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Wilhelm Röpke – Freiheit in Vielfalt

Im Herbst 1945, als Europa noch in den Trümmern des 2. Weltkriegs lag, trafen sich zwei der grossen liberalen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Wilhelm Röpke und Friedrich August von Hayek in Zürich. Beide hatten sich über ihre professorale Tätigkeit hinaus den Status einflussreicher politischer Publizisten und erfolgreicher Autoren erworben. Röpkes 1942 erschienene «Gesellschaftskrisis der Gegenwart» […]

Im Herbst 1945, als Europa noch in den Trümmern des 2. Weltkriegs lag, trafen sich zwei der grossen liberalen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Wilhelm Röpke und Friedrich August von Hayek in Zürich. Beide hatten sich über ihre professorale Tätigkeit hinaus den Status einflussreicher politischer Publizisten und erfolgreicher Autoren erworben. Röpkes 1942 erschienene «Gesellschaftskrisis der Gegenwart» war in der Schweiz zum Verkaufsschlager avanciert und strahlte nach ganz Europa aus. Hayeks 1944 publizierte Schrift «The Road to Serfdom» war binnen kurzer Zeit zu einem vielbeachteten liberalen Manifest gegen Protek­tionismus, Kollektivismus und Totalitarismus geworden.

1945 trug sich Röpke mit dem Gedanken, eine internationale, dreisprachige Monats­zeitschrift mit liberal-humanistischer Ausrichtung ins Leben zu rufen. Hayek wiederum plante die Gründung einer internationalen Gesellschaft führender Liberaler, in Anknüpfung an jenes Pariser «Colloque Walter Lippmann» von 1938, das zur eigentlichen Geburtsstunde des Neoliberalismus geworden war. Der rührige Zürcher Geschäftsmann Albert Hunold führte Hayek und Röpke mit einer Anzahl liberal gesinnter Schweizer Persönlichkeiten zusammen. Bei diesem Treffen im Hause Hunolds wurde der finanzielle Grundstein zur «Mont Pèlerin Society» gelegt. Deren konstituierende Versammlung fand über die Ostertage des Jahres 1947 auf dem Mont Pèlerin in der Nähe Veveys statt und bot dem neu aufkeimenden Liberalismus und der heterogenen Schar seiner Verfechter eine wichtige Grundlage der persönlichen Begegnung und des intellektuellen Aus­tausches.

Unter dem Eindruck der totalitären Herrschaftssysteme und zweier Weltkriege mit ihren Zerstörungen suchte der Neoliberalismus nach Mitteln und Wegen, den Kerngehalt des historischen Liberalismus – wie die Freiheit von Person und Eigentum, die freie Preisbildung und den Freihandel – geistig und ökonomisch neu zu fundieren. Im deutsch­sprachigen Raum leistete Wilhelm Röpke dazu einen massgeblichen Beitrag. Röpke war der wohl meistgelesene Ökonom und Kulturphilosoph der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Seine hauptsächlich in Genf verfassten und in Zürich verlegten Bücher prägten eine ganze Lesergeneration und finden sich noch heute in zahlreichen Antiquariaten und Hausbibliotheken. Das wissenschaftliche und publizistische Lebenswerk ist beeindruckend; es umfasst dreizehn mehrfach aufgelegte und in verschiedene Sprachen übersetzte Bücher, rund 800 Artikel sowie eine Fülle von Vorlesungen, Referaten, und politischen Gutachten zu Handen der Adenauer-Regierung.

Ungeachtet seiner politischen und publizistischen Ausstrahlung, und namhaften Ehrungen zum Trotz, ist Röpke die Anerkennung als grossem Freiheitsdenker bislang versagt geblieben. Stets stand er im Schatten anderer herausragender, liberaler Ökonomen, wie Ludwig von Mises’ oder Friedrich August von Hayeks. Eine wissenschaftliche Edition seiner Werke fehlt bis heute ebenso wie eine umfangreiche Sekundärliteratur oder eine Röpke-Gesellschaft zur Pflege und Verbreitung seines Gedankengutes. «Gegen die Brandung», so lautete Röpkes politisches Credo, und man darf zumindest hoffen, dass sein Kampf gegen den Kollektivismus in Europa neu entdeckt und weitergeführt werde. Erst kürzlich ist die erste, deutsch­sprachige Biographie erschienen.* Der Autor, Hans Jörg Hennecke, zeichnet ein facettenreiches Bild des grossen Ökonomen und Kulturphilosophen. Der gewandte Schreibstil macht die Lektüre angenehm und kurzweilig. Dem Leser wird eine sorgfältige Analyse von Röpkes Denken und Wirken geboten, auch wenn die innere Zustimmung Henneckes zu seinem Protagonisten nicht zu übersehen ist. Die ideen- und ökonomiegeschichtliche Einordnung Röpkes bleibt vielleicht zu stark im Hintergrund; auch wünschte sich der Leser zuweilen, vermehrt Einblicke in den Menschen Röpke, seine Familie und seinen Freundeskreis zu bekommen.

Rund die Hälfte seines Lebens verbrachte der 1899 in Deutschland geborene Röpke in Genf, wo er als National­ökonom lehrte und sich als politischer Publizist und Berater betätigte. Auch Zürich spielte in seinem Leben eine wichtige Rolle. Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1966 schrieb Röpke über drei Jahrzehnte regelmässig für die Neue Zürcher Zeitung und pflegte freundschaftliche Kontakte zu deren Redaktoren, allen voran zu Chefredaktor Willy Bretscher, der namentlich von der «Gesellschaftskrisis der Gegenwart» begeistert war. Der Wirtschaftsredaktor Carlo Mötteli bezeichnete Röpkes Buch als wesentlichen Beitrag zur «Geistigen Landes­verteidigung» gegen das Hitler-Regime. Als engagierter Publizist war Röpke auch den Schweizer Monatsheften verbunden und schrieb darin eine Reihe von Artikeln mit aussagekräftigen Titeln wie «Eigentum als Säule einer freien Gesellschaft», «Der Nationalkollektivismus in Europa» oder «Langeweile als Sozialphänomen».

Röpke kultivierte nicht eine betont wissenschaftliche Methode, sondern praktizierte einen essayistisch-bekennenden Wissenschaftsstil. Als Kulturphilosoph verstand er sich in der Rolle eines Arztes und versah seine sprachlich hochstehenden, immer gut lesbaren Texte mit einer Vielzahl von Termini aus Medizin und Psychiatrie. Den «Dritten Weg» als Weg der Mitte, der Vernunft und des Masses zwischen den Extremen des «Laissez-faire-Liberalismus» und des Kollektivismus legte Röpke allen seinen Büchern zu Grunde, auch wenn er sich vom vieldeutigen Begriff alsbald wieder trennte. Die Soziologie der Marktwirtschaft als eines zivilisierten Austausches, der über das Materielle hinausgeht, lehnte Röpke ab. Eine Selbststeuerung der Marktwirtschaft hielt er vor dem Erfahrungshintergrund des preussisch-deutschen Weges in die Katastrophe für einen gefährlichen Glauben. Sich selber überlassen, steuere der Markt in eine von Kartellen und Monopolen beherrschte, industrielle Massen­gesellschaft, eine entseelte Konsumgesellschaft, die letztlich dem Kollektivismus und Totalitarismus entkräftet anheimfalle. Im National­sozialismus ebenso wie im Kommunismus sah Röpke einen Aufstand der Massen, Entartungen einer obrigkeitsstaatlich verformten, zentralistisch geführten und proletari­sierten Gesellschaft, gleichsam virale Infektionen aufgrund eines geschwächten soziokulturellen Immunsystems. Zur Schwächung beigetragen habe der historische Sündenfall des Liberalismus, seine soziologische Blindheit gegenüber allen aussermarktlichen Bedingungen, von denen eine freie Marktwirtschaft langfristig zehre. «Markt, Wettbewerb und das Spiel von Angebot und Nachfrage erzeugen diese Reserven nicht, sondern verbrauchen sie und müssen sie von den Bereichen jenseits des Marktes beziehen. Auch kein Lehrbuch der Nationalökonomie kann sie ersetzen».** Der freie Markt sei eine höchst fragile, zivilisatorische Errungenschaft; als solche setze sie eine feste moralisch-sittliche und rechtlich-institutionelle Rahmenordnung voraus. Dazu zählte Röpke, in Anlehnung an Tocqueville, auch eine natürliche, die öffentliche Meinung vorbildhaft prägende, gesellschaftliche Elite.

Die Unterscheidung zweier Typen moralischer Regeln, wie Hayek sie definierte, war Röpke fremd. Er unterschied nicht zwischen der Moral der Kleingruppe und derjenigen der Grossgesellschaft, zumal sein Staats- und Gesellschaftsmodell auf kleinen Lebenskreisen beruhte und auf dem Prinzip der Subsidiarität aufbaute. Während Hayek den evolutionistischen, nicht planbaren Prozess der Gesellschaftsbildung betonte, legte Röpke das Gewicht auf die Revision des schon immer Dagewesenen, nämlich auf eine politisch-soziale Bauform des Masses und der Mitte, wie sie in der Mesoteslehre des Aristoteles zum Ausdruck kommt. Die Aufgabe der Politik bestehe darin, Wirtschaft und Gesellschaft durch Setzen von Rahmenbedingungen allmählich in diese Richtung zu lenken.

Einer ökonomischen Schule lässt Röpke sich kaum zuordnen. Von den kontinentalen, eher protestantisch orientierten deutschen Ordo-Liberalen um Walter Eucken hob er sich durch seinen ausgesprochenen, der katholischen Soziallehre nahestehenden, politisch dezentralen Ansatz und durch sein Eintreten für eine kleinräumige, bäuerlich-gewerbliche Mittelstandsgesellschaft ab. Von der öster­reichischen Schule der Nationalökonomie unterschied sich Röpke, vom deutschen Historismus nicht ganz unberührt, durch die Befürwortung staatlicher, sogenannt marktkonformer Eingriffe in Gesellschaft und Wirtschaft. Röpke ging gar so weit, dass ein gesundes Wirtschaftsleben «sehr wohl ohne Holdinggesellschaften, rechtlich geschützte Monopolverhältnisse, wettbewerbshindernde Patente, ja sogar schlimmstenfalls ohne Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung» vorstellbar sei. Auch Röpkes konservative Kritik der modernen Massenge­sellschaft und ihrer oberflächlichen Vergnügungen, wie beispielsweise Mickey-Mouse-Filme, die er als «frivolen Lustmord am guten Geschmack» bezeichnete, erregten bei den Vertretern der österreichischen Schule Missfallen.

In erster Linie war Röpke ein Skeptiker der Macht. «Der Liberale», so schrieb er, «misstraut jeder Machtanhäufung, weil er weiss, dass jede Macht, die nicht durch eine Gegenmacht in Schranken gehalten wird, früher oder später missbraucht wird. Um die Freiheit des Menschen zu retten, sieht er nur ein einziges wirksames Mittel: die Zerstreuung der Macht und die Schaffung von Gegengewichten.» Es war Röpkes tiefe Überzeugung, dass Macht als solche zu entgiften sei durch eine Politik der echten und nicht bloss der administrativen Dezentralisierung, durch die Schaffung einer Gesellschaft und Wirtschaft der kleinen, selbständigen Einheiten, der sozialen und kulturellen Nischen und der lebendigen Vielfalt. Obschon Röpke entschieden für dezentrale (oder modern gesprochen: non-zentrale) Strukturen plädierte, wollte er auf einen unabhängigen und starken Staat im Zentrum nicht verzichten. Die kommunale, bürgerlich-republikanische und genossenschaftlich-demokratische Selbstverwaltungstradition und Gemeinschaftsethik, wie Röpke sie in der Schweiz noch vorfand und in seinen Büchern auch lobpries, war ihm innerlich doch zu unvertraut, um als gesellschaftliches Ordnungsprinzip und wirksame Schranke gegen einen wachsenden Staatsapparat postuliert zu werden.

Im christlichen Humanismus verwurzelt, war Röpke kein Mann der Theorie, sondern der Tat und des klaren Wortes. Als junger Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Universität Marburg scheute er sich nicht, öffentlich vor der drohenden Apokalypse des Nationalsozialismus zu warnen. Sein Aufruf an die Bauern Niedersachsens von 1930 endete mit den mutigen Worten: «Wählen Sie, aber wählen Sie so, dass Sie sich nicht mitschuldig fühlen können an dem Unheil, das möglicherweise über uns hereinbricht. Mitschuldig werden Sie, wenn Sie nationalsozialistisch oder auch eine Partei wählen, die keine Bedenken hat, mit den Nationalsozialisten eine Regierung zu bilden.» Auf Grund dieses Flugblatts und weiterer Äusserungen gegen das nationalsozialistische Regime wurde Röpke im Jahr 1933 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Im gleichen Jahr emigrierte er gemeinsam mit seiner Frau Eva und den drei Kindern als pensionierter Professor mit einem noch bis 1939 ausbezahlten Ruhegehalt nach Istanbul. Die dortige Universität wurde auf Betreiben von Kemal Atatürk und mit Hilfe des Genfer Pädagogen Albert Malche säkularisiert, nachdem die Türkei bereits in den 1920er Jahren das Schweizerische Zivilgesetzbuch rezipiert hatte. Die Vermittlung Röpkes an die Universität Istanbul verlief über eine in Zürich domizilierte «Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland». Nach vierjähriger Lehrtätigkeit in der Türkei, mit deren Kultur und Sprache er sich nicht anzufreunden vermochte, zog Röpke 1937 mit seiner Familie nach Genf. Bis zu seinem Tod lehrte er am dortigen, mit schweizerischen und amerikanischen Geldern finanzierten «Institut universitaire de hautes études internationales» als Professor für Internationale Wirtschaftsfragen.

Der Schweiz fühlte sich Röpke eng verbunden, auch wenn ihm die «ruppige» Behandlung durch die schweizerische Fremdenpolizei missfiel. Erst 1942, als die Schweiz vollständig vom Nationalsozialismus und Faschismus eingekreist war, erhielt Röpke eine einjährige Aufenthaltsbewilligung. Seine Gesuche um Einbürgerung in den Kantonen Genf und Graubünden blieben allerdings hängig. In der Schweiz sah Röpke sein gesellschaftliches Ideal einer kleinräumigen, dörflichen und kleinstädtischen Lebenswelt mit einer schmalen, sozial integrierten und weltweit vernetzen Schicht von Kaufleuten, Industriellen und Akademikern verwirklicht. Im ländlichen Schwarmstedt, am Rand der Lüneburger Heide, als Spross einer Arztfamilie aufgewachsen, erfuhr Röpke in seiner Jugend das dörfliche Treiben und das Leben in und mit der Natur lebhaft und glückhaft, aber stets aus einer gewissen bildungsbürgerlichen Distanz. Diese reflektierte Haltung zum dörflichen Leben zeitigte ihre Wirkung auf den späteren Röpke. Sein emphatisches Eintreten für bäuerlich-gewerbliche Produktion, für Selbstgenügsamkeit und ein stabiles soziales Gefüge in einer intakten Landschaft kontrastierte stets mit seinem ausgesprochen weltmännischen Lebensstil, seiner Reiselust, seiner Mehr­sprachigkeit, seiner Vorliebe für schnelle FIAT-Automobile und der Tatsache, dass seine Töchter ins Genfer Grossbürgertum einheirateten.

In Genf verfasste Röpke seine Hauptwerke mit programmatischen Titeln wie «Gesellschaftskrisis der Gegenwart», «Mass und Mitte» oder «Jenseits von Angebot und Nachfrage». In diesen schrieb er gegen den roten und den braunen Totalitarismus an, gegen die moderne Massen­gesellschaft sowie gegen den umver­teilenden und zentralisierenden Wohlfahrtsstaat der Nachkriegsjahrzehnte. Während Röpke die deutsche Wirtschaftspolitik seines engen Freundes Ludwig Erhard insgesamt begrüsste und auch mit schriftlichen Gutachten begleitete, sah er in der Innenpolitik Adenauers zunehmend die Wiederbeschreitung des deutschen Irrwegs in den Kollektivismus und bekämpfte deshalb die umlagefinanzierte Rentenversicherung als staatliche Behinderung privater Kapitalbildung. Die institutionelle Weiterentwicklung der europäischen Einigung zur «Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft» beobachtete Röpke mit wachsender Sorge und erinnerte an das geistige Erbe Europas als einer Kultureinheit, die es durch einen gemeinsamen Markt ohne Protektionismus und mit strenger monetärer Disziplin zu festigen gelte. Ein Abschieben von wohlstands- und inflationsbedingten Problemen der Einzelstaaten auf die höhere, europäische Ebene könne nur dazu führen, dass sich diese Probleme später umso ungehemmter auswirken würden.

Am Ende seines Lebens scheiterte Röpke an der grundlegenden Frage, wie eine dezen­tralisierte Eigentümergesellschaft sich mit hochgradiger Arbeitsteilung, technischem Fort­schritt und Wett­bewerb vereinbaren lasse. Diese Frage spaltete anfangs der 1960er Jahre auch die Mont Pèlerin Society in zwei Lager, für die protagonistisch Wilhelm Röpke als Vertreter einer auf Deutschland bezogenen, konservativ- und ordo-liberalen Richtung, und Friedrich August von Hayek als Vertreter des angelsächsisch orientierten, klassischen Liberalismus standen. Obschon Hayek sich in erster Linie gegen den machtbewussten Sekretär der Gesellschaft, Albert Hunold, richtete, ging es letztlich um einen inhaltlichen Richtungsstreit zwischen den, wie Röpke schrieb, «Palaio- und Neo-Liberalen». Hayek gewann schliesslich mit Unterstützung von Bruno Leoni und Milton Friedman die Oberhand. Durch diese persönlichen Querelen aufgerieben und gesundheitlich geschwächt, legte Röpke 1961 seine Präsidentschaft der Mont Pèlerin Society nieder und verband dies mit seinem Austritt aus der Gesellschaft. Mit Röpkes Weggang verlor die auf Deutschland bezogene ordo-liberale Richtung innerhalb der Mont Pèlerin Society erheblich an Einfluss.

Vieles, was Röpke in seiner streitbaren Art geschrieben und vorgetragen hat, war zeitgebunden und trug bisweilen sozialromantische Züge, wie die moralisch-sittliche Überhöhung von Bauerntum und Kleingewerbe. Röpkes Programm des «Dritten Weges» war eine Verbindung von klassisch-liberalen Ideen mit Elementen altkonservativer, anarchistischer und genossenschaftlicher Kapitalismus- und Kulturkritik. Diese Mischung fand vor allem in der ländlich-kleinstädtisch verfassten Schweiz lebhafte Aufnahme und strahlte von dort nach ganz Europa aus, galt jedoch im internationalen Rahmen vielen als rückständig und inkonsequent. Zeitlos hingegen bleibt Röpke in seiner Funktion als Mahner und Kritiker jeglicher Form überzogener Zentralisierung, Bürokratisierung und Monopolisierung, die eine freie Gesellschaft und Wirtschaft letztlich ersticken und in Tyrannei und wirtschaftlichen Abstieg führen müssten. In den schweren Jahren nach dem Krieg bot Röpke geistigen Halt und Orientierung. Mit seiner wortgewaltigen Sprache stärkte er den Glauben an die Freiheit und den Mut zum politischen und wirtschaftlichen Neubeginn. Zeitlos bleibt auch seine Kritik am Kult des Kolossalen und der Zahlen, an der Verflechtung von staatlicher und unternehmerischer Macht sowie an Gross­unternehmen, deren externe Kosten, wie extensiver Ressourcenverbrauch, Landschaftszerstörung und das Hervorbringen einer konformen Angestelltengesellschaft, zu wenig berücksichtigt würden. Schliesslich überdauert seine Feststellung, dass Wachstum kein ausreichendes Kriterium für Wohlstand sei, dass dieser ebenso an wirtschaftlicher Selbständigkeit zu messen sei, an seelischer Zufriedenheit und einem ökologischen Gleichgewicht. Röpke nannte sich gerne einen Dezentralisten und einen europäischen Patrioten, solange der Kern der europäischen Idee, nämlich die Freiheit in der Vielfalt, gewahrt bleibe.

* Hans Jörg Hennecke, «Wilhelm Röpke. Ein Leben in der Brandung». Zürich: NZZ Verlag, 2005.

** Alle Röpke-Zitate stammen aus: «Das Mass des Menschlichen. Ein Wilhelm-Röpke-Brevier», hrsg. von Gerd Habermann. Thun: Ott-Verlag, 1999.

Bernhard Ruetz, geboren 1968, promovierte in Geschichte und ist Leiter Strategie und Planung am Liberalen Institut in Zürich.

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