Willkommen im Schlachthof!
Wer Kunden wie Mastvieh behandelt, hat irgendwann keine mehr – das gilt auch für das Private Banking in der Schweiz. Will sie nicht untergehen, muss die Branche ihre Tugenden wiederentdecken.
Jeder kennt folgende Erfahrung aus dem Gastgewerbe: In einem österreichischen Restaurant oder Hotel wird der Kunde wie ein König behandelt, in der Schweiz muss er nicht selten froh sein, wenn er überhaupt bedient wird – und das dann auch noch bezahlen kann. Was im Gastgewerbe gilt, gilt längst auch im hiesigen Banking: ein mangelndes Serviceverständnis ist seit Jahren offensichtlich. Schon Winston Churchill erinnerte seine Zuhörer mehr als einmal daran, dass mit der Grösse auch die Verantwortung steige. Die Schweizer Banken, ja der Finanzplatz als Ganzes, hat das nicht beherzigt und wird dafür nun eine Quittung erhalten. Wenn über die Zukunft der Branche gesprochen wird, so darf von einer einfachen, zentralen Frage, die über Erfolg und Scheitern auch in Zukunft entscheiden wird, nicht länger geschwiegen werden: Wie wird der Kunde (richtig) behandelt?
Die Kundenberater im Schweizer Private Banking können Ihnen diese Frage nicht mehr beantworten, und sie sind damit nicht allein: Früher organisierten alle Banken für ihre Kundenberater Verhaltensseminare, die ihnen die Basics aus Unternehmenspolitik und Kultur mit auf den Weg geben sollten, nicht selten entdeckten einige unter ihnen das eine oder andere eigene, bisher nicht ausgeprägte Interesse, bildeten sich gar selbst weiter. Heute wird in den Schulungszentren stattdessen vermittelt, wie den verbliebenen Kunden möglichst viele weitere «Produkte» angedreht werden können. Das ist, um ein Unwort zu gebrauchen, alles andere als nachhaltig – obschon es im geschlossenen Rahmen der erwähnten Seminare mitunter so klingen mag. Den Auszubildenden kann man keinen Vorwurf machen, eher den Ausbildern. Damit sich das ändert, braucht es ein Machtwort oder mindestens Guidance von ganz oben. Den Chefs sollte noch klar sein, dass das so nicht geht. Die Kunden, die einen direkten Draht zum CEO haben, werden schliesslich anders behandelt.
Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort finden wir im Spannungsfeld zwischen Führung und Compliance: Viele Banken werden heute von der Compliance geführt. Die dortigen Manager fällen aber kaum noch Entscheide, und wo doch, geht vielen das unternehmerische Denken ab. Das Heil wird deshalb nicht ganz zu Unrecht in neuen Technologien gesucht, die diese Aufgaben aufgrund neu verfügbarer Daten übernehmen – und die mitunter bessere Verhaltensmuster an den Tag legen als schlecht ausgebildete, unmotivierte Mitarbeiter. Aber: Sozialkompetenz können Sie nicht durch Maschinen ersetzen. Wer die Schwächen des Standortes Schweiz anpacken will, muss in die Qualifikation der Mitarbeiter investieren – und zwar schwerpunktmässig in vier Bereichen.
1. Diskretion
Vor dem Hintergrund fallender Margen geht es vielen Banken in erster Linie darum, möglichst viele Assets an Bord zu holen – und das Maximum aus den bestehenden Kunden herauszuholen. Das kann nicht gutgehen.
Wer heute in einer Schweizer Schalterhalle wartet, weiss, was ich meine: man kann die vielen Gespräche zwischen den Kundenberatern – früher sprach man etwas treffender von Schalterbeamten – und ihren Kunden kaum überhören, ob man will oder nicht. Letztere werden nicht selten wie Vieh am Eingang des Schlachthofs behandelt: Der Eingang ist für alle gleich, und am Ende wird alles, was sie hergeben, irgendwie verwurstet. Die Offenheit und Lautstärke, mit der über den Zugang zum Schliessfach, Überweisungen oder Investments gesprochen wird, ist – gelinde gesagt – störend. Der Mangel an Diskretion grenzt mitunter an Rücksichtslosigkeit. Dass die Schalterhallen so schön und elegant sind wie noch nie, ändert nichts an diesem Manko, sondern verstärkt den Eindruck noch: Schon der Ton, den gewisse Bankangestellte ihren Kunden gegenüber anschlagen, zeugt von einem Mangel an Respekt. Im Bestreben, bloss nichts falsch zu machen und die internen und externen Dokumentationsanforderungen bis ins letzte Detail zu erfüllen, wollen die «Berater» augenblicklich alles vom Kunden wissen – und haben auch keine Hemmungen, ihm zu unterstellen, in seinen finanziellen Angelegenheiten habe es wohl «gewisse Ungereimtheiten» oder mindestens «Unklarheiten». Häufig bleibt dem Kunden gar nichts anderes übrig, als mit ähnlich grobem Geschoss zurückzuschiessen, indem er etwa droht, die Konkurrenz spielen zu lassen, also das Institut zu wechseln. Oder er zieht von vornherein konsequent den Schleier der Intransparenz.
Was also ist zu tun? Zuerst muss die Diskretion wiederhergestellt werden. Der Kunde hat ein Anrecht darauf, dass der Kundenberater ein hohes Mass an Respekt vor seiner Privatsphäre hat und zeigt. Und er darf erwarten, dass alle Bankmitarbeiter davon ausgehen, dass die von den Kunden gemachten Angaben stimmen und die Kunden nicht noch für alles und jedes eine externe Bescheinigung beschaffen müssen. Es kann nicht sein, dass ein Kunde für einen Wohnsitzwechsel in der Schweiz eine Beglaubigung beibringen muss oder seine Angaben in Steuersachen vom heimatlichen Steueramt bescheinigen lassen muss! Der Kunde bezeugt ja mit seiner Unterschrift, dass alles rechtens ist. Verfügt der Berater über die notwendigen Fach- und Ortskenntnisse, sollte sich alles Weitere eigentlich von selbst ergeben.
2. Leistung
Frühere Generationen haben den weltweiten Ruf des Finanzplatzes Schweiz nicht umsonst über die hohe Servicequalität begründet. Sie muss hochgehalten werden, und zwar auch aus kommerziellen Überlegungen, denn eine hohe Servicequalität war der Performance schon immer förderlich: Wenn der Kunde von «seiner» Bank als Partner gesehen und behandelt wird, dann ergibt sich auch umgekehrt eine produktive Beziehung. Dazu gehört selbstverständlich, dass Vermögensverwalter wissen müssen, wie sie auch mit grossen Vermögen umzugehen haben, denn letztere sind mehr als eine reine Anhäufung von Geld: Sie erfordern ein hohes Mass an Fachwissen, aber auch Respekt vor Besitzer und Besitz. Zeigen sich dem Kunden dann fachliche Qualifikation mit etwas Fingerspitzengefühl – statt Halbwissen mit Hemdsärmeligkeit –, so führt das in der Regel zu einer Vertrauensbasis, die der Anker für langfristige Kundenbeziehungen ist.
3. Vertrauen
Vertrauen ist also die Voraussetzung dafür, dass der Kunde gewillt ist, dem Kundenberater Einsicht in seine umfassende private Situation – «The big picture» – zu gewähren. Nur das Verständnis der gesamten Situation erlaubt es daraufhin, die richtige Anlagestrategie oder gar weitere Family-Office-Dienstleistungen anzubieten und auch umzusetzen. Die Neutralität, aber auch die Produkt- und Partnerfreiheit sowie die Möglichkeit, als «One-Point-of-Contact» gegenüber dem Kunden zu agieren, um Zugang zu seinen individuellen wie auch konsolidierten Portfolios bei verschiedenen Banken zu erhalten – all das schliesst den Mehrwert der unabhängigen Vermögensverwalter ab.
Eine wie auch immer geartete «Standardisierung der Kundenbeziehungen», wie sie momentan in vielen Bankhäusern angestrebt oder bereits praktiziert wird, torpediert hingegen alles, was zukunftsträchtig ist: dauernde Kundenberaterwechsel, überpräsente Compliance Officer oder an 24-Stunden-Hotlines vor sich hin schwitzende Studenten mit Faible für das langsame Erklären des Onlinebankings sorgen einfach nicht für das Wohlbefinden gutbetuchter Kunden.
4. Digitalisierung
Die Digitalisierung ist zwar nicht die Lösung für die Schweizer Finanzmalaise, aber sie kann Hilfe bieten, denn gewisse Auswirkungen der Globalisierung, etwa die mit den globalen Verflechtungen steigenden Regulierungsanforderungen und wachsenden Komplexitäten der Kundenanfragen, können durch den Einsatz von sinnvollen Softwarelösungen durchaus vereinfacht werden. Sie bieten regulative Unterstützung beim Client Onboarding, vereinfachen Suitability- und Appropriatness-Checks bei der Auswahl der passenden Finanzinstrumente. Sie ermöglichen eine bessere Überwachung und ein einfacheres Controlling der Portfoliopositionen gegenüber Marktbewegungen und gewähren auch effizienteren und konstanteren Zugang zu globalem Fachwissen oder Marktdaten. Die Digitalisierung vereinfacht und verbessert nicht zuletzt auch die Kommunikation mit Kunden bis hin zu transparentem Zugang zu individuellen und konsolidierten Portfolios.
Aber: am Ende können all diese digitalen Helferlein und die mit ihnen einhergehenden Effizienzsteigerungen nie und nimmer eine kompetente Person in der Kundenbetreuung ersetzen, sondern letztere bloss entlang des Beratungsprozesses unterstützen. Der Aufbau einer menschlichen, teils auch emotionalen Beziehung zum Kunden, dazu gehört übrigens im digitalen Zeitalter auch bedingungsloser Datenschutz, ist und bleibt die Voraussetzung für die vollumfängliche und nachhaltige Betreuung.
Überleben: jenseits des Schlachthofs
Die Banken haben sich in den letzten Jahren meilenweit vom Ideal entfernt. Die zunehmende Regulierungsdichte hat diesen unerfreulichen Prozess sicher beschleunigt, das ist aber entgegen der Meinung vieler Branchenvertreter kein Freipass zum immer lauteren Jammern. Es gilt stattdessen, Werten wie Respekt, Diskretion und Vertrauen wieder mehr Bedeutung zu geben. Neben dem Stil will auch das Wissen in der Vermögensverwaltung, unter Zuhilfenahme digitaler Werkzeuge, gepflegt sein. Diejenigen Finanzinstitute, die ein unternehmerisches Rückgrat haben, von den Entscheidungsträgern bis zu den Beratern, sind auch diejenigen, die sich im entscheidenden Moment gegen den aktuell dominierenden Einheitsbrei bei den gehobenen Finanzdienstleistungen durchsetzen werden. Das wissen und würdigen übrigens nicht zuletzt: die Kunden.
Thomas Fedier
ist Präsident des Verwaltungsrates von VT Wealth Management, einer unabhängigen Vermögensverwaltung in Zürich.