Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Wie mich das Krafttraining zum konservativen Linksliberalen formte

Sport prägt unser politisches Denken weit stärker, als es auf den ersten Blick scheint. Und er kann uns helfen, andere Perspektiven zu verstehen.

Wie mich das Krafttraining zum konservativen Linksliberalen formte
Ein Mann greift zu den Kurzhanteln, um seinen Körper zu stählen, Bild: Unsplash.

Wie wir mit unseren Körpern umgehen, hat immer auch eine politische Dimension. Gemeint sind dabei nicht die biologischen Metaphern, mit denen die westliche Moderne ganze Völker zu «Körpern» erklärte. Vielmehr machen wir mit unseren Körpern unablässig Erfahrungen, die mal bewusst, mal unbewusst unser politisches Handeln prägen. Wer etwa gesund und stark auf die Welt kommt, kann versucht sein, Probleme im Alleingang mit schierer Kraft zu lösen. Wer hingegen fragil ist, lernt die Vorzüge einer verlässlichen, fürsorglichen Umgebung zu schätzen. Ich selbst habe durch Sport und Training körperliche Erfahrungen gemacht, die sowohl meine liberalen und konservativen als auch meine linken Ansichten gestärkt haben.

Ich wurde nicht mit einem Körper geboren, der von Beginn an stark, belastbar und fit war. Im Gegenteil: Als Kind und Teenager machte mir mein Körper oft zu schaffen. Während andere beim Basketball einfach drauflosspielen und scheinbar mühelos alles geben konnten, bekam ich Knieprobleme, musste pausieren, mich zurücknehmen. Auch der Rücken streikte schon früh. Dass Knie und Rücken heute in guter Form sind, habe ich dem Krafttraining zu verdanken. Meine nur widerspenstig wachsende Muskulatur musste ich in langjähriger harter Arbeit aufbauen. Eine solche Arbeit kann einem niemand abnehmen. Eine Hantel, die man nicht selbst hebt, ist keine Hantel. Für mich waren das Lehrstunden in Liberalismus, noch bevor ich mit dem Begriff vertraut war. Krafttraining lehrte mich, dass man sich selbst transformieren kann, dass sich harte Arbeit lohnt – und dass um Eigeninitiative und Eigenverantwortung kein Weg herumführt.

Niemand darf wegen schlechterer Startbedingungen zurückfallen

Gleichzeitig erteilten mir das Krafttraining, aber auch Individualsport und Teamsport Lektionen, die meine linken Neigungen verstärkten. In Teams ist man stets auf andere angewiesen. Alleine hat man keine Chance. Man lernt, wie wichtig Gemeinschaft ist. Nicht der individuelle Profit, sondern das Gemeinwohl steht im Zentrum. Und ohne gute Infrastruktur, die Einzelne oder kleine Gruppen selbst nicht erschaffen können, fallen viele Sportarten weg. Beim Krafttraining wiederum stellte ich fest, dass unterschiedliche Körperregionen unterschiedlich viel Zuwendung erfordern. In die Waden etwa musste ich viel mehr Arbeit investieren als in den Bizeps, um sie auf ein ordentliches Niveau zu bringen. Das ist vergleichbar mit «Affirmative Action» (positiver Diskriminierung) in der Politik. Weil wir als Menschen alle unterschiedlich sind, benötigen die einen mehr Aufmerksamkeit, mehr Ressourcen als die anderen. Deshalb braucht es neben liberaler auch linke Politik – Politik, die durch gezielte Förderung dafür sorgt, dass Menschen mit schlechteren Startbedingungen nicht zurückbleiben. Nur in einer völlig homogenen Gesellschaft bräuchte es keine linke Politik – genau das aber können Liberale, da sie Pluralisten sind, nicht wollen.

«Krafttraining lehrte mich, dass man sich selbst transformieren kann, dass sich harte Arbeit lohnt – und dass um Eigeninitiative und Eigenverantwortung kein Weg herumführt.»

Schliesslich haben mich Training und Sport auch zu einem Konservativen gemacht. Als ich intensiv Bodybuilding betrieb, stiess ich mit Mitte 20 an eine Grenze. Egal wie diszipliniert ich trainierte – bei rund 85 Kilogramm Körpergewicht und knapp unter zehn Prozent Körperfett war Schluss. Um weiterzuwachsen, hätte ich zu Anabolika greifen müssen – so wie Staaten unter Wachstumszwang zu Schulden und Subventionen greifen, um künstlichen Fortschritt zu erzeugen. Sich auch mal in seine Grenzen zu fügen anstatt permanent zu versuchen, mit progressivem Eifer immer weitere Grenzen zu durchbrechen, ist ein heilsames Unterfangen. Es stärkt Skepsis gegenüber Utopien, es fördert Gelassenheit und Langmut – konservative Tugenden, die ich meinem linken und liberalen Fortschrittsethos zum Trotz nicht missen möchte.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!