Wie es hätte sein können
Hansjörg Schertenleib: Schule der Winde. Zürich: Kampa, 2023.
Hansjörg Schertenleibs 2020 erschienener Roman «Palast der Stille» war nicht nur voller Impressionen von Menschen und Natur im US-Bundesstaat Maine, in dem der Krimi-Autor mehrere Jahre lebte, sondern referenzierte auch immer wieder seine vorhergehenden 22 Jahre in Irland. Sein neuer Roman «Schule der Winde» fokussiert sich jetzt dediziert auf diese Zeit in und um Donegal. Allerdings handelt es sich dabei nicht einfach um autobiografische Prosa, sondern auch um Autofiktion und um eine Abrechnung mit seiner ersten Ehe. Im wirklichen Leben zog Schertenleib 1996 gemeinsam mit seiner damaligen Frau Sabine Reber nach Irland. «Schule der Winde» hingegen ist nebst der Erinnerung auch die Fantasie, «wie es hätte sein können ohne sie, … wenn [er] nicht den Fehler gemacht hätte, sie zu bitten, mit [ihm] nach Irland auszuwandern».
In seinem neuen Roman bezieht Schertenleib also 1996 das ehemalige Dorfschulhaus in der Nähe des irischen Donegal alleine und berichtet von den frühen Jahren eines möglichen Lebens, von dem viel dem Wirklichen entnommen scheint. Der eigentliche Held des Romans ist jedoch nicht sein Urheber, sondern das Land – sein hartes Wetter, seine schroffe, verwunschene Landschaft und seine wundersamen Menschen. Diese werden nicht nur in Relation zum Autor-Erzähler beschrieben, sondern treten in kurzen Einschüben auch direkt auf: ob in erinnerten Pub-Dialogen, die einen Eindruck des irischen Humors vermitteln, oder in oftmals tragischen Kurzbiografien der ehemaligen Kinder, die ein halbes Jahrhundert zuvor dort zur Schule gingen, wo der Schriftsteller nun lebt. Inwieweit diese Menschen und ihre Biografien Fiktion sind, bleibt offen.
Wie das Leben selbst hat auch «Schule der Winde» keinen Handlungsstrang ausser dem, den wir ihm geben. Und trotzdem weiss Schertenleibs neuer Roman zu binden. Die einfache, aber sichere Sprache, der immer wieder besondere Sätze entwachsen, kombiniert facettenreiche Landschaften und Charaktere zum Mosaik eines Landes, von dem der Leser am Ende beinahe glaubt, es zu kennen. Es bleibt eine diffuse Sehnsucht nach einem Ort «im Windschatten der Zeit».