Wie die moderne Eugenik alle ins Verderben stürzen könnte
Befürworter der polygenen Embryonenselektion streben danach, «erwünschte» Eigenschaften wie Intelligenz zu verbessern – ein Vorgehen, das zum Aussterben der Menschheit führen könnte.

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Als ich kürzlich einer Konferenz über wissenschaftliche Zukunftstrends beiwohnte, fiel mir auf, dass die polygene Embryonenselektion (PGES) viele der Teilnehmer zu beschäftigen schien. Einige fragten mich sogar, inwieweit sie – unter Berücksichtigung der gegenwärtigen technologischen Grenzen – ihren Nachwuchs «verbessern» könnten. Ich lenkte das Gespräch jeweils höflich in eine andere Richtung. Es war eine Erfahrung, die mich zum Nachdenken anregte: Wie könnten die Prioritäten derjenigen, die bereit sind, Technologien wie PGES zu nutzen, künftige Generationen prägen – gerade angesichts der bedeutenden Fortschritte, die in den vergangenen 15 Jahren im Verständnis der Genetik komplexer Merkmale erzielt wurden?
Der Begriff Eugenik (vom griechischen eu für «gut» und gene für «Geburt») ist heute in Verruf geraten. Er beschreibt im Wesentlichen die Anwendung künstlicher Selektionstechniken zur Steigerung «gesellschaftlich erwünschter» Merkmale in der menschlichen Spezies. Historisch interessierten sich Eugeniker vor allem für Merkmale wie allgemeine Intelligenz, Gesundheit und Persönlichkeit. Ihr Ziel ist die Umkehrung sogenannter dysgenetischer Trends – Entwicklungen, die entstehen, wenn Menschen mit «weniger erwünschten» Merkmalsausprägungen eine höhere Fortpflanzungsrate aufweisen. Dazu gehören etwa Personen mit niedriger allgemeiner Intelligenz, erblichen Gesundheitsproblemen oder kriminogenen Persönlichkeitsmerkmalen.
Wir befassen uns hier nicht mit der älteren, autoritären Eugenik der ersten Welle (die bis in die 1960er-Jahre weitgehend verschwand), sondern mit der neuen, zweiten Welle der Eugenik, die nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms Ende der 1990er-Jahre aufkam. Ihre Befürworter propagieren eine freiwillige Form der Eugenik: Menschen sollen genetische Erkenntnisse über Krankheitsursachen, Variationen in Intelligenz, Persönlichkeit und körperliche Merkmale wie Grösse oder Gewicht nutzen können. In Verbindung mit Fortpflanzungstechniken wie PGES sollen sie ihre Nachkommen mit «erwünschten» Eigenschaften ausstatten oder unerwünschte Merkmale (wie Krankheiten oder sogar vererbbare und antisoziale Verhaltensmerkmale wie rassistische Einstellungen) eliminieren. Während einige für eine Marktregulierung dieses Prozesses plädieren, fordern andere, wie der Bioethiker Julien Savulescu, auch moralischen Zwang.
Kritiker der Eugenik der zweiten Welle behaupten, dass sie nicht funktionieren könne. Sie begründen dies damit, dass die relevanten Phänotypen zu ungenau definiert seien und ihre genetischen Grundlagen – aufgrund von Störfaktoren wie Gen-Umwelt-Interaktionen und indirekten genetischen Effekten – nie ausreichend verstanden würden, um eine präzise Embryonenselektion zu ermöglichen.
Diese Kritik wird allerdings durch die Fortschritte in der Genomforschung zunehmend entkräftet. Jahr für Jahr werden bessere molekulare Daten zu kognitiven und gesundheitlichen Merkmalen verfügbar. Tatsächlich nutzen einige Menschen bereits PGES, indem sie rechtliche Schlupflöcher ausnutzen, um ihre Nachkommen zu «verbessern». Die Eugenik der zweiten Welle wird somit bereits von jenen praktiziert, die sowohl die Motivation als auch die finanziellen Mittel dafür haben. Dennoch gibt es triftige Gründe zur Annahme, dass der Versuch, psychobehaviorale Merkmale – insbesondere allgemeine Intelligenz und Persönlichkeit – mittels PGES zu manipulieren, durch unbeabsichtigte und gefährliche Konsequenzen mehr Schaden als Nutzen bringen wird.
Reduzierte Fertilität
Eugeniker sprechen gerne vom Mehrwert der Steigerung der allgemeinen Intelligenz. Sie verweisen auf Statistiken, wonach intelligentere Menschen mehr verdienen, gesünder sind und ein höheres soziales Ansehen geniessen. Was in dieser Aufzählung jedoch fehlt, sind die Nachteile einer höheren Intelligenz. Genetische Varianten, welche die allgemeine Intelligenz vorhersagen, korrelieren negativ mit der Fruchtbarkeit, und zwar unabhängig vom Bildungsniveau.
Dieser Zusammenhang ist fundamental und nicht etwa nur darauf zurückzuführen, dass Menschen mit hoher Intelligenz ihre Fortpflanzung zugunsten höherer Bildungsabschlüsse aufschieben. Die Beziehung deutet vielmehr darauf hin, dass allgemeine Intelligenz hauptsächlich durch Gruppenselektion evolutionäre Vorteile bietet (wenn also die Selektion auf der Ebene von Gruppen genetisch verwandter Individuen wirkt). Unter solchen Bedingungen setzen sich innovativere und kooperativere Gruppen durch. Menschen mit höherer allgemeiner Intelligenz steigern die genetische Gesamtfitness ihrer Verwandten, was die leichten Fruchtbarkeitseinbussen ausgleicht, die mit ihrer hohen Intelligenz einhergehen.
William D. Hamilton, einer der bedeutendsten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts, lieferte hierfür das vielleicht bemerkenswerteste Beispiel: Genies bringen durch ihre kulturellen oder wissenschaftlichen Errungenschaften zwar ganze Zivilisationen voran, haben aber meist wenige oder gar keine Nachkommen. Bibliometrische Studien zu diesen herausragenden Persönlichkeiten bestätigen diese Erkenntnis. Die Kehrseite davon ist, dass konkurrierende Gruppen ihr Territorium und ihre Bevölkerung typischerweise auf Kosten jener ausweiten, die sie erobern.
Glücklicherweise leben wir nicht mehr unter solchen Bedingungen, die während des Grossteils der Menschheitsgeschichte üblich waren. Moderne Menschen sind individualistischer und weniger «gruppenbezogen», was zu erklären ist mit einer Anpassung an mildere Klimabedingungen, mit der Ausrottung vieler Krankheiten und Vermeidung von Hungersnöten sowie den friedlicheren Beziehungen zwischen Gruppen. Jene Merkmale unserer evolutionären Ökologie, die eine soziale Selektion für höhere allgemeine Intelligenz ermöglichten, sind daher nicht nur verschwunden, sondern haben sich ins Gegenteil verkehrt, sodass die Selektion nun diejenigen mit niedrigerer Intelligenz begünstigt. Eine simple Erhöhung der allgemeinen Intelligenz en masse durch PGES (ohne einen entsprechend schrecklichen evolutionsökologischen Kontext) wird daher lediglich die Fruchtbarkeit stark reduzieren und die Kinderlosigkeit unter den «Verbesserten» erhöhen.
«Eine Erhöhung der Intelligenz en masse wird lediglich die Fruchtbarkeit reduzieren und die Kinderlosigkeit unter den ‹Verbesserten› erhöhen.»
Moderne Frauen wollen sozial erfolgreiche, nicht hochintelligente Männer
Zweitens zeigen akademische Studien, dass Frauen bei «hypothetischen» Nachkommen Persönlichkeitsmerkmale wie Extraversion stärker bevorzugen als Gewissenhaftigkeit und allgemeine Intelligenz. Dies verwirrt Eugeniker, ergibt aber aus evolutionsökologischer Sicht Sinn. Extraversion – eine Persönlichkeitsdimension, die genetisch negativ mit allgemeiner Intelligenz korreliert – ist sowohl mit sozialem als auch mit reproduktivem Erfolg in der modernen Gesellschaft verbunden. Eine Untersuchung auf Grundlage von Daten der Wisconsin Longitudinal Study hat kürzlich ergeben, dass Extraversion positiv mit der Anzahl der Kinder und Enkelkinder korreliert.
Ein weiteres Beispiel ist die psychopathische Persönlichkeit. Studien belegen, dass Psychopathie unter Führungskräften und Geschäftsführern häufiger auftritt als in der Allgemeinbevölkerung. Die Tatsache, dass die moderne Gesellschaft solchen Menschen beruflichen Erfolg ermöglicht – trotz der offensichtlichen Nachteile psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale –, könnte erklären, warum manche Frauen bestimmte psychopathische Eigenschaften bei potentiellen Partnern als attraktiv wahrnehmen.
Frauen wählen bei Partnern Eigenschaften, die ihre Nachkommen wettbewerbsfähiger machen. Nach meinen Beobachtungen haben die erfolgreichsten Menschen eher eine «Fake it till you make it»-Persönlichkeit und keine überdurchschnittlich hohe Intelligenz (man denke hier an beliebige Tech-CEOs, YouTube-Influencer oder Politiker). Studien belegen, dass die allgemeine Intelligenz im kurzfristigen Beziehungsverhalten keine Rolle spielt (hier legen Frauen mehr Wert auf körperliche Stärke) und im langfristigen Beziehungsverhalten nur eine indirekte (hier steht das Einkommen im Vordergrund). Diese Erkenntnisse werden durch Forschungen bestätigt, die zeigen, dass das Konzept der Sapiosexualität – also der sexuellen Attraktivität von Intelligenz – wissenschaftlich nicht haltbar ist. Dies entspricht exakt den Erwartungen im Kontext des modernen evolutionsökologischen Paradigmas, in dem die Gruppenselektion von der individuellen Selektion abgelöst worden ist.
Unbeliebt – und möglicherweise gefährlich
Die Eugenik der zweiten Welle stellt daher ein interessantes existenzielles Risiko dar – genauer gesagt eine unkontrollierte künstliche Selektion von Merkmalen, die wahrscheinlich eine Verschlimmerung statt einer Verbesserung bewirkt. Wenn Eltern die Freiheit haben, über das künftige Verhalten ihrer Nachkommen zu entscheiden, werden sie jene Persönlichkeitsaspekte maximieren, die Erfolg versprechen. Dies bedeutet fast zwangsläufig, dass sie Merkmale wie Extraversion auf Kosten von Intelligenz steigern werden.
Dieses Problem beschrieb erstmals der Schriftsteller Olaf Stapledon in seinem 1937 erschienenen Buch «Star Maker». Darin beschreibt er eine fiktive ausserirdische Rasse, deren «Zivilisation ein Stadium und einen Charakter wie unsere eigene erreicht hatte … und in der die Naturwissenschaft der individualistischen Industrie unterworfen war». Unglücklicherweise «sehnten sich die Frauen nach ‹brutalen Männern› als Liebhabern und Vätern für ihre Kinder. Da … Frauen grosse wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangt hatten, führte ihre Nachfrage nach Befruchtung durch ‹brutale Männer› dazu, dass die ganze Angelegenheit kommerzialisiert wurde (…). Das Ergebnis dieser aussergewöhnlichen Praxis (…) war die Veränderung der Zusammensetzung der gesamten quasimenschlichen Rasse. Von da an wurden die verzweifelt komplexen Probleme der Welt durchweg verpfuscht. Die Zivilisation verfiel (…). Dieser Zustand hielt einige Millionen Jahre an, doch schliesslich wurde die Rasse durch die Verwüstungen eines kleinen, rattenähnlichen Tieres vernichtet, gegen das sie keinen Schutz entwickeln konnte.»
Eugenik-Enthusiasten haben versucht, das, was wir Stapledons Katastrophe nennen könnten, mit dem Argument zu widerlegen, dass Frauen bei der Nutzung von Samenbanken dazu neigen würden, bei den Spendern nach Merkmalen der Intelligenz, wie etwa Bildung, zu selektieren. Daraus schliessen sie, dass Menschen bei Zugang zu einem genetischen «Markt» ähnlich handeln würden.
Jedoch sind Samenbanknutzerinnen kaum repräsentativ für die Mehrheit der Bevölkerung, die wie erwähnt eher Kinder mit «erfolgreichen» Persönlichkeiten bevorzugt als solche mit hoher allgemeiner Intelligenz, die später kinderlos bleiben. Tatsächlich bestätigten die bereits zitierten Daten der Wisconsin Longitudinal Study diese Präferenzen auch für den konventionellen Partnermarkt. In diesem Kontext würde die Einführung künstlicher «Merkmalsverbesserung» durch PGES wie ein brennendes Streichholz in einem benzingefüllten Swimmingpool wirken.
Erfreulicherweise für Menschen wie mich, die der neuen Eugenik skeptisch gegenüberstehen, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Umfrage, dass die Öffentlichkeit PGES zwar deutlich befürwortet, wenn es um die Bekämpfung von Krankheiten und psychiatrischen Störungen geht, aber deutlich skeptischer ist bei anderen Anwendungen – etwa bei der Manipulation der allgemeinen Intelligenz oder von normalen Persönlichkeitsmerkmalen. Bezeichnenderweise äusserte die Hälfte der Befragten Bedenken über mögliche gesellschaftliche Schäden durch PGES. Dies lässt hoffen, dass wir dem Schicksal der Vernichtung durch kleine, rattenähnliche Kreaturen entgehen werden.