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Wider die Gesetzesflut

Weniger ist mehr: Welche Regulierung braucht der Finanzplatz Schweiz?

Der Schweizer Bankensektor schrumpft: Ausländische Banken schliessen ihre Filialen in der Schweiz (1990: 16, 2009: 33, 2013: 27), Schweizer Banken bauen Arbeitsplätze ab (1990: 119 717, 2013: 105 735). Nicht so die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma), die Überwachungs- und Regulierungsbehörde der Banken: Sie erhöhte ihr Budget seit 2009 Jahr für Jahr um durchschnittlich 9 Prozent und den Personalbestand um sage und schreibe 18 Prozent pro Jahr. Hängen die beiden gegensätzlichen Entwicklungen bei den Banken und ihrem Regulator zusammen? Kein Zweifel: die Vielzahl und Komplexität von immer neuen Regulierungen machen das Bankgeschäft in der und aus der Schweiz immer weniger attraktiv.

Jährlich werden von der Finma rund 140 Seiten neuer Vorschriften (in Form sogenannter Rundschreiben) produziert, seit 2009 sind es über 1000 Seiten, ein Ende ist nicht absehbar. Unter dem unverdächtigen Namen «Neue Finanzarchitektur» hat die Bundesverwaltung zusammen mit der Finma ein legislatives Grossprojekt sondergleichen angestossen. Nebst dem heute geltenden Finanzmarktaufsichtsgesetz sind drei weitere Grossprojekte in Angriff genommen worden. Neu sollen das Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg), das Finanzinfrastrukturgesetz (Finfrag) und das Finanzinstitutsgesetz (Finig) zum bestehenden Gesetzesdickicht hinzukommen. Die verniedlichende Bezeichnung dieser Anstrengungen als «Kleeblattreform» ist nicht gerechtfertigt. Die Gesetzesentwürfe umfassen bereits heute insgesamt rund 170 Seiten.

Angesichts dieser Gesetzesflut ist die Frage nach dem Nutzen und der Notwendigkeit all dieser zusätzlichen Regeln und Vorschriften berechtigter denn je. Natürlich wirkt der Schock der Finanzkrise von 2008/09 noch nach. Massive staatliche Gelder mussten aufgewendet werden, um das Finanzsystem vor einem Kollaps zu bewahren. Natürlich lässt sich eine dynamische Entwicklung der Finanzmärkte feststellen, die in der stark gewachsenen internationalen Verflechtung sowie in den neuen Instrumenten zum Ausdruck kommt. Und wer Zeitung liest, hegt den Verdacht, dass einzelne Banken noch nicht viel aus der Krise gelernt haben: Ein Skandal nach dem andern kommt ans Tageslicht, und die Saläre und Boni der Bankenchefs haben teilweise wieder das Vor-Krisen-Niveau erreicht. Trotzdem: eine nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung neuer Regulierungsvorhaben ist ein besserer Ratgeber als die modische Aufbauschung von Altlasten und Einzelfällen.

Zwei Zielsetzungen stehen deshalb im Vordergrund der Finanzmarktregulierungen: einerseits die Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems (1) und andererseits der Schutz der Bankkunden, insbesondere der Schutz ihrer Ersparnisse (2).

Wie und mit welchen Regeln diese Stabilität zu erreichen ist, wird seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Nach der grossen Finanzkrise der 1930er Jahre sah man die Lösung in der Trennung des traditionellen Kreditgeschäfts vom Investment Banking (Glass Steagal Act), einer Idee, die heute wieder in einzelnen Ländern diskutiert wird. In der Schweiz steht dieser Ansatz nicht im Vordergrund. Der Fokus hierzulande und auch beim Internationalen Basler Ausschuss für Bankenaufsicht liegt vielmehr auf der Stärkung der Eigenkapitalbasis der Banken. Ziel ist es, dass die Banken in Zukunft Krisen aus eigener Kraft absorbieren können und nicht mehr auf die Hilfe des Staates und damit des Steuerzahlers angewiesen sind. Wie viel Eigenkapital notwendig ist und welches der geeignete Massstab zur Messung der adäquaten Eigenkapitalausstattung darstellt, ist jedoch Gegenstand heftiger Kontroversen.

Regulatorische Technokraten haben im Rahmen des Basler Ausschusses einen komplexen und kaum transparenten Massstab entwickelt: Bei diesem wird das Eigenkapital in das Verhältnis zu den risikogewichteten Aktiven gesetzt. Schon die implizite Annahme dieses Ansatzes, wonach man künftige Risiken aufgrund historischer Schwankungen beurteilen kann, ist umstritten. Dieses Mass ist zudem derart intransparent, dass die Einhaltung der Eigenkapitalvorschriften weder vom Regulator noch von der Politik, geschweige denn von der Öffentlichkeit vollständig verstanden wird. Avenir Suisse und verschiedene Ökonomen haben deshalb einfachere und transparentere Massstäbe vorgeschlagen, etwa die Leverage Ratio, die das Eigenkapital im Verhältnis zu den ungewichteten Verbindlichkeiten misst. Solche Massstäbe erhöhen die Transparenz – nicht zuletzt für die Kunden – und verringern den Berechnungsaufwand für die Banken und die Behörden signifikant.

Einigkeit besteht unter Ökonomen darüber, dass das Eigenkapital der Banken erhöht werden muss. Höheres Eigenkapital schafft einen Puffer für jede Art von Krisen, veranlasst den Verwaltungsrat und das Management zu sorgfältigem und risikobewusstem Handeln und gibt sowohl Kunden als auch Aktionären zusätzliche Sicherheit. Höheres Eigenkapital ist auch die Hauptempfehlung im kürzlich publizierten Bericht der Expertengruppe Brunetti.1 Das Gegenargument der Banken, dass dadurch die Refinanzierungskosten stiegen, hält weder einer theoretischen Betrachtung noch der empirischen Überprüfung stand.

 

Kundenschutz

Neben Massnahmen zur Verbesserung der Systemstabilität hat sich die Finma der Intensivierung des Kundenschutzes angenommen. Der Grundsatz ist zweifellos richtig: Die Kunden sollen transparent und wahrheitsgetreu informiert werden. Mit der zunehmenden Komplexität von Finanzprodukten haben Berechtigung und Bedeutung dieser Art von Regulierung zugenommen. Mit den jüngsten Vorschlägen des Bundesrates wird allerdings das Fuder überladen. Ins Auge stechen die ausufernden Informations- und Dokumentationspflichten für Finanzdienstleister. Diese Vorlage des Bundesrates ist getrieben durch die EU-Finanzdienstleistungsrichtlinie Mifid II, geht aber über die EU-Richtlinien hinaus. Den Bankkunden so weit zu entmündigen, wie dies nun der Bundesrat vorsieht, will nicht einmal die EU.

Damit ist aber noch nicht genug der Regulierungen für die Banken. Es wird ihnen zusätzlich eine immer grössere Rolle in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in der Steuereintreibung aufgebürdet. Im Grundsatz ist unbestritten, dass Banken eine Sorgfaltspflicht haben. Bei internationaler Mobilität des Kapitals und abnehmender Steuermoral (sprich: zunehmender Steuerpflicht) dürfen die Banken nicht zu Gehilfen von Steuerbetrügern werden, die das internationale Finanzsystem ausnutzen. Mit dem vereinbarten automatischen Informationsaustausch mit der EU und dem Fatca-Abkommen mit den USA werden den Banken jedoch enorme administrative Lasten und Kontrollaufgaben aufgebürdet, so dass der Eindruck entsteht, sie würden zum verlängerten Arm des nationalen Fiskus.

Halten wir resümierend fest: Mit einer grösseren Finanzmarktstabilität wird ein öffentliches Gut geschaffen, von dem letztlich alle profitieren. Damit wird auch ein unerlässlicher Beitrag zum Kundenschutz geleistet – sind die Banken stabil und krisenresistent, so sind es auch die Ersparnisse des Kunden. Umgekehrt muss man sich fragen, ob es neue und dermassen weitgehende detaillierte Massnahmen zum Kundenschutz braucht, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hat. Besonders die im Rahmen der Kleeblattinitiative vorgeschlagenen Vorschriften schiessen in vielen Bereichen über das Ziel hinaus – zum Nachteil des Kunden. Auch angesichts der Bemühungen des Bundes, die Banken zur Steuereintreibung einzusetzen, hat der mündige, liberale Zeitgenosse guten Grund, sich Sorgen zu machen.

Es stellt sich in diesem Augenblick in der Tat ganz allgemein die Frage, was die Schweiz wirklich von ausländischen Vorschriften und Standards übernehmen will. Letztere schränken den verantwortungsvollen Handlungsspielraum hiesiger Akteure massiv ein – ohne das System wirklich stabiler zu machen. Die Behörden sollten sich darum daran erinnern, dass hinter solchen Initiativen nicht nur lobenswerte Absichten stecken, sondern auch ganz handfeste kommerzielle Interessen!

Was ist zu tun, um die Finanzmarktregulierung wieder in geordnete Bahnen zu lenken und um unnötige, ja kontraproduktive Regulierungen zu verhindern?

 

 Ich formuliere ganz allgemein:

 1.

Bei jeder neuen Regulierung muss zwingend überprüft werden, inwiefern sie zielführend und wirksam ist und ob voraussichtliche unerwünschte Nebenwirkungen auftauchen könnten.

 

2.

Alternative Handlungsoptionen (Regulierungen) sollen evaluiert und einander gegenübergestellt werden.

 

3.

Die Betroffenen sollen bei der Ausarbeitung von neuen Regulierungen in einem frühen Stadium einbezogen werden.

 

Diese Vorschläge stammen nicht von mir, sondern sind den Leitlinien der Finma vom 3. Juli 2013 entnommen. Leider wird ihnen in der Praxis kaum Beachtung geschenkt. Würden sie hingegen ernst genommen und von einer unabhängigen Prüfstelle kontrolliert, wie dies Avenir Suisse vorschlägt, hätten wir in Zukunft wieder einen Finanzplatz, auf den wir alle stolz sein könnten.2 Einen Finanzplatz, von dem alle profitieren: Sparer, Steuerpflichtige, Unternehmer, kurz: jeder Bürger unseres Landes.


¹ http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/31569.pdf
² Auswege aus dem Regulierungsdickicht, Diskussionspapier von Avenir Suisse, September 2014. Siehe www.avenir-suisse.ch/wp-content/uploads/2014/09/regulierungsdickicht_hp.pdf

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