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Wie nachhaltig sind Zukunftsängste?

Offene Fragen zum Erfolg grüner Parteien

Eine seltsam zwiespältige Stimmungslage hat sich der Schweiz bemächtigt. Auf der einen Seite wächst endlich wieder die Wirtschaft, reduziert sich – allerdings nicht im gleichen Ausmass – die Arbeitslosigkeit und zeugen die Detailhandelsumsätze von einer spürbar verbesserten Konsumentenstimmung. Auf der andern Seite herrschen in der Politik Stillstand und Blockaden, und es macht sich in den wirtschaftsnahen Parteien ein eigentlicher Katzenjammer breit. Im Urteil der Experten des Lausanner Management-Instituts IMD, das jährlich eine Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit herausgibt, ist die Schweiz zwar nach wie vor in der Spitzengruppe anzutreffen, weil ihre Exportwirtschaft die Chancen in den aufstrebenden Märkten nutze, doch leide sie unter Überregulierung, hohen Preisen, Intransparenz und wachsenden Zukunftsängsten. Letzteres lässt aufhorchen. Der psychologische Befund weist darauf hin, wie Stimmungen und Einstellungen Entwicklungen positiv oder negativ prägen können. Zumal in einer direkten Demokratie, wo die in der öffentlichen Meinung besonders gesteigerten pessimistischen und oft geradezu selbstquälerischen Tendenzen politische Entscheidungen unmittelbar beeinflussen. Längerfristig unausweichliche Reformschritte werden zunächst verketzert, dann aufgeschoben, verwässert oder schlicht abgelehnt – Politiker können ja für Unterlassungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn diese später zu Schäden oder Verlusten führen.

Die Zukunftsängste haben die politische Landschaft in den letzten Jahren so stark umgepflügt wie zuvor schon lange nicht mehr, und die parteipolitische Stabilität droht weiter zu erodieren. Zuerst gab es einen Bruch im sogenannten bürgerlichen Lager, in dem die SVP eine prononciert rechte Bastion auf- und ausbaute und die bürgerliche Konkurrenz in eine vage Mitte trieb. In einer zweiten Welle profitierte davon die linke Koalition von SP und Grünen, die vor allem in städtischen Parlamenten und Exekutiven spektakuläre Erfolge erzielte und zudem in manchen Kantonen die Führung übernahm. Auffallend dabei ist das überdurchschnittliche Wachstum der Grünen Partei, die zwar eine interne Spaltung zu verdauen hatte, aber als Partner der Sozialdemokratie zunehmend auch in Regierungen Einsitz nahm. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Zunächst ist der Linkstrend längst nicht mehr Ausdruck eines progressiven, sondern eines reaktionären Verhaltensmusters, was oft zu «unheiligen Allianzen» mit rechtskonservativen Abschottungsjüngern führt. Die in Zeiten sozialstaatlicher Konjunktur ausgebauten und offensichtlich auf längere Frist nicht mehr ausreichend finanzierbaren Ansprüche werden mit Klauen und Zähnen verteidigt. Wenn die Sozialversicherungen in finanzielle Schieflage geraten, werden Steuermittel und der einmalige Goldertrag der Nationalbank zum Löcherstopfen verwendet. Wenn die Ungleichgewichte zwischen Zentren und Peripherien wachsen, werden mit der Subventionsgiesskanne Symptome weichgespült, um Diskussionen über marode Strukturen zu vermeiden. Wenn – oft auf äusseren Druck – zögernd Liberalisierungsschritte erfolgen, werden sie sogleich durch neue Regulierungen flankiert. Dies alles lässt sich mit dem multifunktionalen Zauberwort «Service public» populistisch verbrämen und erfolgreich verkaufen. Die Grünen, die ihren Ursprung in der Umweltpolitik haben und hier mit guten Gründen das Gebot der Nachhaltigkeit verfechten, interessieren sich jedoch kaum für soziale und finanzielle Nachhaltigkeit. Ansätze dazu finden sich lediglich bei den Grünliberalen, die sich getraut haben, die politisch einträgliche rot-grüne Harmonie in Frage zu stellen.

Dies mag paradoxerweise mit ein Grund dafür sein, dass die Grünen ein ideologisch weniger fixiertes Image haben als die Sozialdemokraten. Sie geniessen einen idealistischen Bonus bis weit in an sich bürgerliche Kreise hinein, nicht nur weil die Umweltthematik nie ein linkes Reservat war, sondern weil Nachhaltigkeit auch für konsequente Liberale eine rigorose Messlatte für überbordende politische Begehrlichkeiten darstellt. Hinzu kommt, dass die Verschleisserscheinungen der etablierten «Grossen Koalition» nach Schweizer Art immer deutlicher Vertrauensdefizite produzieren, was den nicht daran teilhabenden Parteien Auftrieb verschafft. Je mehr die Grünen nun selbst an die Fleischtöpfe der Macht drängen, desto verbindlicher werden sie ihre politischen Positionen definieren und deren Umsetzung verantworten müssen. Wenn Grün eine eigenständige Farbe bleiben soll, muss sie auch gegen Rot schärfer abgegrenzt werden. Und Zukunftsängste sollen auch für die Grünen nicht nur bequem ausbeutbare Stimmungen sein, sondern Ansporn, tragbare Lösungen dafür zu finden, wie eine auf Dauerhaftigkeit angelegte Rahmenordnung für eine vitale Schweiz gestaltet werden kann.

ULRICH PFISTER, geboren 1941, ist Publizist in Zürich.

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