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Wetten für die Seligkeit

Hieb- und stichfest beweisen lässt sich
die Existenz Gottes nicht. Wer nicht glaubt, den kann die Mathematik auch nicht überzeugen. Das gilt auch für die Wette von Blaise Pascal, der Mitte des 17. Jahrhunderts die Zweifler doch noch auf die rechte Bahn zu bringen versuchte. Weniger Mathematik, so zeigt der folgende Beitrag, kann daher auch weniger Aberglauben bedeuten.

Vor langer Zeit, und das war für sie gar keine gute, musste sich die Philosophie den Theologen als Magd verdingen. Ihr wurde die Aufgabe zugeteilt, das, was man zu glauben hat, auch zu beweisen; aber genauso gut hätte man damals versuchen können zu beweisen, dass der Mond aus Jodine besteht. Wenn man das Beste nicht tun kann, dann muss wenigstens das Zweitbeste versucht werden. So kam Pascal auf die glorreiche Idee, allen Zweifelnden eine Wette anzubieten, um sie davon zu überzeugen, dass die Existenz Gottes zwar nicht beweisbar, es aber dennoch nach menschlichem Ermessen vernünftig sei, an sie zu glauben.

Seine Argumentation erscheint makellos. Da wir keine sicheren Anhaltspunkte dafür haben, ob Gott existiert oder nicht, schlägt er vor, wie beim Werfen einer Münze, für die beiden möglichen Ereignisse die gleiche Wahrscheinlichkeit anzusetzen. Als nächstes müssen in Kosten- und Nutzenfragen Festsetzungen gemacht werden. Pascal schlägt vor, den Nutzen des Glaubens im Falle der Existenz Gottes auf plus unendlich festzulegen, den Schaden des Nichtglaubens auf minus unendlich. Das steht für den Erwerb des Himmelreichs und die Verbannung in die Hölle. Sollte Gott nicht existieren, gäbe es zwar keine Rendite des Glaubens, aber auch keine Kosten. Hier liegt ein Schwachpunkt der Argumentation; denn natürlich ist die ewige Seligkeit keineswegs zum Nulltarif zu haben. Es sind emotionale, intellektuelle und durchaus auch materielle Opfer zu bringen; aber – so könnte man argumentieren – was ist das schon gegen das Himmelreich? Akzeptiert man die Vorgaben Pascals, gibt es nur eine vernünftige Alternative, nämlich auf die Existenz Gottes zu setzen.

Wer aber mag schon behaupten, seine subjektive Wahrscheinlichkeit für die Existenz Gottes sei null? Gibt es aber auch nur einen klitzekleinen Restzweifel in dieser Sache, dann hat Pascal schon gewonnen; denn selbst ein sehr kleiner Wahrscheinlichkeitswert führt zu einem unendlich grossen Erwartungswert für Nutzen und Schaden, wenn man ihn mit unendlich multipliziert.

Hier kann nun der nächste Zweifel an den Vorschlägen Pascals angemeldet werden: Ist die Annahme eines unendlichen Nutzens vertretbar? Der Wert einer Sache wird ja nicht in einem Ideen-Himmel der wahren Preise ein für allemal festgeschrieben, er ergibt sich von Fall zu Fall aus dem, was Leute bereit sind, für diese Sache zu bezahlen. «Wert» oder «Nutzen» sind somit subjektive Kategorien. Dieselbe Sache erscheint nicht allen Menschen gleich wertvoll, nicht einmal das Himmelreich, wie Ludwig Thomas Geschichte vom Münchner im Himmel lehrt. Der Dienstmann Aloysius jedenfalls wäre lieber im Hofbräuhaus als mit einer goldenen Harfe auf Wolke sieben beim Halleluja-Singen.

Lieber richtig als ewig tot

Diese Geschichte verweist auf einen kritischen Punkt: es ist nie wirklich klar geworden, was das Angebot ist, um das gewettet wird. Bedeutet ewiges Leben nur Business as usual? Ist das himmlische Jerusalem nur ein Abbild des irdischen, wie Swedenborg uns weiszumachen versucht, der angeblich dort war? Wer seinen strohtrockenen Bericht über die Vereine der Engel und Geister liest, hat keinen Zweifel, dass diese eine ordnungsgemässe Satzung mit vielen Paragraphen, einen Vorsitzenden, mindestens zwei Beisitzer und einen Kassenwart haben. Auch auf Nachtmütze und Pantoffeln, die Pferdekutsche und die Annehmlichkeiten des Ehelebens muss da keineswegs verzichtet werden. Das ist schon fast so gut wie das Paradies des Alten vom Berge, in dem die verdienten Märtyrer des Glaubens die Ewigkeit mit so attraktiven wie willigen weiblichen Wesen durchleben können. Es gehört wohl ein reichlich kindliches, wenn nicht gar kindisches Gemüt dazu, dergleichen zu erträumen.

Wie aber dann? – Liegt die ewige Seligkeit gar nicht im Tun, sondern allein im Fühlen? Dann wäre wohl jeder Opiumesser schon besuchsweise im Himmel gewesen, was erklärt, warum ihm alle irdischen Dinge so unbedeutend werden. Nirwana hat man diesen Zustand im Osten genannt, und mir ist nie ganz klar geworden, ob man ihn ein ewiges Leben oder einen ewigen Tod nennen soll. Wäre es wirklich eine soviel schlechtere Alternative, den Rest der Ewigkeit «richtig» tot zu sein?

Der tatsächliche Wert einer Katze im Sack ist schwer zu beziffern; aber es ist sicher problematisch, ihn schlicht auf unendlich zu veranschlagen. Man könnte allenfalls eine indirekte und immer nur individuell gültige Schätzung dieses Wertes gewinnen, wenn man beobachtet, was eine Person dafür zu bezahlen bereit ist. Setzen wir den Fall, ein Mensch sei Millionär und auch ein Christ. Er liest im Neuen Testa-ment, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt. Wenn er diese Aussage seines Erlösers ernst nimmt und wenn er das ewige Leben für so wertvoll erachtet, wie Pascal das vorschlägt, dann müsste er, ohne zu zaudern, sein Geld den Armen geben und trotzdem überzeugt sein, letztendlich ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Wäre er nicht bereit dazu, sein Geld herzugeben, dann könnte man, von dieser Tatsache ausgehend, den Nutzwert beziehungsweise den Schaden abschätzen, die Paradies und Hölle für ihn maximal bedeuten, vorausgesetzt, man kennt auch seine subjektive Wahrscheinlichkeit für die Existenz Gottes. Setzen wir diese auf p = .9 an – das ist weitaus höher als die blosse Zufallserwartung, die Pascal vorschlägt –, dann ergibt sich, dass erwarteter Schaden wie Nutzen kleiner als circa 1,2 Millionen sein müssen. Er kann also bei einer Investition einerseits nicht in die Gewinnzone gelangen, andererseits ist der im Falle der Zahlungsverweigerung zu erwartende Verlust nicht grösser als der zu zahlende Einsatz. Es ist für ihn also unter beiden Aspekten sinnvoll, sein Geld zu behalten. Da das Durchschnittsvermögen vieler deutlich unter einer Million liegt und die allermeisten von ihnen ihr Geld nicht unter die Armen verteilen, können wir davon ausgehen, dass Pascal den Marktwert des Himmelreichs beträchtlich überschätzt hat.

Die Zahlen werden für ihn noch ungünstiger, wenn man von einer nur sehr geringen Glaubensgewissheit ausgeht. Tatsächlich funktioniert das Argument Pascals nur dann mit Sicherheit, wenn man den Wert des Paradieses auf unendlich ansetzt. Das ist jedoch eine Grösse, die nur in der Mathematik einen Sinn hat, nicht im Leben. Die Psychologie hat längst herausgefunden, dass der Nutzen nicht in den Himmel wachsen kann, sondern sich einem Grenzwert nähert, der menschlichen Vorstellungs- und Handlungsmöglichkeiten gemäss ist. Wenn nun ein Mensch den Wert des nicht wirklich deklarierten Angebots Himmelreich nicht allzuhoch veranschlagen mag und wenn darüber hinaus seine subjektive Wahrscheinlichkeit für die Existenz Gottes eher minimal ist, hat es für ihn wenig Sinn, auf diese Existenz zu wetten.

Nun mag vielleicht die Aussicht auf ewiges Lobsingen des Herrn manchem nicht allzu verlockend erscheinen; aber was ist mit der Hölle? Wiegt nicht befürchtetes Ungemach schwerer als erhoffter Gewinn? Die Psychologie jedenfalls glaubt herausgefunden zu haben, dass in dieser Hinsicht eine Asymmetrie besteht zwischen der subjektiven Nutzen- und Schadenfunktion. Beide bewegen sich jedoch in Richtung auf endliche Grenzwerte. Was jenseits dieser Werte liegt, bleibt für uns letztlich unfassbar und kann daher nicht erlebens- und verhaltensrelevant werden.

An dieser Stelle ist noch ein weiteres Argument zu diskutieren, das Pascal gar nicht auf seiner Rechnung hatte. Selbst wenn jemand die Möglichkeit der Existenz eines göttlichen Wesens nicht gänzlich ausschliessen mag, muss er allein deshalb noch lange nicht an die Existenz einer Hölle im Sinne einer ewigen Folterkammer glauben. Da jede Verfehlung endlich ist, kann eine gerechte Strafe nie unendlich sein. Das wäre nur grausam und zudem auch völlig sinnlos; denn da sie nicht der moralischen Besserung dienen kann – es gibt ja kein nachher – kann eine ewige Folter allenfalls dazu dienen, masslose Rachegelüste zu befriedigen. Sollte ein Gott dergleichen wirklich nötig haben? Ist es nicht sehr viel wahrscheinlicher, dass sich in all den grausigen Höllenphantasien sehr irdische Ressentiments artikulieren?

Der Lohn der Qual

Tatsächlich ist «Hölle» ein so schlecht definierter Begriff wie «Himmelreich». Die Ewigkeit am Marterpfahl erscheint als nicht minder kindische Phantasie als die eines ewig willigen Harems. Wenn man dem Begriff Hölle überhaupt einen einem gerechten Gott angemessenen Sinn geben will, kann er allenfalls das ewige Getrenntsein von Gott bedeuten, also den ewigen Tod. Nun ist aber dieser, wenn wir den Mut haben, die Dinge realistisch zu sehen, genau das, was allen lebenden Wesen zugeteilt ist. Dass man diese Aussicht nicht nur negativ konnotieren kann, belegt das Konzept des Nirwana. Der Gedanke an eine ewige Ruhe kann durchaus etwas Tröstliches haben. Und ist es nicht gerade seine Endlichkeit, die das irdische Leben so ungemein kostbar macht? Hätten wir Jahre wie Sand am Meer, dann wären sie auch nicht mehr wert als Sand am Meer. Man kann sogar mutmassen, dass selbst ein Gott ein ewiges Leben nur schwer ertragen kann, ohne auf absonderliche Gedanken zu kommen – beispielsweise den, sich nach ein oder zwei um sich selber kreisenden Ewigkeiten plötzlich auf das Abenteuer einer Schöpfung einzulassen. Was hat er eigentlich vorher gemacht? Und wäre er nicht besser dabei geblieben? Diese ketzerische Frage der Gnostik ist nie befriedigend beantwortet worden; denn an der ewigen Qual der Verdammten, die Gott bei seinem Schöpfungswerk ja wissend und also billigend in Kauf genommen haben muss, scheitert jede Theodizee. Es ist nicht fair, die Risiken eines solchen Projekts auf seine Opfer abzuwälzen. Wenn dieser hohe Preis nicht zu vermeiden war, dann wäre es anständiger gewesen, die Schöpfung zu unterlassen. Daraus lässt sich so etwas wie ein moralischer Beweis für die Nichtexistenz eines Schöpfergottes oder doch zumindest für die Nichtexistenz einer ewigen Folterstätte ableiten.

Am Ende zeigt sich, dass die Wette Pascals wohl nur denjenigen annehmbar erscheint, die eh schon glauben; aber gerade die benötigen seine Argumentations-Krücke nicht. Zudem bleibt anzumerken, dass die Überlegungen Pascals am Kern dessen vorbeigehen, worum es sich beim Glauben handelt. Man kann nicht einfach aus Nützlichkeitserwägungen heraus beschliessen, ab sofort dieses oder jenes zu glauben. Der Glaube ist, wie Kierkegaard das eindrucksvoll beschrieben hat, ein Sprung ins Absurde. Ein Kerl, der spekuliert, kann diese Übung nur verfehlen.

Wolfgang Marx, geboren 1943, ist Ordinarius für Allgemeine Psychologie an der Universität Zürich.

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