sie unterscheidet sich von anderen Gruppierungen, die irgendeinen Zwang auf Mitmenschen ausüben – etwa kriminelle Vereinigungen wie die Mafia –, vor allem darin, dass die meisten Menschen die eigene Regierung und ihre Privilegien in ihrer Zwangsausübung als normal oder sogar wünschenswert empfinden. Ist das Ihr Ernst?

Es ist schon einige Jahre her, dass ich das geschrieben habe, aber klar – das ist eine analytische Aussage, die jeder nachvollziehen kann. Wollen Sie mir widersprechen?

Ich würde analytisch antworten: Die Regierenden können nur so lange regieren, als ihnen die Regierten ihre Zustimmung nicht verweigern. Ergo sind sie legitimerweise an der Macht.

Ich frage zurück: Haben Sie dem System, in dem Sie leben, jemals explizit zugestimmt?

Explizit nicht, aber implizit schon. Ich bin im Land geblieben.

Und vielleicht sind Sie zugleich einer Ideologie aufgesessen, ohne es zu merken. Die Regierenden werden ja nicht von unten eingesetzt, sondern holen von unten einfach die Legitimation für die Machtausübung. Schauen Sie: In einer funktionierenden Gesellschaft wissen die Individuen, welche Rechte sie haben – egal, woher sie kommen, ob sie vom Staat geschützt werden oder von der Religion oder sonstwie. Sie haben da jede Menge Territorien, aber auch jede Menge unausgesprochener Verträge untereinander, also Zugeständnisse, die Sie gegenüber Ihren Mitmenschen machen. Und das ganze funktioniert alles in allem nicht schlecht, Sie brauchen gar niemanden, der Sie regiert. Sie brauchen keine Regierung, der die allermeisten Regierten zugestehen, dass für sie all diese Regeln nicht gelten: Die Regierung bzw. ihre Handlanger dürfen per Videoüberwachung Ihre Privatsphäre ausspionieren, dürfen Ihnen vorschreiben, wann und wie Sie Ihr Auto warten müssen, dürfen Ihnen Produkte vorenthalten, die Sie «dick» oder «dumm» machen. Und sie dürfen Sie auch jederzeit verhaften, Sie in ein Gefängnis stecken und – wie in den USA – sogar töten, wenn die richtigen Leute zum Schluss gelangen, dass dies richtig sei. Das würden Sie doch Ihrem wirklichen Nachbarn alles nie zugestehen, oder?

Ich verstehe Ihre Abneigung gegen gesetzliche Privilegierung. Aber Sie machen es sich zu leicht. Wenn Sie die Individuen und ihr rationales Verhalten hochhalten, dann müssen Sie doch zugleich anerkennen: Wenn diese im Land bleiben, dann hat dies seinen Grund.

Die klassische Erzählung geht in der Tat so: Einige Menschen sollten besondere Rechte zugestanden erhalten – im «allgemeinen Interesse», wie es so schön heisst. Doch wer ist die Allgemeinheit? – Ich denke, die Menschen handeln in einem anderen Sinne rational, wenn sie still bleiben. Ganz einfach: die Kosten für einen Normalbürger, sich mit den Mächtigen anzulegen, sich also gegen Mitbürger mit Sonderrechten aufzulehnen, sind gigantisch. Das wissen die Regierenden. In Demokratien hören sie zwar halbwegs auf die Regierten, aber eben nur insoweit, als die Regierten sich mit dem Status quo arrangieren und nicht den Aufstand proben. Darum zeichnen sich Demokratien auch durch zwei Eigenschaften aus: einen halbwegs funktionierenden sozialen Frieden und Politikverdrossenheit.

Zu sagen, dass die einzelne Stimme nichts zählt, gehört zu den klassischen Requisiten der Demokratiekritik. Sie lässt jedoch ausser Acht, dass sich in seinem Freundeskreis jeder als politischer Überzeugungstäter engagieren kann. Oder er kann es darauf anlegen, selbst in das Lager der Regierenden zu wechseln.

Das ist nun in der Tat eine sehr helvetische Perspektive. In anderen Ländern brauchen Sie viel Geld, Einfluss oder viel Zeit, um eine politische Karriere zu starten. Also bleiben Sie vernünftigerweise lieber normaler Bürger, also Wähler. Aber was tut der? Um «richtig», das bedeutet: um unter Beachtung möglichst vieler Implikationen sein Kreuzchen auf eine Wahlliste zu setzen, braucht er jede Menge Informationen. Und Informationen sind teuer, da er Zeit aufwenden muss, sie zu besorgen. Zugleich weiss er, wie wenig er mit seiner Stimme bewegen kann. Und das wäre doch die einzige Motivation, die er haben könnte, um sich überhaupt zu informieren: Er muss etwas mitbestimmen können. Wenn er also rational im Sinne der begrenzten Freizeit handelt, sollte er sich bei 99 999 Mitwählern in seiner Stadt nicht den Sonntagnachmittag mit Kreuzmachen um die Ohren schlagen, sondern lieber mit seiner Familie spazieren gehen.

Ich wohne in einer Gemeinde mit wenigen tausend Einwohnern. Hier hat eine einzige Stimme durchaus Gewicht…

…aber selbst in der Schweiz ist eine Beteiligung von 70 Prozent des Wahlvolkes an den Urnen eher selten, oder nicht?

Stimmt.

Eben. Das Interesse an Politik hält sich letztlich in engen Grenzen. Und das ist auch gut so. Je weniger Politik, desto besser!

Der Schweiz eilt heute international ein vorbildlicher Ruf voraus. Als vorbildlich gilt unser System vor allem deshalb, weil das Volk – der Souverän – tatsächlich die einzige Opposition im Land ist, bei Entscheidungen der Regierung also stets das letzte Wort hat…

Moment! Da muss ich zwischenfragen: Wann hat das Volk das Recht zu widersprechen?

Die Bürger können dem Bundesrat oder dem Parlament widersprechen, wenn diese Vorlagen erarbeitet haben, die einer grösseren Gruppe nicht passen, wir nennen das Referendum. Aber das Volk kann auch im Vorhinein schon Initiativen lancieren, die den Bundesrat zum Handeln zwingen – sofern 100 000 Stimmen für dieses Vorhaben gesammelt wurden. 

Werden wir konkreter. Nehmen wir an, das Parlament will die Steuern anheben. Was kann das Volk tun?

Bürger, Parteien oder Verbände können ein Referendumskomitee gründen und Unterschriften sammeln. Haben sie 50 000 gültige Unterschriften innerhalb von 100 Tagen beieinander, wird kollektiv über den Sachverhalt abgestimmt. In der Schweiz haben die Kantone die Steuerhoheit. Will die Regierung bzw. ein kantonales Parlament die Steuer anheben, kommt regelmässig ein Referendum zustande, und das Volk stimmt ab. 

Zugegeben: das ist im Prinzip eine schöne Sache. Nur wundere ich mich, warum Sie in der Schweiz mehr als 10 Prozent Steuern zahlen.

Ich finde die Fiskalquote in der Schweiz mit 40 Prozent viel zu hoch, da gebe ich Ihnen recht. Nur bin ich in einer Minderheit. Die meisten Bürger scheinen mit den Leistungen des Staates zufrieden zu sein.

Das ist ein Trugschluss. Es kann auch sein, dass viele vom Staat profitieren – und mehr von ihm erhalten, als sie bezahlen. Und die bestimmen dann in einer Demokratie über jene, die mehr bezahlen, als sie erhalten. Gegen solche Mechanismen der Unterdrückung sind Sie in einer Demokratie letztlich machtlos, sei sie nun direkt oder indirekt. Aber bleiben wir bei meinem Thema. Wenn das Parlament eine Steuererhöhung beschliesst und die Leute nichts machen, dann werden die Steuern tatsächlich erhöht?

Das ist so, ja.

Also haben die Regierenden ein Sonderrecht gegenüber dem Volk. Sie können die Steuererhöhung durchbringen, ohne vorher 50 000 Stimmen zu sammeln. Das ist ja kurios, finden Sie nicht?

Das kann man so sehen. Nur deuten wir das in der Schweiz anders: Wenn die Bürger das Finanzreferendum nicht ergreifen, sind sie mit der Steuererhöhung einverstanden. Das ist sozusagen ein stillschweigendes Einverständnis.

Ist das wirklich so? Wäre ich Schweizer, würde ich die Regierenden auch gewähren lassen, trotz den für meine Begriffe zu hohen Steuern. Warum? Ganz einfach deshalb, weil mir die Kosten zu hoch wären. Ein Referendum anzuzetteln kostet eine Menge Zeit und Geld. Mir wäre eine solche Demokratie schlicht zu anstrengend. Mein Ideal als Bürger ist ein anderes: ein Leben in Frieden. Ich will mich nicht um anderer Leute Geld und Leben kümmern müssen. Und ich will nicht von anderen überstimmt werden.

Wie wollen Sie das in menschlichen Gesellschaften erreichen? Irgendwie müssen die Menschen die politischen Grosskörper ja organisieren.

Exit statt Voice! Einen hohen Wirkungsgrad hat die Migration. Wer mit den Füssen abstimmt, bekommt vielleicht dort, wo er hingeht, augenblicklich das, was er daheim gern gehabt hätte, was aber über demokratische Wahlen zu erzeugen Jahrzehnte, Jahrhunderte gedauert hätte. Nehmen wir nun einmal an, im Vergleich mit jahrzehntelangen demokratischen Anstrengungen, deren Ausgang ungewiss ist, sei es eine finanziell günstige und einfache Sache, den Kanton zu wechseln…

…tatsächlich: in der Schweiz ist das nicht besonders schwierig, da die Kantone flächenmässig nicht sehr gross sind.

Wunderbar! Die einen Kantone haben bestimmt eine schöne Landschaft, die vielleicht höhere Steuern aufwiegt, andere sind urbaner und haben ein reicheres Kulturleben, dafür ist die Luft vielleicht nicht so gut. Ich vergleiche das mit dem Prinzip von Hotels und Restaurants. Als Kunde gehen Sie irgendwohin, weil Sie den Service mögen, die Aussicht, das Klima, den Preis, und mieten sich in ein Hotel ein. Das System, das dahintersteckt, ist im Prinzip eines der konkurrierenden Kleindiktaturen. In jedem Hotel gelten eigene Regeln, es riecht vielleicht wie nirgends sonst, die Rezeptionsdame ist freundlich oder weniger freundlich, hier darf man sich aufhalten, dort nicht. Und Sie als Gast haben keinerlei Mitspracherecht, wenn es darum geht, wie das Hotel genau geführt wird oder wer im Restaurant kocht! Sie haben keine Macht, etwas zu ändern, aber Sie haben die Macht, darüber zu entscheiden, ob Sie hier bleiben wollen oder nicht. Und von letzterem ist der Hotelbetrieb direkt abhängig, deswegen wird der Hoteldirektor, dieser kleine Diktator, Ihren Aufenthalt auch so angenehm wie nötig gestalten wollen. Ein solches System liesse sich auch auf Staats­ebene denken – sein Gelingen wäre von kleinen Distanzen und offenen Grenzen zwischen den Staaten abhängig, und natürlich von ihrer produktiven Konkurrenz untereinander.

Ist das heute in der globalisierten Welt nicht bereits der Fall? Sie können gehen, wohin Sie wollen.

Ja, Sie können heute einfacher und günstiger dort Urlaub machen als vor 100 Jahren. Eine wirkliche Einwanderung in die USA ist aber heute viel schwieriger als damals. Heute brauchen Sie Green Cards – früher mussten Sie als Europäer nur Ihren Fuss in New York auf den US-amerikanischen Boden setzen, schon waren Sie Amerikaner. Deswegen stieg die Einwohnerzahl der USA um etwa ein Prozent jährlich. Das war bis in die 1920er Jahre hinein so. Sicher: schon im späten 19. Jahrhundert hatten die USA Begrenzungen für chinesische Zuwanderer eingeführt, auf dem Landweg war es aber beispielsweise Mexikanern damals noch erlaubt, einfach über die Grenze zu kommen. Heute werden immense Anstrengungen unternommen, diese Menschen von einer Einwanderung abzuhalten, was unglaubliche Kosten verursacht. Das Gleiche geschieht heute auch an den EU-Aussengrenzen. Das sind doch unwürdige Zustände. Hinzu kommt, dass die EU sich langsam, aber sicher in einen eigenen Staat verwandelt – und so eine Harmonisierung der EU-Länder durchsetzt, was das «Abstimmen mit den Füssen» innerhalb des von Brüssel aus regierten Gebietes irgendwann überflüssig macht.

Ihre Idee ist nicht ohne Reiz. Aber ich glaube, sie wäre nur in einer friedlichen Welt umsetzbar, in der es keine verfeindeten Staaten gibt. Wir wissen, dass unsere Welt friedlicher ist als auch schon. Aber sie ist noch lange nicht friedlich. 

Sie haben recht: Solange Menschen durch Grenzen am Aus- und Einwandern gehindert werden, Staaten sich also dagegen sträuben, ihre Einwohner ziehen zu lassen bzw. andere aufzunehmen, ist eine Welt aus Hotelstaaten eine Utopie. Wir müssen uns also fragen, inwieweit man Frieden überhaupt produzieren kann. Einer meiner Lieblingsschriftsteller ist Rudyard Kipling. In einem seiner Gedichte, «The Peace of Dives», schreibt er eine Allegorie auf diesen Frieden durch Handel. Dives ist der reiche Mann, an dessen Tür der biblische Lazarus stirbt. Und in Kiplings Gedicht ist Dives in der Hölle, wird aber von Gott auf die Erde zurückbefohlen, um den Menschen Frieden zu bringen. Das macht er. Und dann schickt Gott den Teufel, um Krieg zu säen – und um zu prüfen, ob Dives seinen Friedensjob gut gemacht hat. Der Teufel tut also wie befohlen, sät Zwietracht und Neid – aber nichts passiert, kein Krieg, nirgends. Das frustriert den Satan so sehr, dass er sich auf die Suche nach Dives macht, um herauszufinden, was er mit den Menschen angestellt hat. Und
Dives, der gerade auf einem Markt den Menschen Geld leiht, Waffen verkauft und alle möglichen anderen schrecklichen Dinge tut, sagt zu ihm [Friedman zitiert korrekt aus dem Kopf]:

So I make a jest of Wonder,

And a mock of Time and Space.

The roofless Seas an hostel,

And the Earth a market-place,

Where the anxious traders know

Each is surety for his foe,

And none may thrive without

His fellows’ grace.

 

Now this is all my subtlety

And this is all my wit,

God give thee good enlightenment,

My Master in the Pit.

But behold all Earth is laid

In the Peace which I have made,

And behold I wait on thee to trouble it!

 

Ich würde fast wetten, dass diese Zeilen vor 1914 geschrieben wurden.

Sie stammen aus dem Jahr 1903. Ja, wir mussten schmerzhaft lernen, dass es nicht der Handel allein ist, der zu Frieden führt. Aber wahr bleibt trotzdem: in einer Gesellschaft, die mit anderen Gesellschaften zusammenarbeitet, wo die Beziehungen, seien es Handels- oder Privatbeziehungen, über die Grenzen hinausgehen, wo Menschen sich über Grenzen hinweg bewegen – in einer solchen Gesellschaft ist Krieg weniger wahrscheinlich als zwischen abgeschotteten Gesellschaften. Viele Kriege in der jüngeren Geschichte wurden über Ozeane hinweg geführt. Warum? Weil sie anonym geführt werden konnten. Das ist zwischen miteinander verzahnten Nationen schwieriger denkbar, denn hier würden die Menschen auf ihre Bekannten schiessen…

Ihre Theorie in Ehren: als China die «Kulturrevolution» gegen das eigene Volk richtete – waren da die Interdependenzen nicht sehr hoch und es gab dennoch Krieg?

Hier würde ich antworten: Frieden ist nicht gut für alle Menschen. Er ist das höchste Gut der allermeisten, ja. Aber es gibt eine kleine Gruppe von Leuten, für die Frieden gar nicht gut ist, weil sie dann eigentlich nichts zu tun haben: die Herrschenden. Und diese sind es, die die alleinige Macht haben, Kriege überhaupt anzuzetteln. Kein Privatunternehmen kann die Kosten für eine Armee stemmen, nur Regierungen können das. Und genau hier liegt eine weithin unterschätzte Gefahr: Friedenszeiten sind, sofern sich die Regierenden nicht «kreativ» um Aufgaben bemühen, keine guten Zeiten für sie. In ruhigen Zeiten beschäftigt sich eine Regierung deshalb mit der Verwaltung des Friedens, was zu Reglementierungen führt, die die Bürger achselzuckend hinnehmen. Wir alle kennen das: Anti-Raucher-Gesetze, Anti-Diskriminierungs-Gesetze, höhere bürokratische Hürden für dies und jenes – natürlich stets für unser Wohlergehen.

Kurz und gut, Sie ziehen die Anarchie der Demokratie vor?

Klar. Und das sollte jeder vernünftige Mensch tun. Anarchie bedeutet ja nicht Chaos, sondern ein Zusammenleben von Menschen, die andere Menschen und ihr Eigentum achten.

Ich lasse das mal so stehen, um nicht eine weitere Büchse der Pandora zu öffnen. Aber eine Frage hätte ich: Wo liegen denn die Unterschiede zwischen Anarchokapitalisten wie Ihnen und einem linken Anarchisten?

Linke Anarchisten glauben, dass man Konflikte mit gutem Zureden und Nachsicht beilegen kann. Anarchokapitalisten glauben, dass man sie mit Handel beilegt. Für linke Anarchisten ist Eigentum der Grund allen Übels, für Anarchokapitalisten ist es das Fundament von allem – von Markt, friedlichem Zusammenleben und Wohlstand. Linke Anarchisten werfen den Anarchokapitalisten gern vor, dass sie zwar den Staat als Repressionsmaschine abschaffen wollen, andere Repressalien wie Hierarchien in Unternehmen etwa aber nicht antasten. Sie werfen den Anarchokapitalisten vor, inkonsequent zu sein. Ich würde antworten: Wenn Ihnen jemand einen Job anbietet, der mit einer Hierarchie verbunden ist, so können Sie ihn annehmen oder ablehnen. Wo ist das Problem?

Man wird Ihnen antworten, dass das Individuum gezwungen ist, arbeiten zu gehen – um zu überleben. 

Wenn es keinen Staat gibt, der unterhalten werden muss, besteht auch kein Zwang mehr, Geld zu verdienen für die Abgabe von Steuern und die Unterhaltung von Sozialsystemen, Strassenbau etc. Sie können also auch einen Bauernhof mit Gleichgesinnten betreiben, die sich auf eine Vermeidung von Hierarchien geeinigt haben, und vom Feld in den Mund leben, wenn Sie das möchten.

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David D. Friedman, photographiert von Michael Wiederstein.
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