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Wie gebe ich richtig?

Mit grossem Auftritt oder still? Vor dem Tod oder danach? Den Empfängern darf’s egal sein – Ihnen nicht. Eine heitere Kurzanleitung zum richtigen Geben, Spenden und Schenken.

Wie gebe ich richtig?
Peter Schneider, photographiert von Claudia Herzog.

«Die nicht erwiderte Gabe erniedrigt auch heute noch denjenigen, der sie angenommen hat, vor allem, wenn er sie ohne den Gedanken an eine Erwiderung annimmt», schreibt Marcel Mauss in seinem berühmten Essay über «Die Gabe». Dort hatte er die soziale Funktion streng geregelter Bräuche des Schenkens und Erwiderns von Geschenken in archaischen Gesellschaften untersucht. Der von ihm analysierte Austausch von Gaben ist dabei nicht eine Vorform des Warentauschs, sondern Ausdruck einer elementaren Struktur, die unabhängig von diesem existiert. Im Warentausch wird Gleichwertiges ausgetauscht, und jeder Tauschakt bleibt eine in sich abgeschlossene Angelegenheit.

Der Gabentausch hingegen spannt ein zuweilen grotesk ausuferndes Netz wechselseitiger Verpflichtungen über die Mitglieder einer Gesellschaft. Er bildet nichts weniger als die Grundlage einer Moral, in der der Mensch nicht nur als eine rationale Rechenmaschine funktioniert.

Gelebt im Alltag kann das ganz schön anstrengend sein. Zu erkennen ist aber, dass das freiwillige Geben – sei es in der Form einer Spende oder einer Schenkung – einen zivilgesellschaftlichen Nutzen stiftet, der über den individuellen Gnadenakt hinausgeht. Wer gibt, will anderen Gutes tun, nicht zuletzt aber auch sich selbst: «Wirkliches Schenken hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten», schreibt Theodor W. Adorno in den «Minima Moralia». Den Niedergang dieser Fähigkeit beklagend, stellt er aber auch fest, dass das Schenken auf «eine soziale Funktion heruntergekommen» sei, die man «mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und mit möglichst geringer Anstrengung ausführt». Wie schenkt man also richtig?

Soll ich laut oder leise spenden?

Mir erscheint es als geschmacklos, dass heute offenbar nichts Gutes mehr getan werden kann, ohne begleitend ein paar Stars in der Manege «Amazing Grace» trällern zu lassen, während die Spender zu ihrem an sich lobenswerten Tun gackern wie die Hühner, die soeben ein goldenes Ei gelegt haben. So peinlich diese bekennenden Gutmenschen sein mögen, unmoralisch sind sie nicht. Die ästhetische Kritik an lautem Spendenverhalten folgt im Grunde der Logik der Verwandlung von naiver Bonhommie in Denunziantentum: Wer nicht die korrekten Formen der Wohltäterarbeit und Spendenbereitschaft einhält, wird gefühls- und gedankenpolizeilich fichiert. Kritik am Auftritt ist in der Sache also unangebracht. Schliesslich wird in beiden Fällen gespendet, und darauf kommt es an, jedenfalls den Empfängern der Spende.

Soll ich Menschen unterstützen, die das Geld vielleicht für etwas Schlechtes ausgeben? Zum Beispiel Obdachlose?

Wie viel Schlechtes kann man sich für ein, zwei oder fünf Stutz kaufen? Wenn Sie die Vorstellung nicht mögen, dass etwa ein Bettler mit Hilfe Ihrer Spende Schnaps oder sonstige Drogen kauft, dann geben Sie nichts. Desgleichen, wenn Sie einen Bettler zu aufdringlich oder unfreundlich finden. Oder Sie keine Zeit haben, nach Münz zu suchen, weil Sie aufs Tram müssen. Oder Sie einfach nur schlecht gelaunt sind. Sie sind zum Geben nicht verpflichtet. Aber umfassende sozialpolitische, kriminalpräventive und suchttherapeutische Wünsche und Vorstellungen mit einer in der Regel eher geringfügigen Gabe zu verknüpfen, halte ich für eine unzulässige Überfrachtung dieser kleinen Geste der Hilfsbereitschaft, die man auch nicht mit einer Anschubfinanzierung für ein musikalisches Start-up verwechseln sollte. Bettler müssen nichts (mehr), auch nicht Blockflöten oder Gitarre spielen. Das ist das einzige Privileg, das sie haben. Man muss schon starke Nerven haben, um es nicht demütigend zu finden, wildfremde Leute um eine kleine Spende anzugehen. Weder wird man dazu leicht animiert noch leicht davon abgeschreckt. Was nun die Verteiler milder Gaben angeht: Sie müssen nicht konsequent sein, es verlangt auch niemand, dass Sie alle Armen aus Ihrem Sack unterstützen. Grosszügigkeit hat aber noch niemandem geschadet – ganz im Gegensatz zur Hartherzigkeit. Die schlägt nämlich aufs Gemüt, macht verbittert, schlecht gelaunt und hässliche Falten. Man sieht sich nur noch verfolgt von Sozialschmarotzern und Leuten, die einen ausnutzen wollen. Gewiss, die Welt ist schlecht. Umso schöner ist es, wenn man selber wenigstens hin und wieder mal ein bisschen gut ist.

Kann ich als Spender überhaupt etwas bewirken?

Aber sicher! Die meisten unserer Handlungen hatten früher und haben heute sehr wohl ernsthafte Konsequenzen. Es ist richtig, dass die Konsequenzen aus einer Tat nicht naturgesetzlich kausal abzuleiten sind, aber es spricht nicht gegen das «Prinzip Verantwortung», da unser Leben und Zusammenleben voller Unsicherheiten und Unwägbarkeiten ist und wir uns bei der Beurteilung der Konsequenzen unserer Handlungen notgedrungen gleichermassen auf unsere Vernunft wie unsere Phantasie verlassen müssen. Und natürlich auf das Wissen und den Ratschlag anderer – ohne dass wir damit unsere Verantwortung abschieben können.

Soll ich mein Geld nicht lieber behalten?

Ach was, bringen Sie es in den Umlauf! Denn mit Geld gar nicht zu spekulieren, ist bekanntlich einfacher gesagt als getan. Jede noch so konservative Anlage (selbst das Horten von Bargeld im Tresor) ist in gewissem Masse spekulativ, insofern nämlich, dass sie von Annahmen über die Zukunft ausgehen muss: zum Beispiel, dass die Gefahr eines Zusammenbruchs der Banken besteht, es keine ausreichende Staatsgarantie für die Bankguthaben gibt oder der Geldwert nicht durch Inflation geschmälert wird, sondern eine Deflation für eine Wertsteigerung des Geldschatzes im Sparstrumpf sorgt. Geben Sie Ihren Zaster also besser mit warmen Händen weg, also bevor sich der Sargdeckel schliesst und Ihre undankbaren Erben darüber entscheiden (und höchstwahrscheinlich schlechtere Entscheidungen treffen als Sie).

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