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Wie können Schriftsteller kommunizieren?

Seit Jahrzehnten herrscht, mindestens noch im anspruchsvollen Teil der Schweizer Literaturszene, viel Ratlosigkeit und zunehmend die Idylle. Eine Erschöpfung bis hin zum Vorwurf der Kulturlosigkeit macht sich breit, eine Abwanderung der Leserschaft, die, ganz wie im ­Detailhandel auch, im Ausland sucht, was das Inland nicht bietet. Wie dagegen anschreiben?

Wie können Schriftsteller kommunizieren?

Ezra Pound hat es für James Joyce getan, Thomas Hürlimann soeben für seinen Freund Botho Strauss. Niemand aber kommt Adolf Muschg zu Hilfe, der als «Schweizer International-Dichter» hingerichtet und derart bösartig missverstanden wird, dass er zur Verteidigung seines Löwensterns selbst zur Feder greifen muss.

Kaum ein Schriftsteller hat ein Interesse daran, einem anderen zu helfen. Stattdessen sprechen viele von ihnen gern über tote Vorgänger, um den eigenen Ruhm zu mehren. Über den Nachwuchs äussern sie sich selten und höchst zögerlich, geht es doch immer nur um das eigene Werk, die eigene Bedeutung, den eigenen Erfolg.

Die Kritiker haben einen anderen inneren Kompass, eigene, in vielen Jahren gebildete Prioritäten und sehen sich nicht ungern bezeichnet als «Literaturpäpste», Grosskritiker oder erhabene Verwalter ihrer eigenen Vorstellungen von Literatur. Nicht selten kommt es unter ihnen zu Hahnenkämpfen, wo man sich gegenseitig der Nachlässigkeit oder, schlimmer noch, der Fahrlässigkeit bezichtigt. Dies gilt aber nur für die höchste Anspruchsstufe der Kritik, während man darunter nach allen Seiten schielt, um mit der eigenen Meinung nicht den Anschluss an die der anderen Kollegen zu verlieren.

Wer als Autor von den Medien geliebt wird, wie derzeit Sibylle Berg mit ihrem Toto, der sie erst ganz zur Schriftstellerin gemacht hat, wo sie doch zuvor literarisch nur auf allen Hochzeiten tanzte, darf jenen auf harter Arbeit beruhenden «Sieg des Zufalls» für sich in Anspruch nehmen, den schon mancher beklagte oder sich daran erfreute. Die Berg, aus Weimar stammend und in Zürich lebend, eine Art weiblicher Voltaire im Kleinformat, von der Müdigkeit des sterbenden europäischen Intellekts umfangen, hat mit ihrem Toto aus Vielen Dank für das Leben eine Figur geschaffen, die als Gegenpol zu Voltaires Candide kein schlechtes Bild abgibt. Sie ist ein Einzelfall im helvetischen Literaturbetrieb. Sibylle Berg ist es gelungen, sich im und für diesen zu inszenieren. Ihr Erfolg ist kein Zufall, sondern geschickte Arbeit im Spannungsfeld eines Literaturmarktes, der sich inmitten der widerstreitenden Interessen von Schriftstellern, Verlegern, Kritikern und Buchhändlern bewegt. Nicht jeder Autor muss so geschickt wie die Berg sein. Allerdings sollte sich tatsächlich jeder Autor die Frage stellen, wie er angesichts solcher Abhängigkeiten in einer Gegenwart grösster Veränderungen kraftvoll kommunizieren soll, um nicht übersehen, überhört, ungelesen zu bleiben. Denn nur so können die hiesigen Schriftsteller wieder an Qualität und Erfolg ihrer Konkurrenz auf dem Weltmarkt anschliessen.

Die Globalisierung der Literatur

Die Globalisierung, bisher dem westlichen Schriftsteller zum Vorteil, der von seinen Armeen während 500 Jahren ebenso um den Globus getragen wurde wie es die religiösen Katechismen und menschlichen Krankheiten sieghaft erlebten, hat nun eine Umkehrbewegung ausgelöst, die den europäischen Schriftsteller in die Defensive bringt, ist dieses Europa doch zur Weltprovinz verkommen – und die Schweizer Literatur führt selbst darin ein eher kümmerliches Dasein.

Von einem lebendigen literarischen Biotop, einer echten «Szene» zu sprechen, klingt deshalb ziemlich verwegen. Pro Helvetia, deren einstiger Direktor Pius Knüsel sogar einen Überdruss an zu viel geförderter Kultur verlauten liess, bleibt nur als staatliche Förderinstitution in Erinnerung, die das Bild der Schweiz in den intellektuellen Teilen der Weltöffentlichkeit gegen die Pockenkrankheit des eigenen Finanzplatzes unzulänglich zu schützen sucht. Immerhin, könnte man meinen, reicht es zu einer aus Steuermitteln subventionierten Weltläufigkeit. Auch der Einzug ins Schweizerische Literaturarchiv, wo über 200 Nachlässe von Schweizer Schriftstellern der Analyse harren, erfolgt meist spät und hat oft mehr die Funktion einer Ehrenversicherung, die den einkommensschwachen
Literaten etwas Sicherheit im beginnenden Alter bietet. Die Neuzugänge aus den Reihen der Gegenwartsschriftsteller dürften indes allzu zahlreich nicht sein.

In Zeiten tumultartiger Veränderungen ist die Schweiz nämlich nicht mehr der Ort, von woher Welterklärungen erwartet werden, viel eher aber aus dem benachbarten Österreich oder von der Technischen Hochschule Karlsruhe, nur gut zwei Fahrstunden nördlich von Zürich, wo Peter Sloterdijk sein Druidentum pflegt. Der Philosoph drückte der deutschen Spätzeit den Stempel auf – und wurde jüngst von der ARD wohl auch deshalb mit dem «Philosophischen Quartett» abgesetzt, um Richard David Precht Platz zu machen, einer Art Milena Moser der deutschen Hochkultur.

Dieses deutsche Beispiel illustriert, dass wir in der Schweiz keineswegs eine deutschsprachige Sonderrolle einnehmen, wenn es um die Verflachung des geistig-literarischen Diskurses geht. Einzig: da Deutschlands Potential von ungeschliffenen Autorendiamanten wie auch von Betriebsgrössen ungleich grösser ist, fällt die viele Durchschnittskost dort weniger auf. Das Werk vieler Schweizer Schriftsteller hingegen ist unübersehbar eine rasch verderbliche Ware geworden. Schweizer Verlage, wie Rotpunkt in Zürich oder Weber in Thun, die eigenes Schaffen in die Auslagen der Fenster bringen, sind sogar noch seltener. Der Buchmarkt ist ein gamble geworden, denn die Suche nach finanziell sicheren Werken, welche die Defizite der anderen, schwereren, zu tragen vermögen, frisst die Zeit der wenigen Lektoren. Eine erfolgreiche Verlagschefin, längst zu neuen beruflichen Ufern aufgebrochen, sagte mir einmal: «Ich muss Mist produzieren, den alle kaufen, nur um die guten Bücher zu retten.» Zugestanden, das war immer so. Aber zu diesen genannten guten Büchern werden hierzulande immer weniger Schriftsteller aktiv angehalten. Es locken bessere Gehälter in anderen Branchen, das kreativere Umfeld in der Werbung, das spannendere Tagesgeschäft im Journalismus. Die wenigen Namen einmal erfolgreicher Schriftsteller rücken auch wegen der dürftigen Nachwuchsförderung in den Verlagsfokus – allerdings nicht selten, um dann in Form rasch produzierter Zweit- und Drittpublikationen öffentlichkeitswirksam verheizt zu werden. Ausnahmen wie Diogenes bestätigen die Regel, gemeinhin gilt: Wer als Autor kann, flüchtet sich rasch ins Ausland – und nicht selten auch zu dortigen Verlagen.

Literarische Landflucht

Dabei wäre eine andere Flucht viel angezeigter. Die Flucht aus den eigentlichen Schweizer Themen in globale Weiten nämlich. Die hat schon Hugo Loetscher geübt, ein Autor, der dem Aufstieg der Schweizer Wirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte und seine Welt zurück in die Schweiz brachte. Gerold Späth, nicht wie Loetscher in Zürich, sondern in Rapperswil am oberen Zürichsee verhaftet, floh aus der Enge nach Irland und Italien, von wo er Werke zurückbrachte, die dem Ende der europäischen Kolonialzeit zuzurechnen sind, ganz wie Lukas Bärfuss auch, der flüchtend irgendwann Afrika fand. Die kommunikative Praxis dieser Autoren ist bescheiden, meist der Forderung des Tages folgend, vom Geiste der Aufklärung und der Toleranz getragen, aber nicht «das Hohe» erreichend, wie es Martin Meyer, der Chef des NZZ-Feuilletons, kürzlich forderte. Alex Capus, der Oltener normannischer Herkunft, ist ebenfalls diesen Spuren gefolgt und hat sein Glück neuerlich im Wilden Westen gefunden, wo seine Figuren «marthalern» – zeitgeistkompatibel freilich, also ohne ein Ziel zu finden.

Martin Walser schrieb im August dieses Jahres: «Es darf nur nicht der als Sachverstand kostümierte Kleinmut das Sagen haben.» Er meinte dies mit Hinblick auf Europa und nicht auf die Schweiz. Für Schriftsteller dieses Zuschnitts ist der Streit, die Auseinandersetzung, zwingend. Wie Martin Walser heute, kämpfte James Joyce im frühen 20. Jahrhundert gegen unfähige Verleger, überhebliche Kritiker und die snobistische Elite des literarischen Establishments, die sein Werk nicht anerkennen wollten. Freunde sind dann wichtig. In seinem Fall: Ezra Pound und Sylvia Beach machten sich zu Vermittlern seines Könnens. Wer wagte dies schon bei uns? Lukas Bärfuss vielleicht, allerdings nur der linken Seite der Erdkugel verpflichtet. Die allermeisten anderen suchen den Schutz einer Gruppe, seien es linke Selbsthilfegruppen oder universitäre Zweckgemeinschaften. Die care teams der nationalen Feuilletons geben ihnen nur spärliche Deckung, kernige Literaturdebattenforen sucht man vergebens. Und während in Frankreich, Italien und Osteuropa politisch «liberale» oder «rechts» stehende Autoren weitgehend ungehindert publizieren, ist dieser Markt in Deutschland und der Schweiz sogar völlig trockengelegt.

Das Schulternzucken ob der Grossartigkeit

Wir können bedenkenlos konstatieren: Die Schweizer Literatur ist aufgrund all dieser Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen Autoren, Verlagen und Kritikern eigentümlich folgenlos geworden. Das war nicht immer so.

Als 1966 der «Zürcher Literaturstreit» ausbrach, bebte die ganze deutschsprachige Welt ob dieser Herausforderung. Als 1969 die «Gruppe Olten» sich von den alten Militarismen Maurice Zermattens löste, war dies ein Vorgang, der noch Jahrzehnte nachwirkte. Die Erinnerung an diese Zeiten des Um- und Aufbruchs klingt bei Älteren noch nach, aber es bestätigt sich zunehmend: Man steht innerhalb des eigenen Landes mit dem Rücken zueinander und hat sich nur noch wenig zu sagen. Eine gegenseitige Befruchtung zwischen den Welschen, Tessinern und Deutschschweizern findet trotz aller institutionellen Hilfestellung und Bemühung kaum statt. Ein Land voller hybrider Autoren, die mehrere Kulturen in sich selber verbinden, findet keinen gemeinsamen Ton, den man als «Schweizer Literatur» definieren könnte. Das Lob der Vielfalt, welches an dieser Stelle ertönt, ist auch eines der Schwäche. Nicht einmal Friedrich Dürrenmatt schaffte es, in Neuenburg heimisch zu werden, was er heftig beklagte. Einem intellektuellen Nationalrat, Ernst Mühlemann aus dem Thurgau, blieb es vorbehalten, vom «Geröllhaldenblick der Schweizer» zu sprechen, denen die Berge den Ausblick in die Weite versperren.

Ernst Jandl, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Robert Menasse, unsere österreichischen Nachbarn, sind im deutschsprachigen Raum und global gefragte Schriftsteller-Grössen, denen der Vorwurf der Bedeutungslosigkeit nicht gemacht werden kann. Was machen sie anders als ein Franz Hohler, ein Peter Bichsel oder ein Markus Werner? Die Angst vor dem Provinziellen hat den Wienern, Salzburgern und Klagenfurtern einen oft «megalomanischen Drive» vermittelt, der sie in die Weltklasse führte. Ohne eine enge Verbindung zu den wichtigsten deutschen Verlegern wäre dieser Anspruch ohne Fundament geblieben. Ohne den Anspruch der Selbstüberhöhung durch das eigene Werk wären die Verleger, die Kritik und die Leser nicht auf sie aufmerksam geworden.

Weder Max Frisch noch Friedrich Dürrenmatt konnte man diese Bescheidenheit vorwerfen. Im Gegenteil: sie hatten den Anspruch, mindestens die Schweiz oder den Menschen zu verändern. Ihr Auftritt entbehrte nicht einer gewissen Grossartigkeit, sei es in der Zürcher «Kronenhalle» oder auf den Festen ihrer deutschen Verleger. Eine Affäre lebte man vorzugsweise im Ausland aus, denn die kulturelle Enge der Kalte-Krieg-Zeit machte derlei an der Limmat unbequem. Die Dürrenmattschen Zynismen, mit welchen er sein Land bedachte, dienen heute noch als Grundlage neuer Romane, so von Sibylle Berg, die – ich erwähnte es eingangs – im Schweizer Biotop den Versuch von Weltliteratur nicht scheut, verwundert beobachtet von den Altvorderen natürlich, die derlei exotisches Gehabe nicht auch noch mit einem Literaturpreis auszeichnen wollen.

Frisch und Dürrenmatt, affären- und witwenbehaftet, hatten, so die Jüngeren, den Vorteil des Timings, waren die deutschen Schriftsteller zur gleichen Zeit doch mit der Bewältigung ihrer gescheiterten Vergangenheit beschäftigt. Frisch und Dürrenmatt nahmen die Chance wahr, mit grossem Gestus in eine Lücke zu springen, die sie als Meister­autoren kenntlich machte. Sie reihten sich ein in den Kreis grosser Schweizer Geister, unbefangen, frech, formulierungsfroh, ohne den Rucksack der Schweizer Geschichte, den sie in ihren späteren Werken vollends leeren sollten.

Aber selbst die Schweizer Geschichten, die, die nennenswert sind, haben wir mehr oder minder selbst vernichtet. Johanna Spyri wird mit ihrem Werk Heidi heute in Japan mehr verehrt als Mark Twain. Beide haben Kinderbücher geschrieben, aber hinter der Oberfläche der Handlung eine ganze Welt gezeichnet. Während mindestens die Amerikaner des Mittleren Westens ihren Autor festlich feiern, haben wir aus Johanna Spyri eine Autorin zur Tourismusförderung gemacht.

Wir halten fest: Wer die Zwergenhaftigkeit der Gegenwart beklagt, ein Ausdruck, der mir schon deshalb als berechtigt erscheint, weil die 2007 publizierte deutsche Ausgabe von A New History of German Literature (Harvard University Press, 2004) auf dem Titelbild des 1200seitigen Werkes einen lesenden Gartenzwerg mit roter Zipfelmütze zeigt, darf dies nur vor dem Hintergrund tun, dass die Schweiz bis vor einer Generation Schriftsteller von Geltung hatte.

Kommunikation – Kritik – Kosten

Wie soll ein Autor, den Gefahren des verunsicherten Schweigens und der Larmoyanz ausgesetzt, einen Start oder Neustart wagen? Erstens braucht er selber Einsicht und Energie, um aus dem Käfig der Nichtbeachtung auszubrechen, zweitens einige gute Freunde, die ihm den Steigbügel halten. Einen guten Lektor, wie er heute von immer weniger Verlagen angeboten wird, einen Buchgestalter, der Inhalt mit Form zu verbinden weiss, dabei den Verfasser mehr im Auge behaltend als die tägliche Mode der art directors. Neu ist der Einsatz eines Fachmannes für Kommunikation, der Schriftsteller und fertiges Werk in Einklang mit den Bedürfnissen und Fragen der Gesellschaft zu bringen sucht. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich die schwierige Aufgabe, den Zeitgeist zu treffen, ohne das Werk zu verfälschen.

Der Klang eines grossen Namens, mag er auch schon ein wenig verblasst sein, hilft viel mit, den Autor wieder auf den Weg des Erfolgs zurückzuführen. Neben den Grosskritikern in den Medien, deren Urteil, gottgleich, Werk und Selbstvertrauen des Autors fördern oder zerstören können, gibt es einige Dutzend andere Kritiker, die weniger am germanistischen Hintergrund als an der aktuellen Vorlage interessiert sind. Kaum ein Schriftsteller kann sich in diesem Chaos laufend wechselnder redaktioneller Zusammensetzungen zurechtfinden. Wer immer daran beteiligt ist, muss, wie es bei Shakespeare und Cervantes der Fall gewesen ist, das Werk vor dem gesellschaftlichen Hintergrund aufzeigen und damit seine Notwendigkeit selbst hervorheben.

Weil wir in einer Zeit schnellen und dramatischen Umbruchs leben, können nicht alle Schriftsteller, zumal sie Kraft für Werk und tägliches Leben brauchen, dem Gang der Dinge folgen. Daraus entstehen fatale Fehlentscheide, wie jedes Literaturlexikon als Friedhof meist unerfüllter Hoffnungen beweist. Alleine schon die Frage, wann ein Buchmanuskript als abgeschlossen gelten darf, ist von höchster Brisanz für Autor und Verlagsmarketing. Deshalb ist die Annahme falsch, ein Autor müsse in einer splendid isolation arbeiten, um ein reines, ja göttliches Werk zu verfassen. Wer die vielen Fassungen Tolstoischer Romanfragmente kennt, sollte auch einem heutigen Autor keinen Vorwurf daraus machen, wenn er den Ablauf von Handlungssequenzen neu interpretiert.

Grosse Kommunikation, gerade für Schriftsteller, verlangt ein gutes Produkt, ganz wie andernorts auch. Doch den überlasteten und unterbesetzten Kulturredaktionen, Feuilletons und Lesern sollte man eine Interpretation des Werks mitliefern, die ihnen den Zugang erleichtert. Kaum eine Redaktion kann es sich noch leisten, einen Roman an drei Tagen lesen und am vierten rezensieren zu lassen. Dies würde Kosten verursachen, die nur selten im Redaktionsbudget sind. Mehr denn je ist es heute wieder bitteres Brot, welches Autor und Rezensent zu essen erhalten.

Literaturvermittlung ist ein Geschäft, bei dem heute meist nur mit Harry Potter und Martin Suter Geld verdient werden kann. Es gehört auch zu den Legenden, dass in den Buchhandlungen, auch den grossen, heute noch genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, das eine echte Kundenberatung ermöglicht. Wer nicht rasch «Umsatz dreht», ist zur Stagnation oder zum Untergang verdammt. Die qualifizierte Empfehlung von Schweizer Autoren durch den Buchhändler ist zum Luxus geworden, auch hier ist es aber bei genug Engagement kein unerreichbarer Luxus.

Hermann Burger, von Suhrkamp und Marcel Reich-Ranicki gelobt und gefördert, ist zu einer beispielhaften case ­history geworden, wie Schriftsteller und Kommunikationsberater zusammen wirken können. Er meldete sich, im berühmten roten Ferrari gegen Abend beim Verfasser dieses Beitrags vorfahrend, zu einem mehrstündigen Gespräch an bei Zigarre und Rotwein. Burger öffnete seine Jacke, riss Bündel grosser Geldscheine aus den Innentaschen und sagte: «Entführe mich, damit ich berühmt werde.» Obwohl ich dies ablehnte, wurde daraus eine Freundschaft.

In seinem letzten Lebensjahr, bevor der als depressiv bekannte Schriftsteller sich selbst den Tod gab, was heute als freiheitlicher Akt verherrlicht wird, damals aber als Skandal galt, reisten wir von Auftritt zu Auftritt, welche ich ihm besorgte und organisierte. Er liebte die Fahrten durch das Land und dozierte vor Schülern wie Managern frei über die Schweizer Literatur, wie dies nur wenige vermochten. Hermann Burger war glücklich, denn er spürte die Zuneigung seiner Leser und Zuhörer.

Sein letztes Buch sollte zu einer Trilogie werden, aber er hatte Angst vor der professionellen Kritik und den beiden weiteren Bänden. Er gab Werk, rothaarige Freundin und den roten Sportwagen auf, ganz wie ein Ertrinkender. Vielleicht wollte er auch nicht sterben, sondern nur ein Signal geben, dass es ihm nicht gut gehe. Niemand weiss es.

Das Verschellen Burgers und seiner Nachkommen

Nur, damit keine Missverständnisse aufkommen: Eine qualifizierte Kritik ist etwas Wunderbares, sofern man stark genug ist, diese auch zu überleben. Wird ein Schriftsteller zum nationalen Symbol, wie Peter Bichsel dank Ringier eines geworden ist, spielt die eigentliche Werkqualität eine geringere Rolle. Wer zu einer Marke geworden ist, kann in jeder Nische überleben. Paul Nizon übt diese Kunst aus seiner Pariser Gruft, durchaus mit Stil, aber ganz wie Adolf Muschg hat er die Kraft zur Kommunikation seines Werkes nahezu verloren. Niklaus Meienberg, ich erinnere mich gut an ihn, stand geblähten Haares wie ein Baum im Raum, in diesen seine Botschaften schleudernd, um sich später schaudernd wieder abzuwenden. Auch er ging den Weg der Einsamkeit bis zum Tod durch Ersticken.

Jeder Schriftsteller hat das Recht, ein Leben in olympischer Einsamkeit zu führen oder sich, mehr oder weniger lustvoll, den Ansprüchen der Gegenwart hinzugeben. Noch heute schliesst man Schriftsteller, die zu Gaste geladen sind, gerne in städtische Türme ein, deren obere Geschosse sonst ungenutzt blieben. Man kann aber auch den Weg von Yasmina Reza, Alexandra Tobor oder Günther Grass gehen, sich aus den Wogen der Tagesereignisse als intellektuelle Möwe erheben. Wie ist dies zu schaffen?

1.  Formulieren Sie selbst die Botschaft über die eigene Arbeit und die jüngste Publikation. Die Kritik wird es dann schwer haben, dies zu übersehen.

2.  Definieren Sie nach Möglichkeit Ihre Funktion in der Gesellschaft.

3.  Gewinnen Sie möglichst einflussreiche Freunde, welche die Diskussion in Ihrem Sinne weiterführen.

4. Sprechen Sie mit den wichtigsten Kritikern im voraus, ziehen Sie diese in Ihren Kosmos hinein. Antizipieren Sie deren mögliche Ansätze zur Kritik, indem Sie perfekte Antworten liefern.

5.  Schaffen Sie eine Sollbruchstelle, die dem Buch einen Platz in der öffentlichen Diskussion sichert.

6. Entwickeln Sie Botschaften, Haltungen und Auftritte, die den Bedürfnissen von Radio und Fernsehen, deren intellektuellen «Morgenandachten» und aggressiven Talkshows, entsprechen.

7. Vergessen Sie den deutschen Markt nicht, denn erst dort ziehen die Auflagen richtig an. Für die Auftritte gilt dort: «Bescheidenheit ist keine Zier.»

Es mag sein, dass hohe Autorschaft eine Gabe jenseits der irdischen Vernunft ist. Kommunikation ist aber ein Handwerk, das klaren Spielregeln folgt. Wer in der Schweiz heute als Schriftsteller nennenswerten Erfolg haben will, darf sich den Gesetzen des Marktes nicht entziehen, weil er sonst für die Ewigkeit schreibt, in der Gegenwart aber ein Sonderfall bleibt. Das ist individuell ein grossartiger Entscheid, manchmal aber auch schmerzlich.

Da wir von Schweizer Gegenwartsautoren nicht mehr lernen können, wie man sich in Europa und Welt zu Wort meldet, lohnt sich ein abschliessender Besuch bei solchen, denen dies gelungen ist. Zwei Frauen zum Beispiel, von denen ich eben bereits schrieb:

Yasmina Reza, die mit 53 Jahren noch auftritt wie eine 23jährige, ist in wenigen Jahren zur meistgespielten europäischen Theaterautorin aufgestiegen. Elegant auftretend, französischer als viele Französinnen, beherrscht sie das Repertoire der Andeutung, des Behauptens und Sichzurückziehens perfekt. Sie, die ein Jahr Nicolas Sarkozy auf seiner Wahlkampftour begleitete, schrieb darüber ein Buch, worin sie Sarkozy als «grossen Eroberer» beschrieb. Sie deutet an, mit Philipp Roth und anderen Grössen der Literatur direkt zu telefonieren. Wenn sie liebt, liebt sie «über alle Massen». Vom Tod ihrer Freunde ist sie «sehr betroffen». Small Talk, wie nicht mehr nur die Boulevardmedien dies lieben. Diese Art äusserer und innerer Beweglichkeit haben Schweizer Schriftsteller heute nicht mehr.

Twitter-Diva Alexandra Tobor hat diese altneue Plastikwelt erobert, indem sie sich auf fiktive Telefonanrufe und nächtliche Gespräche mit Weltstars berief. Ihre Botschaft «Es gibt nichts Privates mehr» hat sie zur Buchautorin werden lassen. Ullstein wartet jetzt auf ein Auflagenwunder.

Man ist geneigt, auch den Landsleuten dies- und jenseits des Gotthards zu sagen: Geht doch! Wer in der Schweiz heute als Schriftsteller Erfolg haben will, muss wissen, für wen er schreibt, diese Gruppe aktiv adressieren – und dann enorm produktives Sitzfleisch haben.

In erster Linie braucht der Schriftsteller, der nicht nur für die eigene Festplatte schreiben will, Rousseau und Baudelaire nicht unähnlich, aber einen Stoff, der mit den globalen Tendenzen, von welchen die Schweiz durchwirkt ist, mithalten kann. Es liegt nun an den Schweizer Schriftstellern, sich nicht ins Reduit oder – neuerlich – auf die kuhglockenläutende Alp zurückzuziehen, sondern die Verwandlung der Schweiz in ein hybrides Globalkunstwerk literarisch zu begleiten. Es empfiehlt sich der konsequente Aufbruch in die Globalisierung, um nicht im Heimatstil unterzugehen. Zweierlei darf dann als sicher gelten: Die Leser werden sich freuen. Die Medien auch.

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