Wie man eine Epidemie stoppt
Die Verbreitung des Coronavirus‘ mathematisch erklärt.
Sie kehren mit leichtem Husten aus Ostasien heim. Empfang am Flughafen, Küsschen da, Küsschen dort. Zu Hause dürfen die Kinder vor dem Essen noch bei den Nachbarn spielen. Am nächsten Morgen reisen Sie mit Erkältungssymptomen im Zug zur Arbeit – und bald darauf sind auch die Leute in Ihrem persönlichen Umfeld krank.
So breitet sich aus der Wurmperspektive eine Epidemie aus. Aus der Vogelperspektive lässt sich das mit dem SIR-Modell beschreiben: Es gibt Leute, die für eine Infektion empfänglich sind (susceptible, S), dann werden sie infiziert (I) und verlassen irgendwann die Gruppe der Infizierten (removed, R). Zu R gehören alle, die entweder von Anfang an immun waren, isoliert wurden oder starben oder nach Krankheit genesen sind und jetzt weder andere anstecken noch selber erneut angesteckt werden können. (In welchem dieser Zustände sie sich befinden, macht für die Betroffenen einen grossen Unterschied, aber in bezug auf die Dynamik der Epidemie haben sie alle die gleiche Wirkung.) Für den Ausbruch einer Epidemie entscheidend sind zwei Faktoren: Wie lange kann man andere anstecken (d wie Dauer), und wie viele Personen trifft man pro Tag (k wie Kontakte)? Wenn man durchschnittlich fünf Tage ansteckend ist (d = 5) und pro Tag drei ausreichend enge Kontakte mit Personen hat (k = 3), dann wird man d·k = 5·3 = 15 direkte «Nachkommen» in dieser Epidemie haben. Ohne Gegenmassnahmen werden die wenigen Personen, welche die Epidemie einschleppen, für eine starke Verbreitung sorgen, bis Kontakte fast nur noch unter Infizierten oder mit mittlerweile genesenen und damit immunen Personen stattfinden. Die durchschnittliche Anzahl Nachkommen im Anfangsstadium heisst R0 oder Basic Reproduction Ratio. In unserem Beispiel ist R0 = d·k = 15. Beim Coronavirus gehen mit grossen Unsicherheiten verbundene Schätzungen von einem R0 von unter 5 aus. Um eine Epidemie früh unter Kontrolle zu bekommen, muss man R0 unter 1 bringen – dann nimmt die Anzahl Infektionen ab. Dieses Ziel erreicht man, wenn man Kranke isoliert oder sie schneller heilen kann (dann sinkt d) und indem man durch Tragen von Masken und Meiden von Ansammlungen direkte Kontakte verhindert (dann sinkt k).